Am Donnerstag (Okt 17) nahm ich wieder am halbjährlichen OECD Financial Roundtable im Pariser HQ teil. Bei diesem Zusammentreffen der 34 Mitgliedsdelegationen, Zentralbanken und einer ausgewählten Gruppe an Finanzmarkt-Akteuren steht der unmittelbare Austausch zu einem aktuellen Thema im Vordergrund.
Nun findet der Roundtable unter Einhaltung der Chatham House Rules statt. Dementsprechend konzentriere ich mich in meiner Zusammenfassung der Eindrücke auf allgemeine Beobachtungen während des Austausches.
Auch diesmal war es für alle Beteiligten eine Herausforderung, sich nicht im vorhersagbaren „Talking Your Book“-Syndrom zu verlieren. Speziell die anwesenden Interessensverbände hätten auch ein Tonband zum Abspielen einfliegen lassen können.
Hauptthema „Finanzielle Fragmentierung“
Was ist unter einer Fragmentierung der Finanzmärkte zu verstehen? Beispiel Eurozone: Unternehmen in der Peripherie sind bei gleichem Kreditrisiko und gleichen unternehmerischen Möglichkeiten mit höheren Finanzierungskosten konfrontiert als Unternehmen der Kernländer. Behindert die finanzielle Fragmentierung nun die ökonomische Konvergenz und trägt zur schwachen wirtschaftlichen Entwicklung der Eurozone bei?
Meine Gedanken zum Thema
Fragmentierung ist nicht grundsätzlich negativ zu interpretieren. Eine Evaluierung von separierbaren Systemen erlaubt eine akkuratere Bepreisung. Das Problem liegt in der Separierbarkeit von Systemen wie dem einer offenen Volkswirtschaft. Die sich dynamisch entwickelnde, realwirtschaftliche Globalisierung seit Anfang der 1980er – zumindest bei Waren und Rohstoffen – bedurfte einer begleitenden Entwicklung von Banking Services und Finanzmärkten zur rascheren Anpassung in der Allokation von realwirtschaftlichen Ressourcen.
Die Repräsentantin einer der weltgrößten Banken formulierte es am Roundtable wie folgt: „Wir sind unseren Kunden gefolgt.“ Österreichische Banken verwenden die gleiche Formulierung, wenn nach dem Grund ihrer Ostexpansion gefragt. Soweit, so gut.
Diese parallele Entwicklung an weltweitem Austausch von Gütern und eines weltweiten Bankensystems funktionierte relativ gut. Man denke nur daran, wie rasch Kapital in Emerging/Frontier Markets transferiert und auch wieder abgezogen werden kann.
Das Problem
Seit Beginn dieser Entwicklung predigen Banken das Mantra der „Selbstregulierung“. Anfangs entsprach dieses dem Zeitgeist. Deregulierungsbemühungen a la Reagnomics und Thatcherismus standen an der Tagesordnung.
Surprise, surprise:
Selbstregulierung funktioniert nicht.
Dies ist keine spezifische Ausprägung des Bankensystems. Wir kennen Kartellbildungen, Preisabsprachen und andere Formen der Kungelei zwischen Marktteilnehmern auch aus anderen Branchen. Im Bankensystem führte die Kombination aus Globalisierung, Deregulierung und Digitalisierung neben den zuvor genannten Ausprägungen auch zu einer Risikoaffinität, die Bankbilanzen stark mit Positionen ohne direkten realwirtschaftlichen Nutzen anschwellen ließ.
Nassim Taleb und Warren Buffett würden sagen, bei den Akteuren fehlte „skin in the game“. Darunter versteht man ein Phänomen, dass diejenigen, die Risiken erzeugen, zwar die Erträge daraus mitnehmen, aber nicht die Kosten dieser Risiken tragen. Damit werden solche Personen zu Risikofaktoren für die Gesellschaft. Sie werden bestimmt von der Phrase gehört haben, dass „Too-Big-To-Fail“-Banken in dieser Zeit Gewinne privatisiert, Verluste jedoch sozialisiert haben. Ein Paradebeispiel für fehlendes „skin in the game“.
