In den vergangenen Monaten haben wir die Ratings auf Basis unseres Modells für Länder aktualisiert. Knapp 200 Indikatoren fließen mittlerweile in den sozialökologischen Vergleich von 163 Staaten ein. Grundsätzliche Informationen rund um das Modell und wesentliche Eckpunkte des Nachhaltigkeitsverständnisses können Sie auf unserer Homepage finden.
Die Ergebnisse
Wer ist an erster Stelle? Und wer an letzter? Mit diesen Fragen sind wir häufig konfrontiert. Nachhaltigkeit auf eine Zahl oder einen Platz in einem Ranking zu reduzieren, greift zu kurz und sollte kritisch hinterfragt werden. Während die letzten 10 Plätze vielleicht wenig überraschen, wecken die Top 10 mehr Neugier und lösen ein Hinterfragen aus - zumindest bei jenen, die sich häufiger mit ESG-Ratings von Staaten auseinandersetzen.
Soweit die lineare Darstellung der rfu Länderrating Ergebnisse. Interessanter und aussagekräftiger finden wir die Verortung von Staaten entlang einer zweidimensionalen Darstellung (siehe Abbildung 2). Anhand dieser lassen sich grundsätzliche sozialökologische Muster von Staaten besser benennen und differenzieren. In einem ersten Schritt wollen wir dabei in vier Cluster differenzieren.
1) „Die nachhaltige Ecke“
Das Gesamtbild spiegelt wider, dass wir tendenziell eine globale Zuspitzung von Krisen beobachten können. Eine wichtige Botschaft bleibt weiterhin: kein Land kommt auch nur annähernd in die Nähe der Definition von Nachhaltigkeit (ein Rating in beiden Bereichen von >+5).
Bei dieser Betrachtungsweise stechen auch jene Staaten hervor, die in den Top 10 vielleicht überraschen: Costa Rica, Kap Verden oder auch Kroatien sind durch vergleichsweise geringere Überschreitung planetarer Grenzen gekennzeichnet und schaffen gleichzeitig ein überdurchschnittliches Maß an Wellbeing sowie staatlichen Versorgungs- und Governance-Strukturen.
2) „Mangel an Ressourcen, Wellbeing & Governance“
Am häufigsten sind Staaten durch ein positives ökologisches, aber negatives soziales Rating gekennzeichnet. Dadurch sind viele Länder mit niedrigem BIP gekennzeichnet. Ganz unten auf der Skala finden sich Staaten mit ausgeprägten und langjährigen Konflikten. Hier können Staaten hervorgehoben werden, wo überdurchschnittlich viel sozio-ökonomische Qualität bei gleicher Belastung der planetaren Grenzen geschaffen werden: Nepal, Ghana oder auch Malawi.
3) „Staaten mit starken Widersprüchen“
Interessant sind auch jene Staaten, die sowohl ökologisch als auch sozial negativ bewertet sind. Hierunter fallen vor allem (semi-)autoritäre Staaten mit hohem Ressourcenverbrauch. Dies inkludiert diverse OPEC-Staaten, aber auch andere Ressourcen exportierende Staaten, wie Russland, Südafrika, Malaysien, Brasilien oder Südafrika. Die Tatsache, dass sich unter diesen ein hoher Anteil muslimisch geprägter Länder findet, ist ein Aspekt, der beim nächsten Modellreview genauer hinterfragt wird.
4) „Wohlstand basiert auf ökologischer Zerstörung und globaler Ungleichheit“
Das vierte Cluster beinhaltet insbesondere "saturierte Staaten". Das überwiegend hohe sozio-ökonomische Rating wird dadurch erreicht, dass diese Länder sich ein über dem gerechten Durchschnitt liegendes Maß an Ressourcen aneignen. Damit zusammenhängende Merkmale werden auch mit dem Begriff "imperiale Lebensweise" umschrieben.
Die USA, Israel, aber auch Südkorea heben sich in dieser Betrachtung nochmals negativer von anderen Ländern ab. In abgeschwächtem Ausmaß trifft dies auch auf die auf den Export von natürlichen Ressourcen fokussierten Staaten Kanada und Australien zu.
In diesem Cluster befinden sich viele Staaten, die in anderen ESG-Ratings häufig gut abschneiden. Dies lässt sich aus der Logik derartiger Modelle – auch dem unseren – begründen. Die Definition von sozio-ökonomischer Qualität baut vielfach auf einem westlich individualistischen Blickwinkel auf und der absolute ökologische Impact ist nur ein Teil der Gesamtbewertung (siehe Ökologie-Rating). Dennoch tauchen unweigerlich die Fragen auf, ob die Überschreitung planetarer Grenzen - einer der zentralen Gründe für die gegenwärtigen Krisen - sowie die damit einhergehende Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Ressourcen und Folgewirkungen ausreichend in viele Modelle einfließen.
Was ist neu in der rfu Ratingmethodik für Länder?
Seit dem letzten Durchlauf in 2022 wurden über 30 Indikatoren neu integriert und haben damit die Abdeckung des Modelles zu wichtigen Fragestellungen verbreitert, wie z.B.: durch den Corporate Tax Haven Score, den LGBT Equality Index, Stranded Assets Daten und Femizid-Statistiken. Zunehmend stehen auch konsumbasierte Indikatoren für soziale Fragestellungen zur Verfügung. Durch Input-Output-Modelle kann der Impact von Konsummuster konkreter dargestellt werden. Die Schätzungen vom NGO Walk Free assoziieren mehr als 100.000 Opfer moderner Sklaverei mit den Importen von Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Derartige Indikatoren tragen zu einer tendenziellen Verschlechterung der Bewertungen westlicher Länder bei.
Nachhaltige Investments in Staatsanleihen
Die Refinanzierungskosten von Staaten können durch nachhaltiges Investment beeinflusst werden. Staaten mit schwerwiegenden Verletzungen wesentlicher Werte oder ökologischer Grenzen ökonomisch zur Rechenschaft zu ziehen, kann ein zusätzlicher Beitrag zu Veränderung sein. Die Ergebnisse fast aller uns bekannten Anbieter forcieren Geldflüsse in die Staatsanleihen westliche Länder. Ob dies sinnvoll ist für eine globale Entwicklung zu einer sozialen, ökologischen und gerechten Welt ist fraglich. Gerade jene Staaten, die als „nicht investierbar“ gelten, haben einen Bedarf nach sinnvollen Investitionen zu fairen Konditionen.
Christian Loy, Head of Research, rfu
Über die rfu:
Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.
Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds.
Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at
Über die Artikelserie "GOING GREEN":
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.