Aktuelle Frage im Economics Forum:
"Erwarten Sie eine Fortsetzung des Sparkurses innerhalb der Eurozone? Welche Auswirkungen könnte dies auf die Entwicklung des Wirtschaftswachstums in den größten Volkswirtschaften haben?"
“Sanierung der öffentlichen Haushalte und Umstrukturierung der Wirtschaften ist sicherlich wichtig, um die Eurokrise zu lösen und es ist deshalb zu vermuten, dass die nordeuropäischen Länder an diesem Kurs festhalten wollen.
Leider wird dies für die Menschen in den südeuropäischen Ländern durch nichts abgefedert und sie sehen auch konkret keine Erfolge solcher Politiken sondern nur die negativen Auswirkungen in ihrem eigenen täglichen Leben. Die Arbeitslosenquoten in Griechenland und Spanien liegen mittlerweile bei über 25% und die Jungenarbeitslosigkeit liegt zwischen 50-60%. Italien dürfte Ende 2013 ein Bruttoinlandprodukt aufweisen, das tiefer liegt als 2001, d.h. vor zwölf Jahren. Der politische Druck (man denkt an die italienischen Wahlen) und der soziale Druck (man sollte sich auf einen heißen französischen Frühling gefasst machen) wird immer größer. Die Länder der Peripherie werden sich gegen weitere Sparbemühungen wehren.
Wie dem auch sei, an der Tatsache, dass die Eurozone in 2013 ein weiteres verlorenes Jahr erleben wird (die EZB hat gerade ihre Wachstumsprognose für 2013 auf -0.5% runtergenommen), wird dies nichts ändern. Europa ist und bleibt das schwache Glied der Weltwirtschaft und die extremen Sparbemühungen und –programme sind zumindest teilweise an dieser Lage Schuld.”
"Auf den ersten Blick ist die Bilanz ernüchternd. Nach bis zu vier Jahren Konsolidierungspolitik in Europa lagen die Budgetdefizite 2012 in den meisten Peripherieländern immer noch über der kritischen Hürde von 3% der nominalen Wirtschaftsleistung, in Spanien sogar bei rund 10%. Rechnet man aber die starken Haushaltsbelastungen infolge der Rezessionen heraus, sieht die Bilanz schon besser aus. Dennoch steht vielen Ländern noch eine lange Phase staatlicher Einsparungen ins Haus. Inzwischen deutet sich ein Entgegenkommen seitens der EU-Kommission hinsichtlich des Zeitraums zur Erreichung der Defizitziele an. Solange diese zeitliche Streckung von den Kapitalmärkten nicht als der Anfang vom Ende des Sparens interpretiert wird, ist dies eine sinnvolle Entscheidung, um eine Abwärtsspirale aus Sparen und Schrumpfen zu vermeiden. Das Jahr der größten Sparanstrengungen hat Europa damit schon hinter sich gebracht. Man fährt zwar weiter mit der angezogenen Handbremse der Konsolidierung, aber immerhin mit nachlassender Bremskraft."
"Zur Bekämpfung der globalen Wirtschaftskrise haben alle europäischen Volkswirtschaften sehr expansive Fiskalpolitik betrieben. Dies hat sich in vielen Fällen dramatisch auf die Staatsverschuldung ausgewirkt. Deshalb versucht Deutschland derzeit, die Euroländer wieder auf einen Maastricht-konformen Kurs zu bringen. Gegen diese Sparpolitik werden immer wieder Stimmen laut (beispielsweise aus Frankreich), die einen Verzicht auf Einsparungen zu Gunsten höheren Wirtschaftswachstums bzw. niedrigerer Arbeitslosigkeit fordern. Unserer Einschätzung nach wäre das jedoch der falsche Weg. Die Unternehmen haben die Krise genutzt, um sich besser zu positionieren. Gemeinsam mit den privaten Haushalten stehen sie bereit, um den Rückgang in der Nachfrage durch die öffentliche Hand zumindest teilweise aufzufangen. Damit bleibt die Eurozone zwar von einem Boom entfernt, kann aber die Gunst der Stunde nutzen um die Staatshaushalte wieder „gesund zu schrumpfen“.
