EU-Lieferkettengesetz: Wirksames Werkzeug für eine ehrliche Sorgfaltspflicht?

In der April-Ausgabe der Exklusiv-Kolumne "GOING GREEN" beleuchtet rfu-Expertin Andrea Lösch das EU-Lieferkettengesetz und erklärt, warum Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit auf CSR und Sorgfaltspflicht in der Lieferkette geachtet haben, klar im Vorteil sind. Research | 14.04.2022 10:00 Uhr
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EU-Lieferkettengesetz: Wirksames Werkzeug für eine ehrliche Sorgfaltspflicht? 

Die fortschreitende Globalisierung der letzten Jahrzehnte und die damit verbundene Verflechtung der Wertschöpfungsketten hat zu einer hohen Dependenz von Rohstoffen und Gütern aus nicht EU-Ländern geführt. Wertschöpfungsketten erstrecken sich teilweise über mehrere Länder und Kontinente. Die Risiken, die mit dem Abbau von Rohstoffen bzw. der Fertigung von Komponenten und Produkten in Ländern mit niedrigeren Sozial- und Umweltstandards einhergehen, sind jedoch bisher wenig bis kaum legislativ geregelt. Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechten sowie die Degradierung von Lebensräumen sind nur einige der Kalamitäten mit denen Menschen, vor allem aus dem globalen Süden, konfrontiert sind. Allen voran der Handel über Subunternehmen und Zulieferbetriebe stellt hinsichtlich Nachvollziehbarkeit ein großes Risiko dar und ist bis dato nicht gesetzlich reglementiert. Leider nutzen einige Unternehmen Konstrukte aus Subunternehmen zur Externalisierung und Verschleierung kritischer Geschäftspraktiken. Teilweise sind die Lieferketten so verflochten und undurchsichtig, dass es selbst nachhaltig motivierten Unternehmen nicht gelingt, die gesamten Wertschöpfungskette darzustellen. 

„Das Verhalten von Unternehmen über alle Sektoren hinweg ist der Schlüssel zur Transformation zu einer klimaneutralen und grünen Wirtschaft“ proklamiert die Europäische Union in ihrer neuen Richtlinie zur Due Diligence in der Lieferkette. Die mit Spannung erwartete Richtlinie zur Sorgfaltsprüfung in Lieferketten oder auch „Lieferkettengesetz“ wurde am 23. Februar 2022 veröffentlicht. Ziel ist es, ein „nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln entlang der Wertschöpfungskette“ zu etablieren und legislativ zu verankern. Doch wie effektiv kann diese Richtlinie wirken? 

Die Sorgfaltspflicht soll sich als Bestandteil der Unternehmenspolitik integrieren, alle tatsächlichen oder potenziell negativen Auswirkungen auf Menschenrechte oder die Umwelt müssen ermittelt und deren Auswirkungen verhindert oder auf ein Minimum reduziert werden. Zusätzlich muss sichergestellt werden, dass die Geschäftsstrategie im Einklang mit dem Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C steht. Als verantwortlich für die Umsetzung wird konkret die Geschäftsleitung genannt. Die variable Vergütungspolitik für Führungskräfte soll sich in Zukunft ebenfalls daran orientieren. Umzusetzen ist die Richtlinie innerhalb von zwei Jahren von nationalen Behörden in den Mitgliedsstaaten, diese haben die Aufgabe der Beaufsichtigung und können Geldbußen bei Nichteinhaltung verhängen. Betroffene haben die Möglichkeit, rechtliche Schritte gegen Unternehmen bei Verletzung der Sorgfaltspflicht einzuleiten, wenn entstandene Schäden hätten vermieden werden können. 

Von der Richtlinie betroffen sind Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Nettoumsatz über 150 Mio EUR. Zusätzlich wurden risikoreiche, ressourcenintensive Branchen wie Textil, Lebensmittel, Landwirtschaft, und Bergbau definiert, für welche die Richtlinie bereits ab 250 Beschäftigten und einem Umsatz von 40 Mio. EUR anzuwenden ist. Auch Unternehmen aus Drittstaaten unterliegen der Legislative, wenn sie eines der genannten Kriterien erfüllen. Laut Schätzungen der EU werden in etwa 13 000 (0,2%) europäische Unternehmen und 4000 Unternehmen aus Drittstaaten davon betroffen sein. 

