In einer Zeit, in der die Herausforderungen des Klimawandels und sozialer Ungleichheit immer drängender werden, rückt das Thema nachhaltige Finanzen zunehmend in den Fokus. Dieser aktuelle GOING GREEN-Beitrag beleuchtet verschiedene Interventionsstrategien am Finanzmarkt und untersucht deren Wirksamkeit. Dabei wird analysiert, inwiefern diese Strategien tatsächlich zur Förderung eines sozial-ökologischen Wandels beitragen. Anhand wissenschaftlicher Auswertungen und praktischer Beispiele wird ein differenziertes Bild der aktuellen Entwicklungen im Finanzsektor gezeichnet.
Interventionsstrategien für Nachhaltigkeit am Finanzmarkt
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich sehr unterschiedliche Instrumente und Ansätze im Finanzmarkt etabliert, um soziale und ökologische Themen stärker zu verankern. Deren Bedeutung hat dadurch signifikant zugenommen. Der anhaltende Anstieg der Zahl nachhaltiger Fonds und anderer Produkte über die letzten Jahre kann als Indiz für die zunehmende Bedeutung betrachtet werden (am Beispiel Österreich). Zusätzlich zu spezifischen Nachhaltigkeits-Produkten, unzähligen Brancheninitiativen sowie Kampagnen zivilgesellschaftlicher Akteur:innen wurde diese Entwicklung auch durch gesetzliche Regulierungen verstärkt.
Wir möchten einen Überblick über relevante Handlungsstrategien von Akteur:innen geben, die sozial-ökologische Themen an Finanzmärkten beeinflussen. Wir haben Handlungsstrategien von Akteur:innen gegenübergestellt und - trotz Überschneidungen und Unschärfen - anhand von vier Handlungsebenen geclustert (siehe Tabelle 1 unten).
Unter Allokation von Finanzmittel werden Ansätze verstanden, die Veränderungen der Finanzflüsse anhand von Kriterien und Filtern anstreben. Hierunter fallen die meisten Produkte des Nachhaltigen Investments.
Engagement fasst Ansätze zur Einflussnahme auf die Unternehmensführung durch Aktionärsrechte zusammen.
Bei Governance steht die Veränderung der institutionellen Rahmenbedingungen im Vordergrund.
Zivilgesellschaftliche Initiativen versuchen vor allem durch Beobachtung des Finanzsektors und Nutzung verschiedenerer Mittel kontroverse Aktivitäten zu bremsen.
Diese Ansätze verfolgen in ihrer Logik oft sehr ähnliche Schwerpunkte: die Erhöhung von Transparenz und das Schaffen von Bewusstsein durch die Auseinandersetzung mit den Themen. Dadurch sollen individuelle Entscheidungen der Anleger:innen beeinflusst werden und so indirekt die Strategien und Aktivitäten von Unternehmen positiv beeinflussen.
Was sagt die Wissenschaft zum Impact von Sustainable Finance?
Konkrete Ursache-Wirkungszusammenhänge sind empirisch oft schwer zu belegen und aus methodischen Gründen an viele Annahmen gekoppelt (z.B.: nachhaltigkeitsbezogene Unternehmenshandlungen können kaum auf einzelne Interventionen reduziert werden). Sustainable Finance Akteur:innen haben durch ihre Handlungen direkte und indirekte Einflüsse, zum Beispiel auf die Aktivitäten von Unternehmen, welche wiederum einen Einfluss auf gesellschaftliche und ökologische Bereiche durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.
Wie beeinflussen Sustainable Finance-Strategien die Nachhaltigkeit im Allgemeinen bzw. von Unternehmen im Speziellen? Erkenntnisse hierzu sind heterogen und ein Fleckenteppich voller Lücken. Zwei Meta-Studien auf 2019 und 2024 liefern einen Überblick über die Wirksamkeit unterschiedlicher Strategien. Im Gegensatz dazu untersucht eine sehr spezifische Studie aus 2022 die Wirksamkeit sogenannter Impact Funds.
Wir haben nun im Folgende versucht, einzelne Erkenntnisse aus einer Vielzahl an Studien zu clustern:
(Leicht) positive Effekte auf Performance und Kapitalkosten
Viele Studien legen ihren Schwerpunkt nicht auf den Nachhaltigkeits-Impact von Sustainable Finance, sondern auf die ökonomischen Auswirkungen. Wie beeinflussen soziale und ökologische Belange die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens und wie wirkt sich dies in weiterer Folge auf Aktien, Anleihen und Fonds aus? Zwei unterschiedliche Metastudien aus 2015 und 2021 zeigen eine mehrheitlich positive Korrelation der Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien in der Anlageentscheidung für Investor:innen und der wirtschaftlichen Performance.
Die Höhe von Kapitalkosten ist auch für Unternehmen ein zentraler Parameter in der Entscheidungsfindung (z.B.: Zinshöhe und Gebühren für die Aufnahme eines Kredites für eine ökologische Investition). Eine wichtige These in diesem Zusammenhang ist daher, dass nachhaltige Unternehmen leichter und günstiger zu finanziellen Mitteln kommen. Die Ergebnisse r sind vielfältig und einzelne Effekte werden in der Literatur mehr auf theoretischer Ebene besprochen als empirisch bewiesen. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass Unternehmen mit besserer Nachhaltigkeitsperformance finanzmarktbezogene, wirtschaftliche Vorteile erfahren: so z.B.: niedrigere Kapitalkosten, besseres Kreditrating, geringere Volatilität und Stabilität in Krisenzeiten.
