Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt, DekaBank (08.08.2012): "Die Einkaufsmanagerindizes signalisieren, dass die Konjunktur in allen Regionen an Schwung verliert. Die Rückgänge sind nicht dramatisch, aber die positive Tendenz des letzten Jahres ist gebrochen. Das liegt auch, aber nicht nur an den Unsicherheiten, die mit der Euro-Schuldenkrise weiterhin verbunden sind. Schließlich muss man sich vor Augen halten, dass der Aufschwung in vielen Ländern bereits wieder drei Jahre alt ist und auch aus zyklischen gründen wieder einen Pause macht. Trotz schwacher Vorgaben der Einkaufsmanagerindizes waren die jüngsten realwirtschaftlichen Zahlen aus China wieder eher ermutigend. Doch die Abkühlung der Wirtschaft setzt sich fort, und die Regierung hat bereits mit einer Zinssenkung und der Ankündigung fiskalischer Maßnahmen reagiert. Auch weitere Senkungen der Mindestreservesätze sind sehr wahrscheinlich. Wir gehen davon aus, dass die chinesische Regierung versuchen wird, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, ohne aber die Bankenbilanzen und die öffentlichen Finanzen stark zu belasten. Die positive Folge der globalen Konjunkturabschwächung ist der weltweite Rückgang des Inflationsdrucks, was den privaten Konsum stützt. Die Beeinträchtigung der Weltwirtschaft hält sich in Grenzen, im Vergleich zu anderen Regionen stützt die chinesische Nachfrage weiterhin die Exporte aus den europäischen Exportregionen."
Gerold Permoser (CIO), Macquarie Investment Management Austria Kapitalanlage AG (08.08.2012): "Exporteure können nicht ohne Importeure leben. Volkswirtschaften, deren Business Modell zu einem großen Teil darin besteht, zu exportieren, müssen zwangsläufig darunter leiden, wenn sich große Teile ihrer Exportmärkte in einer dauerhaften ökonomischen Krise befinden. Und allein aufgrund ihrer schieren Größe ist die Eurozone ein wichtiger Exportmarkt.
Dazu kommt, dass die Eurokrise ja auch Folge- bzw. Zweitrundeneffekte auslöst.
- Der Euro hat seit Zuspitzung der Krise Anfang 2010 auf realer Basis gegen einen breiten Korb an Währungen 15% verloren. Damit sind Güter aus der Eurozone billiger geworden. Zwar überlagern sich die Angebote aus Europa und Asien nicht sehr stark, dennoch kostet diese Entwicklung Asien Marktanteile.
- Einige potentiell mögliche Szenarien für den weiteren Verlauf der Eurokrise sind nicht nur für die Staaten der Eurozone selbst extrem kostspielig (z.B. eine Rückkehr zum Status vor Einführung des Euros). Vor diesem Hintergrund ist die Unsicherheit hoch (schlecht für die Wirtschaft) und wird Vorsorge für ein Worst Case Szenario getroffen (Versicherungen kosten immer Geld).
- Dazu kommt, dass die Krise in Europa global das Investitionsklima belastet. In Zeiten extremer politischer Unsicherheit, etwa gemessen am Index von www.policyuncertainty.com, will niemand investieren.
Dennoch darf man nicht übersehen, dass viele wichtige asiatische Volkswirtschaften in einer relativ guten Position sind, diese Entwicklungen zu managen.
- Die Regierungen verfügen – anders als in vielen Industriestaaten – über die Möglichkeiten, sowohl geld- als auch fiskalpolitische Akzente zu setzen. Dazu kommt, dass die „staatskapitalistische“ Struktur vieler asiatischer Länder auch schnelle Reaktionszeiten ermöglicht, wenngleich auch auf Kosten der demokratischen Mitbestimmungsrechte und – wenn die ökonomische Theorie etwas wert ist – zum Preis langfristiger Ressourcenfehlallokationen.