Reinhold Knaus,Senior Economist and Portfoliomanager bei BNP Paribas Investment Partners (12.03.2013): "In vielen Ländern wurden, wie in Spanien und Italien, aggressive Sparprogramme umgesetzt. Dies hat zur Vertiefung der Rezession im 4. Quartal 2012 in der Eurozone beigetragen. Eine zusätzliche Straffung wegen der sich abzeichnenden Verfehlung der Defizitziele 2013 ist nicht zu erwarten. Die EU-Kommission hat bereits Bereitschaft signalisiert dies für Spanien, die Niederlande und Frankreich zu akzeptieren. Paradoxerweise könnten die damit im Jahresverlauf nachlassenden negativen Impulse der Konsolidierung, in Verbindung mit der expansiven Geldpolitik eine langsame Erholung der Wirtschaft in der Eurozone unterstützen. Dabei gibt es klare Unterschiede: Irland, Spanien, Portugal und teilweise auch Italien sind im Prozess weiter, während Frankreich noch am Anfang steht. Ein Fokus auf die mittelfristige Erreichung der Defizitziele und auf die langfristig wachstumsfördernden Strukturreformen ist aktuell zu rechtfertigen. Das Risiko ist allerdings, dass aus einer Ausnahme schnell ein Dauerzustand wird. Insgesamt wird auf Jahre hinaus die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte europaweit eine Wachstumsbremse sein. "
"One of the lessons of the Italian elections has clearly been that , in the present environment, a strong budget tightening can lead to a sharp economic contraction and that a sharp economic contraction pushes the unemployment rate higher . The social acceptance of both budget austerity and economic reforms then diminishes and confidence in the virtues of the euro is eroded. This scenario just played out in Italy after the accelerated fiscal tightening put in place at end of summer 2011. Without saying it too loudly , European governments and Brussels have learned the lesson and will, hopefully, avoid a replay of this sequence: the push towards ambitious fiscal targets should be more cautious and discrete forbearance for those who don’t meet their targets will become the rule (provided they can prove they tried !). In this respect, the way France will be treated during the “European semester” that starts now in Brussels will be a test. From now on , it is likely that further budget tightening will proceed at a more moderate pace . If not, activity in the euro area will remain dangerously weak. "
Dieter Guffens, Senior Economist bei KBC Asset Management in Brüssel (12.03.2013):
"Der Sparkurs in den öffentlichen Haushalten in der Eurozone wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Zur Konsolidierung der Staatsfinanzen und zur Wiederherstellung der zukünftigen Handlungsfähigkeit der Fiskalpolitik ist dies notwendig. Eine der wenigen Ausnahmen ist Deutschland, das in 2013 sehr wahrscheinlich einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wird und im Prinzip sogar eine leichte fiskalisch Konjunkturstimulierungspolitik führen könnte.
Der Sparkurs in der Eurozone wird natürlich an sich das Wirtschaftswachstum abschwächen, indem er die Binnennachfrage schwächt. Zwei Faktoren werden jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach dafür sorgen, dass diese Abschwächung begrenzt sein wird. Erstens verhalten sich sowohl der Internationale Währungsfonds als auch die Europäische Kommission in letzter Zeit pragmatischer. Sie wollen vermeiden, dass die Konsolidierungspolitik zu pro-zyklisch wirkt in der aktuellen Rezession und geben zu, dass sie in der Vergangenheit den Schaden des Sparkurses für das Wirtschaftswachstum unterschätzt haben. Zusammengefasst herrscht jetzt mehr ein „New Fiscal Realism“ anstelle des früheren „Brussels consensus“.
Zweitens wird mehr und mehr deutlich, dass die Weltwirtschaft als Ganzes an Fahrt gewinnt. Das gilt vor allem für die USA, Asien und auch für die deutsche Wirtschaft. Normalerweise werden auch die südlichen Länder der Eurozone in den nächsten Quartalen von dem Wachstum des deutschen Absatzmarktes stärker profitieren. Wenn das eintritt, wird dies die negativen Konjunktureffekte der restriktiven Fiskalpolitik teilweise kompensieren."