Zusammenhänge unklar und auch widersprüchliche Erkenntnisse
Aber es gibt auch Widersprüche. Untersuchungen zur Existenz eines „Greeniums“, eines finanziellen Vorteils grüner Finanzprodukte, weisen sehr unterschiedliche Ergebnisse am Beispiel von Grünen Anleihen (Green Bonds) auf. Eine prominente, ältere Studie weist auf ökonomische Vorteile sogenannter „Sin Stocks“ (in diesem Fall: Alkohol-, Tabak- und Glückspielkonzerne) hin, da die ausbleibende Nachfrage durch ethisch orientierte Investor:innen das Kurs/Gewinn-Verhältnis positiv beeinflusst. Gegenteilige Ergebnisse anderer Studien verdeutlichen jedoch die Komplexität, evidenzbasierte Erkenntnisse zu generieren.
Ob gestiegene Kapitalkosten dem Abzug finanzieller Mittel von kontroversen Unternehmen (z.B. durch Divestment-Kampagnen) zuzuschreiben sind oder neuen Informationen über Klimarisiken (z.B. Antizipation strengerer Regulierung) ist meist nicht zu beantworten. Außerdem scheinen die Auswirkungen auf wirtschaftliche Kriterien in vielen Fällen zwar nachweisbar zu sein, aber zu gering für soziale und ökologische Steuerungseffekte (z.B.: niedrigen Preise im CO2-Emissionsrechtehandel).
Engagement ist effektiv, aber wenig relevant für große institutionelle Shareholder
Voting (z.B. Stimmverhalten bei Hauptversammlungen) und Voicing (z.B.Gespräche mit dem Management) werden positive Effekte zugeschrieben, welche unter anderem in Diskursveränderungen, dem Schaffen von Transparenz und Aufzeigen von Lücken liegen. Eine Harvard-Studie weist auf den Vorteil im Vergleich zu Divestment hin.
Umfragen heben den Druck von Investor:innen auf das Management bei Nachhaltigkeitsmaßnahmen hervor. Institutionellen Investor:innen, vor allem den international bedeutsamen und milliardenschweren Pensionsfonds, wird auf Basis einer Auswertung der Aktionärsstrukturen eine positive Einflussnahme unterstellt.
Auswertungen von Stimmverhalten zeigen allerdings, dass gerade die größten Asset Manager unter den Aktionär:innen gegen Umweltschutzmaßnahmen stimmen. Ein Sample einer weltweiten Untersuchung zeigt, dass im Jahr 2023 nur 5,8% der eingebrachten ökologischen Anträge in Hauptversammlungen angenommen wurden, begleitet von einem Aufwind von Anti-ESG-Anträgen. Kritisiert wird, dass Engagement als Feigenblatt für Untätigkeit herangezogen wird. Anträge bei Hauptversammlungen und Diskussionen mit dem Management können beispielsweise auch den Ausstieg von Investor:innen aus kontroversen Branchen verzögern.
Mehr Governance ist nicht mehr Nachhaltigkeit
Durch die gestiegene Bedeutung von Nachhaltigkeit hat eine Vielzahl an Standards unterschiedlicher Marktteilnehmer:innen – sei es branchenintern, (über)staatlich oder sonstiger Stakeholder (z.B. Label) – den Finanzsektor überflutet. Bei unterschiedlichen, wichtigen Branchenstandards zeigt sich, dass jene Finanzunternehmen, die unterzeichnet haben, sich in ihren Finanzierungsaktivitäten nicht von anderen Marktteilnehmer:innen unterscheiden bzw. teilweise sogar mehr finanzielle Mittel für kontroverse Geschäftstätigkeiten zur Verfügung stellen (z.B. Net *Zero Banking Alliance). Eine andere Studie kommt zum Ergebnis, dass die Transparenz-Bemühungen der EU bisher zu keiner sozialen oder ökologischen Outperformance der betroffenen Unternehmen im Vergleich zur Peer Group in den Vereinigten Staaten geführt haben.
Es wirkt. Aber noch zu wenig.
Es ist schwierig, finanzmarkt-spezifische von allgemeinen gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsentwicklungen zu differenzieren. Vieles ist ein Abbild des gesellschaftlichen Diskurses mit all seinen Widersprüchen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass leicht positive Einflüsse von Sustainable Finance Aktivitäten auf das Verhalten von Unternehmen bzw. die Gestaltungen von Rahmenbedingungen beobachtet werden können. Die ökonomischen Folgewirkungen sind jedoch zu gering, um eine relevante sozial-ökologische Wirksamkeit entfalten zu können. Die gegenwärtigen Strategien scheinen – zumindest derzeit – noch wenig Transformationspotential zu haben. Das soll nicht die Sinnhaftigkeit gegenwärtiger Sustainable Finance Aktivitäten in Fragen stellen, sondern aufzeigen, dass es konsequenteres und breiteres Umsetzen sowie Alternativen mit höheren Ansprüchen braucht.
In den letzten Jahren ist ein starker Trend zu einer risikoorientierten bzw. ertragsgenerierenden Nachhaltigkeit zu erkennen, anstelle eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitsgedankens. ESG-wird dabei als Add-on behandelt. Bei fast allen Produkten und Anbietern sind soziale und ökologische Themen dem üblichen Rendite-Risiko-Profil als Entscheidungsmaßnahmen untergeordnet: mehr Nachhaltigkeit, aber nicht weniger Rendite. Das limitiert die positiven Effekte. Um den Herausforderungen der gegenwärtigen Krisen gerecht zu werden, muss der Finanzsektor nicht nur seine Strategien weiterentwickelt, sondern auch eine breitere und integrativere Definition von Nachhaltigkeit anstrebt.
Über die rfu:
Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.
Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds.
Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at
Über die Artikelserie "GOING GREEN":
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.