- Eine Ablösung des rein exportorientierten Wachstumsmodells durch ein stärker auf das Binnenwachstum fokussiertes Modell war ohnehin nur eine Frage der Zeit. Vergleicht man etwa, wie viele Ressourcen China in den Aufbau von Exportindustrien investierte mit den Zahlen anderer Länder in vergleichbaren Phasen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung war klar, dass dieser Wechsel auch ohne Eurokrise gekommen wäre. Deshalb war und ist dieser Prozess in Gang und wurde in China auch offiziell von der Regierung in den Mittelpunkt ihrer Wirtschaftspolitik gestellt. Phasen „schöpferischer Zerstörung“ brauchen aber immer Zeit und kosten Geld. Von daher wird diese Übergangsphase auch in Asien ihre Spuren hinterlassen.
Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone wird unseres Erachtens derzeit relativ wenig von der Performance der asiatischen Volkswirtschaften bestimmt. Zwar spielen eine Reihe von Faktoren bei der Bestimmung der Wechselwirkung zwischen Asien und der Eurozone eine Rolle (z.B. Wechselkurse, Höhe des Wirtschaftswachstums, Export- und Importstruktur, Preissensitivität der Exporte und Importe, etc.), netto werden die Auswirkungen auf die Eurozone aber sehr gering sein, und im Vergleich zu den hausgemachten Problemen verblassen. Die Hoffnung, dass eine deutliche Abwertung des Euros (als solche kann man die bisherige Bewegung des Euros getrost bezeichnen) die Probleme der Eurozone lösen werden, wird sich allerdings nicht bewahrheiten. Selbst Exportweltmeister Deutschland schrammt inzwischen nur mehr knapp an der Rezession vorbei. Im Aggregat weist die Eurozone nur einen geringen Leistungsbilanzüberschuss aus."
Dr. Andreas Höfert, Chefökonom, UBS Wealth Management (09.08.2012): "Im Zeitalter der Globalisierung ist es normal, dass die internationalen Wechselwirkungen der verschiedenen Konjunkturzyklen wichtig sind. Man muss sich nur die Krise von 2008-2009 in Erinnerung rufen. Damals als sowohl die Vereinigten Staaten als auch Europa in die Rezession fielen, konnte sich auch der Rest der Welt und insbesondere China nicht gänzlich davon befreien.
Allerdings war es interessant festzustellen, dass durch eigenständige Konjunkturimpulse China sehr schnell wieder Fuss fasste bis hin zur Überhitzung. Es konnte sogar als Wachstumslokomotive agieren. Dies, nicht nur für Schwellenländer sondern auch für entwickelte Länder, vor allem diejenigen welche stark nach Südostasien exportorientiert sind.
Natürlich lastet die derzeit die erneute Rezession in Europa bedingt durch die Eurokrise auf das chinesische Wachstum. Viel wichtiger, um die derzeitige Konjunkturflaute im Reich der Mitte zu verstehen ist allerdings die Tatsache, dass diese durch restriktive Fiskal- und Geldpolitiken in 2011 hausgemacht worden ist.
Dies bedeutet, dass China mit erneuten wirtschaftspolitischen Impulsen vermutlich seine Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte 2012 wieder ankurbeln kann. Ob auch diesmal einige europäische Länder davon profitieren können, bleibt aber offen."
Reinhold Knaus, Senior Economist & Portfoliomanager, BNP Paribas Investment Partners (13.08.2012): "Die Euro-Staatsschuldenkrise hinterlässt – nicht nur in China – zunehmend Bremsspuren in den Exporten. Dies verstärkt derzeit die globalen Abschwächungstendenzen. In einer ohnehin schwierigen Phase nimmt die Anfälligkeit der Eurozone für eine tiefe Rezession zu, da der chinesische Beitrag zum Weltwachstum deutlich kleiner ausfällt als gewohnt. Das BIP-Wachstum im 2. Quartal erreichte im Reich der Mitte nur noch 7,6 % zum Vorjahr. Das liegt nur noch hachdünn über dem Ziel der Regierung von 7,5 % für 2012. Mit Zinssenkungen und Ankurbelung der Staatsnachfrage hat China bereits gegengesteuert. Die Euro-Staatsschuldenkrise erhöht die Notwendigkeit für eine Stärkung der Binnennachfrage und Reduzierung der Abhängigkeit von den Exporten in den Augen der Regierung. Der Rückgang der Inflationsrate auf 1,8 % im Juli, dem niedrigsten Wert seit Januar 2010, vergrößert den Spielraum für eine expansivere Wirtschaftspolitik. Umgekehrt würde eine Belebung in China dann auch zu einer Aufhellung der Perspektiven in der Eurozone beitragen."
