Grün – oder grün gewaschen? Vorschlag eines freiwilligen European Green Bond Standards soll grüne EU-Anleihen transparent und vergleichbar machen

Der grüne Kapitalmarkt brummt. Kaum ein Bankhaus, das heute nicht mit „grünen“, „sozialen“ oder „nachhaltigen“ Anleihen einschlägige Anlegerinnen und Anleger anzusprechen versucht. Im Kontext der Corona-Pandemie, weltweiter Klima-Proteste sowie entsprechender EU-Regulatorik scheint der Peak der Nachhaltigkeit noch lange nicht erreicht. Research | 07.10.2021 10:00 Uhr
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Was macht eine Anleihe überhaupt zu einem waschechten „Green Bond“? Nach welchen Kriterien lässt sich ein nachhaltiges und vertrauenswürdiges Finanzprodukt schnüren? Wo hört Greenwashing auf, und wo fängt ehrlicher Mut zur Veränderung an? Bei diesen nicht ganz trivialen Fragen bekommen Emittentinnen und Emittenten und Investorinnen und Investoren nun Unterstützung von allerhöchster Stelle.

Der Gold Standard für Grüne Projekte

Bisher haben sich die Richtlinien der International Capital Market Association (ICMA) – die Green Bond Principles und die Sustainable Bond Guidelines – etabliert. Deren Schwerpunkte liegen stärker auf prozessualen Anforderungen. Und sie lassen hinsichtlich der refinanzierten Projekte viel Freiraum. 

Der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zum „European Green Bond Standard“ (EUGBS) vom Juli 2021 hingegen zielt stärker auf eine Regulierung der Finanzierungsinhalte ab, und will privaten und institutionellen Investorinnen und Investoren Sicherheit bei ihren Anlage-Entscheidungen gewährleisten. Mit Hilfe des EUGBS soll es gelingen, möglichst viel privates Kapital in Richtung nachhaltiger Projekte zu kanalisieren, um einen weiteren Schritt in Richtung der ambitionierten europäischen Klimaziele (“der erste klimaneutrale Kontinent bis 2050”) zu beschreiten.

Der EUGBS fußt wiederum auf dem Aushängeschild der EU-Klimapolitik der letzten Jahre: der EU-Taxonomie. Dieses umfassende Klassifikationssystem dekliniert auf rund 600 Seiten Sektor für Sektor durch, was unter einer nachhaltigen, ökonomischen Aktivität zu verstehen ist. Hier wird erhoben, zu welchem von sechs zentralen europäischen Umwelt-Zielen (Anpassung an den Klimawandel, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Erhaltung der Biodiversität, etc.) ein Projekt beiträgt, während es die anderen fünf nicht wesentlich schädigt und gleichzeitig soziale Mindeststandards einhält. Konkret werden je nach Sektor Schwellenwerte für die Emissionsintensität von Fertigungsprozessen, Best-in-Class Prinzipen von industriellen Anlagen oder die schrittweise Senkung des Energieeinsatzes genutzt, um nachhaltige Projekte von nicht-nachhaltigen zu unterscheiden. Jede Anleihe, die Projekte im Sinne der EU-Taxonomie zum Gegenstand hat, kann sich ab Inkrafttreten gemäß dem freiwilligen EUGBS-Standard ausweisen.

Der lange Weg zum Grünen Geld

Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg. Noch gibt aus auf europäischer Ebene keinen endgültigen Konsens darüber, welche Technologien als nachhaltig in die EU-Taxonomie aufgenommen werden. Konkrete Zankäpfel sind hier Atomenergie und Erdgas. Während manche Länder für die Aufnahme der beiden (zumindest als sogenannte Übergangstechnologien) plädieren, ziehen andere Länder hier die rote – bzw. grüne - Linie. 

EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn rechnete kürzlich in einem Zeitungsartikel damit, dass bis zum endgültigen Inkrafttreten der komplettierten EU-Taxonomie – und in der Folge des EUGBS – ein bis zwei Jahre vergehen werden. Inzwischen bleibt die Kommission nicht untätig und beginnt bereits im Oktober dieses Jahres mit der Emission eigener Green Bonds gemäß der “Green Bond Principles” der ICMA. So soll ein gutes Drittel des europäischen Wiederaufbaus nach der Corona-Pandemie zur Verfügung gestellt werden.

Konform oder nicht – das ist hier die Frage

Was wird es in Zukunft konkret brauchen, um eine Anleihe gemäß EUGBS zu schnüren? Zur Antragstellung bedarf es des “European Green Bond Factsheets”, in dem die Übereinstimmung des Projekts mit der Taxonomie genau definiert werden soll. Die größte Herausforderung für interessierte Emittentinnen und Emittenten wird es sein, Projekte und Begründungen zu finden, die in das komplexe Nachhaltigkeitsverständnis des Mammutwerkes hineinpassen. 

Ist das nachhaltige Finanzprodukt fertig, sind die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde sowie von ihr berufene externe Reviewer für das Controlling zuständig. Um maximale Transparenz über die nachhaltige Verwendung der eingebrachten Mittel über die gesamte Projektlaufzeit zu gewährleisten, sind jährliche “Allocation Reports” vorzulegen. Hier werden die “Use of Proceeds” des eingesetzten grünen Geldes umfassend dokumentiert. 

Externe Reviews sind in diesem Feld an sich nichts Neues: so erstellen wir von der rfu als unabhängige, externe Researchagentur seit Jahren sogenannte Second Party Orpingtons (SPOs) in Form umfassender Nachhaltigkeitsgutachten für Green und Social Bonds. Auch die Framework-Entwicklung für Green und Social Bonds zählt zu unseren Leistungen. Den Anforderungen des neuen EUGBS entsprechend werden wir, wenn es dann so weit ist, auch in unser Leistungsportfolio integrieren. 

Neue Messlatte im Umweltbereich – aber wohin mit sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit?

In die Entwicklung der Taxonomie-konformen Kriterien ist jahrelange Arbeit geflossen. Wenn auch vielerorts Kritik an konkreten Schwellenwerten oder bestimmten Technologien wie Atomenergie und Erdgas laut wurde, kann die Taxonomie – und damit der EUGBS – als erster, beachtlicher Wurf in Sachen unternehmerischer Verantwortung im Umweltbereich gelten. Im Spiegel bisheriger Standards, wie beispielsweise der ICMA “Green Bond Principles” wird der EUGBS ungleich detailreicher und konkreter ausfallen.

Aus Sicht der rfu bleibt aber offen, inwiefern der europäische Fokus auf Umwelt-Projekte die zwei anderen Säulen der Nachhaltigkeit, Soziales und Ökonomisches, an den Rand der Diskussion drängen wird. Dennoch ist davon auszugehen, dass der EUGBS im Gleichschritt mit der Taxonomie in den kommenden Monaten und Jahren massiv an Bedeutung gewinnen wird – vermutlich weit über die europäischen Grenzen hinaus.

Gastautor: Michael Gizicki-Neundlinger, Analyst bei rfu

Über die rfu:
Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.

Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds.

Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at

Über die Artikelserie "GOING GREEN":
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.

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