Dass nur wenige große Unternehmen davon betroffen sein werden, wurde bereits von einigen NGOs kritisiert. Umgekehrt argumentiert die Kommission, dass sich dadurch eine gute Basis an Daten und Gepflogenheiten etablieren wird, die es auch kleineren Unternehmen erleichtern kann, ihrer Sorgfaltspflicht bestmöglich nachzukommen. Die zivilrechtliche Haftungsklausel gibt der Richtlinie ein legislatives Werkzeug, mit dem eine Verletzung nun auch einen klagbaren Tatbestand darstellt. Es ist zu hoffen, dass dadurch die Ernsthaftigkeit, Effektivität und Umsetzungsstärke der Due Diligence Prozesse in den Unternehmen gefördert werden. Dieser Mechanismus wird sich aber erst in ein paar Jahren bzw. nach der Etablierung der nationalen Behörden und den ersten Gerichtsprozessen und Schadensersatzzahlungen beurteilen lassen. Außerdem gäbe es noch weitere Branchen wie das Bauwesen oder den Energiesektor, die einerseits eine hohe Exposition an Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen aufweisen und sich andererseits, durch einen hohen ökologischen Impact als Risikobranche prädestinieren würden. Auch im ESG Rating Prozess der rfu stellt die Lieferkette (je nach Branche) einen Unsicherheitsfaktor dar Hier wird vor allem auf den Umgang des Unternehmens mit seinen Risiken in der Lieferkette geachtet. Die Erhebung von Risiken und Entwicklung von Maßnahmen sowie begleitende Evaluierungs- und Monitoringmaßnahmen sind erste Schritte, an denen ein Engagement des Unternehmens erkannt werden kann. Global tätige Konzerne sind sich zunehmend darüber im Klaren, dass die Einhaltung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nicht nur das Reputationsrisiko senkt, sondern auch für langfristige Versorgungssicherheit und Stabilität in den Lieferbeziehungen sorgen können. Zusätzlich fordert die Klimakrise immer mehr Aufmerksamkeit und aktuelle Entwicklungen machen deutlich, dass der Handlungsspielraum für die Abwendung größerer Schäden im Ökosystem immer kleiner wird. Wenn Unternehmen begreifen, dass ihre Geschäftsmodelle je nach Exposition direkt von den sozialen und ökologischen Problemen beeinflusst werden, ist das eine Chance Resilienz durch Risikobewusstsein zu stärken. 

Die Erfahrungen aus dem ESG Rating der rfu zeigen, dass Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit auf CSR und Sorgfaltspflicht in der Lieferkette geachtet haben, klar im Vorteil sind. Sie kennen bereits ihre Risiken, haben Maßnahmen und Mechanismen zur Verbesserung und Kontrolle etabliert. Da die Grundlage der Due Diligence Prozesse auf bereits bekannte internationale Standards beruht, ist es für diese Unternehmen leichter die neuen Anforderungen zu implementieren. Langfristige Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigen Partnern bzw. Lieferanten wird auch hier nun zu einem eindeutigen Wettbewerbsvorteil. 

Auch in Zukunft wird sich eine integrierte, dem Geschäftsfeld und dem Produkt angepasste und langfristige Nachhaltigkeitsstrategie lohnen. Eine Verminderung von Nachhaltigkeitsrisiken ist nicht nur positiv für das Gemeinwohl, sondern sichert vielmehr ein langfristiges und resilientes Unternehmenswachstum. 

Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und zu fairen Konditionen kann vielleicht ein altes Versprechen des Kapitalismus wieder einlösen: Wohlstand durch wirtschaftliche Kooperation – für alle Beteiligten der Wertschöpfungskette.

Andrea Lösch, Senior Sustainability Analystin, rfu

Über die rfu:
Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.

Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds.

Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at

Über die Artikelserie "GOING GREEN":
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.

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