José Antonio Blanco, Regional Chief Investment Officer EMEA UBS Global Asset Management (13.08.2012): "Das schwächere Wachstum in der Eurozone hat zur Folge, dass die Nachfrage nach Konsumgütern sinkt. Besonders betroffen davon sind die exportorientierten asiatischen Emerging Markets, allen voran China. Gleichzeitig wirkt sich die Eurokrise auch indirekt auf die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder aus, etwa indem die erhöhte Vorsicht der Anleger zu einer Fehlallokation von Kapital führen kann. Eine konjunkturelle Abkühlung in Asien hätte wiederum negative Folgen für die europäische Wirtschaft, weil dadurch die Nachfrage nach bestimmten Konsum- und Investitionsgütern deutlich zurückginge. Konkret würden zum Beispiel weniger Luxusautos und Industriemaschinen importiert. Einige dieser Länder verfügen zudem über beachtliche Währungsreserven. Die andauernde Unsicherheit könnte sie dazu veranlassen, in Zukunft nicht mehr in der Eurozone zu investieren oder sogar bestehende Anlagen zu liquidieren. Dies würde unter anderem die Refinanzierug der Euro-Staaten erschweren."
Dr. Holger Sandte, Chefvolkswirt der WestLB Mellon Asset Management KAG, & Lasse Wilbert (13.08.2012): "China spürt die Euro-Krise, und das dürfte erst einmal so bleiben. Chinas Exporte werden weiter unter der verhaltenen Nachfrage aus der Eurozone – dem bedeutendsten Außenhandelspartner noch vor den USA – leiden. Dabei sind die Ausfuhren nach Europa nicht die einzige Sorge der chinesischen Regierung, man denke nur an die Immobilienblase und das Schattenbankensystem. Auch andere Emerging-Markets bekommen die europäischen Probleme zu spüren – es kann in einer vernetzten Weltwirtschaft ja nicht anders sein.
Auch Rückwirkungen von Asien nach Europa sind sichtbar. Allerdings leiden die deutschen Exporte viel stärker unter der Schwäche wichtiger Euro-Partner als unter China. Für Deutschland war China im Jahr 2011 schon die fünftwichtigste Exportdestination, mit nur geringem Rückstand auf die Niederlande und das Vereinigte Königreich. Der Aufholprozess im Reich der Mitte wird – wenn auch verlangsamt - anhalten, wovon z.B. die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer weiter profitieren werden.
Im Euroraum dürfte es vorerst bei der stagnativen bis leicht rezessiven Tendenz bleiben. Unter diesen Umständen ist der chinesischen Wirtschaft in diesem und im nächsten Jahr ein Wachstum von 7,5% bis 8% zuzutrauen. Sollte die Entwicklung in Europa sehr viel ungünstiger verlaufen oder das Wachstum der aufstrebenden Volkswirtschaften aus anderen Gründen in Gefahr geraten, verfügen viele dieser Länder über Spielraum, die Geld- und Fiskalpolitik zu lockern und damit Konjunkturimpulse zu setzen. Fazit: Die Emerging-Markets Asien werden die Weltwirtschaft weiter vorantreiben, wenn auch mit verringerter Schlagzahl."
Gerhard Winzer, Chief Economist, Erste Sparinvest (14.08.2012): "Auf lange Sicht ist das Aufholpotenzial der Emerging Markets intakt. Eine Abkopplung von den krisenhaften Erscheinungen in den Industriestaaten (Risiken: Liquiditätsfalle, Schuldenfalle, Auseinanderbrechen des Euro, Fiscal Cliff-Debatte in den USA) ist jedoch nicht möglich. Die wirtschaftliche Aktivität in Asien wird derzeit vor allem über zwei Kanäle negativ beeinträchtigt. 1) Das Wachstum der Exporte ist vielfach rückläufig. Das wird durch die globalisierte Natur der Industrieproduktion verstärkt. 2) Vor allem europäische Banken reduzieren die Liquidität für asiatische Banken, die mit einer Verschärfung der Kreditvergaberichtlinien reagieren. Weil sich auch das Wirtschaftswachstum abschwächt, fällt das Kreditwachstum.
