In der letzten Woche veröffentlichten die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute ihre Prognose für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft im kommenden Jahr. Das Ergebnis sieht gut aus. Die Wirtschaft soll nach zwei mageren Jahren (0,7 und 0,4%) erstmals wieder ordentlich wachsen (1,8%). Die Beschäftigung steigt. Die Inflation bleibt niedrig. Die Trockenzeit der Krise scheint vorbei. Deutschland steht wie es in dem Gutachten heißt „am Beginn des Aufschwungs".
Dies entspricht weitgehend der herrschenden Meinung und den anderen bisher vorliegenden Prognosen. Es gibt auch gute Gründe dafür. Die Stimmung in der Wirtschaft ist gut. Das ifo-Geschäftsklima geht nun schon zum fünften Mal hintereinander nach oben. Die Automobilindustrie boomt und kämpft um die Vorherrschaft bei Elektroautos in der Welt. Der Welthandel expandiert, nach Schätzungen des IWF um 4,9% (nach 2,9% in diesem Jahr). Die Eurokrise entspannt sich. Bei den Investitionen gibt es Nachholbedarf. Die deutschen Unternehmen haben seit zwei Jahren nicht mehr richtig investiert. Die privaten Haushalte müssten von der zunehmenden Beschäftigung, den steigenden Löhnen und der niedrigen Preissteigerung profitieren.
Die Ausgangsposition für einen Aufschwung ist daher so gut wie schon lange nicht mehr. Gleichwohl hatte ich bei der Lektüre des Gutachtens Bauschmerzen. Mir war das etwas zu viel Optimismus.
Vor einem Jahr hatten die Institute schon einmal davon gesprochen, dass sich die Konjunktur beleben würde. Getan hat sich dann aber nichts. Ich kann auch noch nicht den Elan in den Unternehmen erkennen, der eine so starke Erholung rechtfertigen würde. Es gibt in Deutschland weder in der Politik noch in der Wirtschaft eine Aufbruchsstimmung. Zudem gibt es noch viele Risiken. Schließlich: Wenn alle Experten einer Meinung sind, muss man vorsichtig sein. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es am Ende anders kommt.
Hier daher ein paar Kontrapunkte zu dem Gutachten: Erstens ist das Wachstum im Euroraum, wo sich die spektakulärsten Verbesserungen ergeben, noch sehr gering. Es wird kaum über 1% hinausgehen. Zudem sind diese Länder inzwischen wettbewerbsfähiger geworden. Das Geschäft auf ihren Märkten ist für die Deutschen daher schwieriger. Darüber hinaus befinden sich die beiden wichtigsten Handelspartner in Euroland, Frankreich und Italien, immer noch mitten in der Krise; hier gibt es wenig Konsolidierungs- und Reformfortschritte.
Zweitens ist das Bild im Rest der Welt sehr gemischt. Die USA leiden noch an der Unsicherheit über den weiteren Fortgang der Haushaltskrise. Die Finanzpolitik könnte restriktiver ausfallen. In den Schwellen- und Entwicklungsländern ist das Wachstum zwar noch hoch, es hat sich aber spürbar verlangsamt. Die Erwartungen vieler Exporteure haben sich nicht erfüllt. Im letzten und in diesem Jahr expandierte die chinesische Volkswirtschaft beispielsweise jeweils real um 7 bis 8%. Die deutschen Lieferungen in das Land sind per Saldo aber nicht mehr gestiegen, sondern gesunken.
Drittens beschränken sich die Investitionen zum großen Teil auf Rationalisierungsmaßnahmen zur Einsparung von Kosten und zum Ersatz von Arbeitskräften. Es gibt wenig Erweiterungen, Innovationen oder neue Produkte. Nur durch sie bekäme der Aufschwung aber die nötige Dynamik. In der Energiebranche herrscht Unsicherheit über den Fortgang der Energiewende. Vielleicht könnte sich durch die Einführung des Mindestlohns ein Anreiz ergeben, im Niedriglohnsektor Arbeit stärker durch Kapital zu ersetzen.
Viertens: Der Bau hat eine starke Expansionsphase hinter sich. Inzwischen sind die Preise in den Innenstädten für Wohnungen und Häuser aber sehr hoch. Die Bundesbank hat gerade vor Blasen auf dem Immobilienmarkt gewarnt. Das hält manchen vor weiteren Vorhaben ab. Im Bereich der Infrastruktur sollen zwar neue Projekte aufgelegt werden. Bis sie jedoch produktionswirksam werden, wird es noch eine Weile dauern.
Fünftens: Bei den Verbrauchern gibt es keinen Kaufrausch. In vielen Bereichen ist der Bedarf gesättigt. Es gibt auch keine Innovationen, von denen die Konsumenten angezogen werden könnten. Nach wie vor gibt es viel Krisenangst bei den privaten Haushalten, die sie von zu viel Konsum abhalten.
Sechstens: Schließlich werden sich die monetären Konditionen im Verlauf des kommenden Jahres eher verschlechtern. Die Zinsen könnten leicht ansteigen – zunächst durch ein Überschwappen des Tapering aus den USA. Im Verlauf des Jahres könnte aber auch die Haltung der EZB etwas restriktiver werden. Die Finanzpolitik wird eher restriktiver sein. Die Steuereinnahmen steigen stark an. Vielleicht gibt es zusätzliche Abgabenerhöhungen durch die neue Regierung.
Insgesamt erwarte ich für das kommende Jahr zwar auch ein höheres Wachstum. Es dürfte aber schwer sein, mehr als 1% real zu erreichen.
Für den Anleger: Die Märkte werden im nächsten Jahr in einer Spannung stehen zwischen besserer Konjunktur und schlechteren monetären Bedingungen. Mehr Wachstum würde unter diesen Umständen in jedem Fall helfen. Es muss freilich nicht so hoch sein, wie die Forschungsinstitute es annehmen.
Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
direktanlage.at
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