Die negativen Implikationen der finanziellen Fragmentierung wurden erst durch Deregulierung und der daraus folgenden Ausdünnung von Befugnissen und Budgets nationaler Regulierungsbehörden ermöglicht. Die Annahme, Selbstregulierung würde als Kompensator eingreifen, wurde unter hohen sozialen und finanziellen Kosten falsifiziert.
Blame Game
Nun ist ein Aspekt erstaunlich. Zwischen Finanzmarktteilnehmern, speziell den Systembanken, die von der gegenwärtigen Re-Regulierungswelle am Stärksten betroffen sind, und den Regierungen, samt angehängten Regulierern, ist ein Blame Game im Gange. Systembanken beklagen, wie auch während des Roundtables hörbar, den Umfang und die fehlende internationale Koordination der Regulierungsvorgaben. Regierungen begegnen dem Vorwurf damit, auf die sozialisierten Verluste der Bankenkrise zu verweisen, also den Banken die Schuld für diese Gegenbewegung in die Schuhe zu schieben.
Ladies & Gentlemen, you both screwed up.
Ein Blame Game ist nicht notwendig, denn beide Seiten waren für die große Fallhöhe von Systembanken in Nordamerika und Europa verantwortlich. Die eine Seite, die glaubte, mit regulatorischer Entfesselung der Volkswirtschaft, oder zumindest den eigenen Großspendern, einen Gefallen zu tun. Die andere Seite, die die Entfesselung als Einladung verstand, unethisch und realwirtschaftlich unproduktiv Kapital zu vermehren.
Als Ironie der Geschichte darf angesehen werden, dass sich die Zentralbanken der Weltwährungen, die sich im Laufe des 20. Jh ihren Nimbus als unabhängige Hüter des Geldsystems mühsam aufbauten, nun quasi als unbeteiligte Dritte die Rechnung für die beiden Blame-Game-Parteien bezahlen müssen. Sie bezahlen mit ihrer Unabhängigkeit.
Weshalb sind sowohl Regierungen/Regulatoren als auch Systembanken verantwortlich? Die zuvor angeführte Kombination aus Globalisierung, Deregulierung und Digitalisierung geschah nicht über Nacht. Im Laufe von rund 30 Jahren trugen beide Seiten im Wechselspiel dazu bei. Nachfolgend gezeigt an zwei Beispielen:
Beispiel I - Glass Steagall Act
In den 1990ern lobbyierten die US Investment Banken (IB) in Washington, sie mögen doch nicht gegenüber den Europäischen Universalbanken benachteiligt werden, in dem die Trennung von IB und Geschäftsbank prolongiert wird. Als Treiber diente das aggressive Eindringen europäischer Universalbanken in das traditionelle Emissionsgeschäft der US IBs. Dieses war den Europäern möglich, weil mittels größerer Bilanzsumme und höheren Gearing, die Angebote für IPO Kandidaten mit attraktiveren Underwriting Terms ausgestattet werden konnten. 1999 gelangten die US IBs ans Ziel. Washington lieferte. Das zuvor bereits aufgeweichte Trennbankensystem war zu Ende. Der Rest ist Geschichte.
Beispiel II - Investment Banking Partnership
US Investment Banken waren traditionell als Private Partnerships organisiert. Die Partner einer IB waren sich ihrer Letztverantwortung bewusst, denn sie mussten bei Fehlentscheidungen mit ihrem eigenen Vermögen für Verluste gerade stehen.
Merrill Lynch ging 1971 an die Börse. Bear Stearns folgte 1985, Morgan Stanley 1986 und Lehman Bros 1994. Goldman Sachs wartete noch den Fall von Glass Steagall ab und entschied sich 1999 für ein Listing. Eine Börsennotiz kann als sichtbares Zeichen für den Verlust von „skin in the game“ verstanden werden. Quasi die letzte Raketenstufe für den finalen Schub in die Unverantwortlichkeit.
Was nun?
Das Blame Game kann als unnötiger Teil der Vergangenheitsbewältigung beider Seiten verstanden werden.
Die Re-Regulierungswelle (Basel III, MiFID II, Solvency II, AIFMD, etc) stellt den Versuch dar, Regierungen/Regulatoren wieder auf Augenhöhe mit Finanzmarktteilnehmern zu hieven. Dieser Versuch verläuft durchaus zu unkoordiniert auf internationaler Ebene und erzeugt dementsprechende Kollateralschäden. Zumindest die Stoßrichtung stimmt.