Die Risiken in den Developed Markets werden vor allem durch die Schaffung von sehr viel Liquidität durch die großen Zentralbanken bekämpft. Die Zentralbanken in den EM nutzen ihr „konventionelles“ Arsenal und senken moderat die Leitzinsen. Bemerkenswert ist, dass in China auf breiter Ebene (monetärer, fiskalisch, finanzpolitisch) entgegengesteuert wird.
Da die Geldmarktzinsen in vielen Teilen der entwickelten Welt bei null und die Renditen von kreditsicheren Anleihen nur knapp über null Prozent sind, besteht eine hohe Nachfrage nach höher verzinsten Veranlagungsalternativen (Unternehmensanleihen, EM – auch asiatische – Anleihen, höher verzinse Währungen). Zudem haben die asiatischen Währungen ein langfristiges Aufwertungspotenzial. Auch hier wird der durch die Bankenkrise verstärkte Disintermediationsprozess sichtbar.
Damit die Rückkopplung auf Europa nachhaltig und spürbar ist, müsste eines der nach unten gerichteten Risiken rund um das langfristige Basisszenario einer schwachen, langsamen und fragilen Erholung schlagend werden."
Stuart Thomson, Chief Market Economist, Ignis Asset Management (14.08.2012): "In a globalised world there is no such thing as decoupling. The European sovereign debt crisis has already led the emerging markets to experience growth-recessions during 2012 and we expect this subdued growth to continue over the next twelve months. We do not believe that there will be any resolution of Europe’s interminable crisis during this period and the region is likely to remain in recession during 2013. This will act as a drag on global growth. Economists define growth-recessions are growth, which is greater than zero but less than the economy’s productive potential, which in turn is disinflationary because it widens the output gap and weakens employment. The impact on employment this year has been relatively mild because it corrects the excess growth in 2011, but as the sluggish growth persists into 2013, emerging market governments will increasingly grapple with higher unemployment. These governments have been slow to respond this year, largely because they are wary of repeating 2008-2010 when they provided substantial stimulus only to be matched by the developed economies leading to higher inflation in emerging economies during 2011. This classic prisoners’ dilemma of waiting to see what the Fed does, leads to a sub-optimal policy outcome, which in turn will lead to sub-optimal growth."
Dr. Thomas Liebi, CFA, Chief Economist, Swisscanto Asset Management Ltd. (14.08.2012): "Haupttreiber für das Wirtschaftswachstum in China waren in den vergangenen Jahren die Investitionen und der Konsum. Entsprechend ist die Entwicklung der Binnenwirtschaft für Chinas Wachstum wichtiger als die Exporte, wenngleich diese in den vergangenen Monaten einen negativen Wachstumsbeitrag leisteten. Sollten im Zuge einer globalen Wachstumsabschwächung die Rohstoffpreise unter Druck kommen, so könnte sich dies für China über tiefere Importpreise sogar stabilisierend auswirken bzw. zusätzliche Stimulierungsmassnahmen ermöglichen. Umgekehrt würde die Eurozone eine deutliche Abschwächung in China auch zu spüren bekommen. Nicht zuletzt Deutschland, dank welchem die Eurozone zurzeit nicht noch tiefer in der Rezession steckt, verzeichnet einen Handelsüberschuss im Verhältnis mit dem Reich der Mitte."
Florian Roger, Head of Macroeconomics bei Amundi, Paris (16.08.2012): "The Euro debt crisis has a first round effect on the external trade, as shown by the export data. Exports growth slowed from 11,3% yoy to 1% yoy as exports to Europe dropped from -1.1% to -16.2%. It also has a second round effect on confidence. A monetary stimulus is less efficient when there are uncertainties on the global environment as firms will think twice before investing, despite the easing in their financial conditions. Should the European crisis sharply worsen, it may further more have a negative impact on the banking sector.
This context of weakened Asian economies would in turn lead to a fall in European countries exports, making it more difficult to deal with the sovereign crisis, as budgetary revenues will decrease."
Economics Forum: Investment Strategen und Ökonomen antworten
Auf monatlicher Basis stellt e-fundresearch.com eine aktuelle Frage mit Bezug zu volkswirtschaftlichen Zusammenhängen und Entwicklungen auf den Kapitalmärkten an eine Gruppe renommierter Ökonomen und Kapitalmarktstrategen. Die Antworten werden im ECONOMICS Channel dargestellt (seit Mai 2011).