Rekordniveaus führen oft zur Bewertungsfrage
Am 10. April dieses Jahres übersprang der S&P 500 den historischen Rekordstand aus der Zeit vor der Finanzkrise von 2008-2009. Das breite US-Aktienbarometer ist seitdem um weitere 14.9% gestiegen. Der EuroStoxx und der Nikkei 225 haben sogar knapp 18% zugelegt. Die Volatilität blieb mit Ausnahme kurzlebiger Ausschläge auf tiefem Niveau und vom Trend her weiter auf einem leicht sinkenden Pfad. Allein diese Tatsachen lassen viele Investoren automatisch nach den Aktienmarktbewertungen fragen.
Aktien nicht mehr so «günstig» wie vor einigen Jahren
Die auf Basis der Konsensschätzungen für nächstes Jahr berechneten Kurs-Gewinn- und Kurs-Umsatz-Verhältnisse (KGV bzw. KUV) sind nicht mehr so attraktiv wie in der früheren Phase der Hausse, aber auch nicht hoch. Die KGVs notieren zwischen 7.7 (China) und 14.8 (Schweiz) und die KUVs zwischen 0.8 und 1.7 (ebenfalls für China bzw. Schweiz). Die aktuellen Werte befinden sich in den USA und Europa in der Nähe der Durchschnitte der letzten fünf bis zehn Jahre und in China und Japan deutlich darunter.
Manche Marktteilnehmer sorgen sich jedoch um das langfristige Bild
Einige Experten verweisen jedoch inzwischen recht oft auf das zyklisch adjustierte KGV. Diese Verhältniszahl wurde am Höhepunkt der New-Economy-Euphorie im Jahr 2000 von Professor Robert J. Shiller in seinem Buch «Irrationaler Überschwang» als Warnsignal vorgestellt. Für diese Kennzahl, auch «Shiller-KGV», genannt, werden Aktienkurse und Unternehmensgewinne um die Inflation bereinigt. Zudem wird der zehnjährige Durchschnitt der realen Gewinne genommen, um konjunkturzyklische Effekte auszublenden und das «strukturelle» Bild zu betonen. In der Tat notiert das Shiller-KGV derzeit rund 52% über dem historischen Durchschnitt, wobei die Daten bis 1881 zurückreichen.
Erhöhte Bewertungen sind während einer Hausse normal
Trotzdem muss bedacht werden, dass das Shiller-KGV, so hilfreich es für sehr langfristige Anlageentscheidungen sein kann, aus kurz- bis mittelfristiger Sicht zumeist wenig aussagekräftig ist. Die Geschichte zeigt, dass Bewertungen über eine sehr lange Zeit hindurch stetig steigen und relativ hoch bleiben können. Steigende und erhöhte Bewertungen sind letztlich nur ein Ausdruck einer (zunehmend) positiven Anlegergrundstimmung – und insofern nicht zwingend besorgniserregend.
Extreme Verzerrungen sind problematisch
Problematisch sind hingegen extreme Entwicklungen beim KGV, wie in den Schlussphasen der grossen Haussen von 1920-1929 und 1982-1999. Im Laufe dieser berüchtigten Börsenbooms versiebenfachte sich das Shiller-KGV und war am Ende mehr als doppelt so hoch wie im jeweils seinerzeitigen historischen Durchschnitt. Selbst starke und (im Nachhinein) offensichtliche «Blasen» können also viele Jahre anhalten. Bullenmärkte mit nur moderat hohen Bewertungen können ebenfalls lange anhalten und solide Realrendite bescheren, wie beispielsweise jene von 1894-1903 und 1955-1973, als der US-Aktienindex real in neun Jahren um rund die Hälfte zulegte bzw. sich in 18 Jahren verdoppelte. Auch während der meisten anderen kleineren Haussen gingen steigende bzw. hohe Bewertungen meistens mit realen Kursgewinnen einher. Wir sollten das Shiller-KGV daher nicht einseitig nur als potenzielle Warnung vor möglichen Börseneinbrüchen betrachten. Seit März 2009 haben wir es mit einem von einer starken Erholung der Unternehmensgewinne getriebenen Bullenmarkt zu tun, der immer wieder angezweifelt wurde, sich aber am Ende doch als erstaunlich stabil erwiesen hat. So könnte sich das inzwischen erhöhte Shiller-KGV einfach als willkommener Vorbote einer zunehmend anerkannten, nicht weniger rentablen und durchaus lang anhaltenden reiferen Phase der Hausse erweisen.
Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Management
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