"In der Eurozone versuchen in vielen Ländern einige Sektoren (Staat, Banken, teilweise die Konsumenten) den jeweiligen Schuldenstand gleichzeitig zu reduzieren. Darüber hinaus sind die notwendigen Voraussetzungen für den nachhaltigen Bestand der Eurozone noch nicht gegeben. Die Anpassungsprozesse und die Unsicherheiten hinsichtlich des wirtschaftlichen Ausblicks sowie des Risikos für das Auseinanderbrechens der EWU behindern den Transmissionsmechanismus des Geldes und drücken auf die wirtschaftliche Aktivität (je tiefer die Zinsen, desto mehr Kreditvergabe). Das größte Risiko für die EWU stellen „Ermüdungserscheinungen“ im Aufbau der Institutionen auf Ebene der EWU und bei den schmerzhaften Einsparungen auf nationaler Ebene dar (siehe den Ausgang der Wahlen in Italien). Denn der Zielkonflikt zwischen Einsparungen / Reformen einerseits und Anstieg der Arbeitslosigkeit andererseits bleibt so lange bestehen, solange der Zielkonflikt zwischen Erhalt der nationalen Souveränität vs. Moral Hazard nicht ausreichend gelöst ist. Ohne eine gemeinsame Fiskal-, Finanz- und Wirtschaftspolitik kann eben schwer sichergestellt werden, dass Transfers / Kredite / Garantien nicht verschwendet und Reformen umgesetzt werden. Die langfristige wirtschaftliche Erholung in der Eurozone und in anderen wichtigen Industriestaaten bleibt damit schwach, langsam und fragil. Die Hoffnung ist, dass die unkonventionelle geldpolitische Strategien der G-4 Zentralbanken (Fed, BoE, BoJ, in geringerem Ausmaß die EZB), über 1) höhere Assetpreise, 2) eine Verminderung der Eskalationsrisiken, 3) die Beeinflussung der Erwartungen der Wirtschaftsagenten (Unternehmen, Konsumenten), 4) negative reale Zinsen und 5) im Fall von Japan über eine Währungsabschwächung die Ausgaben des privaten Sektors langfristig steigern ein Abgleiten in eine Liquiditätsfalle verhindern können."
"Die Pattsituation nach den Wahlen in Italien hat den Marktteilnehmern deutlich gemacht, dass die Eurokrise noch lange nicht ausgestanden ist. Der Widerstand gegen die Austeritätspolitik wächst – nicht nur in Italien. Reformen tun weh und es ist zu erwarten, dass sich die Politik dem Druck der Strasse beugen und eine sanftere Gangart einschlagen wird. Dabei besteht die Gefahr, dass die Fiskalpolitik in alte Muster zurückfällt. Trotzdem sollte man nicht ausser Acht lassen, dass sich in den betroffenen Staaten einiges bewegt hat. So hat Spanien zum Beispiel sein massives Leistungsbilanzdefizit seit Ausbruch der Eurokrise in einen deutlichen Überschuss verwandelt. Inmitten des Reformdrucks und der Bürgerproteste zeichnet sich eine Verbesserung des Geschäftsklimas ab. Eine Lockerung der Defizitziele könnte den angeschlagenen Staaten mehr Luft verschaffen und helfen, die Stimmungstiefs zu überwinden."
"No we do not. At this stage, more austerity measures would prove counterproductive. The examples of Spain, Greece and Portugal demonstrate a vicious circle between banking crisis, sovereign debt crisis and recession. Credit becomes more costly for businesses and households. It is likely that the bank deleveraging aggravates the pro-cyclicality of fiscal austerity policies implemented in the current low-growth environment. The fact that countries, intertwined through trade, implement austerity measures simultaneously strengthens, at the end of the day, the restrictive impact of these measures. In other words, fiscal multipliers are much higher than initially thought. Keep in mind that without growth, debt burdens become unsustainable. The economic and financial fragmentation of the eurozone demands a more pragmatic short-term economic policy approach. Eurozone economies need structural reforms (to boost potential growth) and a credible commitment to fiscal consolidation, but not austerity per se."
“European politics is certainly a messy arena at present so there may well be further austerity measures. However, growth is still on the cards and will be achieved – it will just take time. The bottom line is that European companies are expanding in growth markets, while managing the tough domestic environment well. From an economic perspective as well, many of the previous inconsistencies, wastage and inefficiencies are beginning to be addressed. That has to be good news; but as I am always keen to state, investor patience will be required.”
Economics Forum: Investment Strategen und Ökonomen antworten
Auf monatlicher Basis stellt e-fundresearch.com eine aktuelle Frage mit Bezug zu volkswirtschaftlichen Zusammenhängen und Entwicklungen auf den Kapitalmärkten an eine Gruppe renommierter Ökonomen und Kapitalmarktstrategen. Die Antworten werden im ECONOMICS Channel dargestellt (seit Mai 2011).