Auch ist ein Lerneffekt im Zeitverlauf zu erkennen. Beginnend bei Basel III – a joke – über Dodd-Frank, zu einem guten Vickers Report, bis hin zu einem durchdachten Liikanen-Report vor einem Jahr, der eine zeitgemäße Einführung des Glass Steagall Act Prinzips für das Euro-Bankensystem vorlegte.
Die ungenügende Koordination von Regierungen/Regulatoren in der Re-Regulierung liegt meiner Meinung nach hauptsächlich an einem Punkt, den ich in meinem Beitrag zum Roundtable herausarbeitete:
In der Aufholbewegung der Regierungen/Regulatoren müssen sich diese endlich entscheiden, ob sie ihre Systembanken als Werkzeug für geostrategische Machtoptionen verwenden oder mit ihnen einen möglichst effizienten Markt etablieren wollen.
Nun würde die Sprachregelung von Offiziellen natürlich stets Markteffizienz als Ziel nennen. In Hintergrundgesprächen hört man aber durchaus, dass die rasch wachsende Größe speziell von asiatischen Bankhäusern einen dazu bewegen mag, die Banken in den entwickelten Ländern nicht zu stark einzuschränken, um ihnen und sich selbst bestimmte Einflussmöglichkeiten in der Weltpolitik nicht noch weiter zu limitieren. Als Beispiel sei die ICBC (China) als größtes Bankhaus der Welt genannt (nach Bilanz-summe und Marktkapitalisierung).
Als untergeordnete Begründung für die ungenügende Koordination von Regierungen/Regulatoren in der Re-Regulierung sei eine grundlegende Limitierung aufgezeigt:
Die Wirtschaftswissenschaft zählt zu den Sozialwissenschaften. Folglich gilt für die Finanzwissenschaft, als Untergruppe der Wirtschaftswissenschaft das gleiche.
Sozialwissenschaften umfassen jene Wissen-schaften, die Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen theoriegeleitet und/oder empirisch untersuchen.
Kurz, wir wollen uns selbst und unser Verhalten in der Gruppe besser verstehen.
Der Vorteil von der Naturwissenschaft liegt darin, dass zB auf einen fallenden Apfel, bei gleichen Ausgangsparametern, stets die gleiche Erdbeschleunigung wirkt. Wir sprechen in der Systemtheorie über eine triviale Maschine (Heinz von Förster). Menschen lassen sich der Logik folgend, als nicht-triviale Maschinen bezeichnen. Sprich, gleiche Inputfaktoren können zu einem anderen Output führen.
Für Regulatoren bedeutet dies: man versucht ein sich bewegendes, soziales Gebilde zu domestizieren, währenddessen man selbst in Bewegung ist. Selbst wenn hohe fachliche Kompetenz, hoher ethischer Anspruch und starker Umsetzungswille auf Seiten der Regulierer als Annahmen vorausgesetzt würden, ein komplexes Unterfangen. Bei weniger optimalen Annahmen, wird das Unterfangen umso schwieriger.
Dementsprechend kann es den einmalig durchgeführten, dauerhaft gültigen großen Wurf auf Seiten der Regulierer nicht geben, so verständlich der Ruf seitens der Systembanken auch sein mag. Alle Finanzmarktteilnehmer zahlen eben derzeit den Preis für eine sich festgesetzte Kultur der Unverantwortlichkeit.
Um Kollateralschäden gering zu halten, ist es umso wichtiger, bereits bewährte Regulierungsmethoden konsequent umzusetzen. Wie eine Bankenunion in der Eurozone aufgesetzt werden kann, um einen möglichst effizienten Markt zu etablieren, beschrieben RA Dr. Fletzberger und ich in unserem PSC #5/13.
Doch solange auf Seiten der Regierungen der entwickelten Länder die Zielbestimmung der Re-Regulierung – siehe Werkzeug für geostrategische Machtoptionen VS Markteffizienz – unklar definiert, respektive eine implizite Präferenz für die Machtoption bestehen bleibt, ist der Boden für weitere soziale, wie finanzielle Kollateralschäden in unseren Volkswirtschaften aufbereitet.
Mag. Markus Schuller, MBA, MScFE
Managing Director
Panthera Solutions