Kann Realwirtschaft die Aktien-Hausse stützen?

"Die Aktienkurse sind schon lange nicht mehr realwirtschaftlich abgesichert, sondern nur noch durch die expansive Geldpolitik. Das kann auf Dauer nicht gut gehen - eine "technische Reaktion" ist überfällig." Ob die Realwirtschaft aufholen und somit die aktuellen Kurse rechtfertigen kann, analysiert Ökonom Dr. Martin Hüfner in seinem aktuellen Gastbeitrag. Economics | 04.12.2013 16:25 Uhr
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Am Aktienmarkt herrscht „Höhenangst“. Die Kurse sind in Deutschland jetzt fast fünf Jahre mit nur einer kurzen Unterbrechung gestiegen. Sie liegen beim DAX inzwischen um beinahe 15% über dem bisherigen Höchstkurs. Allein seit Beginn dieses Jahres haben die Kurse um über 22% zugelegt (nach plus 30% im vorigen Jahr). Da kann man schon Bauchgrimmen bekommen.

Nun muss man allerdings zwischen kurzfristigen Entwicklungen und längerfristigen Trends unterscheiden. Kurzfristig, da sind sich alle Beobachter einig, ist eine „technische Reaktion“ des Aktienmarkts fällig. Der Markt ist überhitzt. Die Kurse könnten gut und gerne 10% fallen. Sie würden dann wieder Niveaus erreichen, die manchem Anleger als attraktiv erscheinen, der die jetzigen Stände für zu hoch hält. Danach könnte der Markt wieder durchatmen und steigen.

Längerfristig stellt sich die Frage, wie lange sich die Aktien überhaupt an einem Stück erhöhen können. Die meisten haben nach den Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten in Deutschland den Eindruck, dass Aufwärtsbewegungen nicht viel länger als fünf bis sechs Jahre dauern. Die Hausse der new economy in den 90er Jahren war nach fünf Jahren vorbei. Ebenso der Aufschwung ab 2004. Jetzt sind wir auch wieder etwa so weit.

Das ist jedoch zu kurz gedacht. In einer längeren Perspektive sieht das ganz anders aus. Um das zu erkennen muss man auf Daten aus den USA zurückgreifen, weil Deutschland keine so langen Statistiken hat. In den Vereinigten Staaten gab es in den letzten hundert Jahren drei langfristige Aufschwungphasen am Aktienmarkt. Die eine dauerte von 1900 bis zur Weltwirtschaftskrise 1929. Das war die Phase der Industrialisierung in Amerika. Die zweite begann nach dem zweiten Weltkrieg und hielt bis etwa 1970. Sie beruhte auf dem hohen Wachstum in der Nachkriegszeit. Die dritte ging von Anfang der 80er Jahre bis zur Jahrhundertwende. Dahinter stand das starke Wachstum nach den Ölkrisen in den siebziger Jahren.

Für den DAX gibt es bislang erst eine solche ausgeprägte Aufwärtsentwicklung der Aktienkurse. Sie ging von Anfang der 80er Jahre bis 2000. Sie wurde am Anfang gespeist durch die Konsolidierungs- und Wachstumspolitik in den 80er Jahren. Dann kamen die Impulse der Wiedervereinigung dazu. Am Schluss war dann der Hype der new economy. Insgesamt erhöhte sich der DAX in dieser Zeit von 500 auf 8000, er ist also auf das sechzehnfache gewachsen. Zwischen den langfristigen Aufschwungphasen gibt es nach den bisherigen Erfahrungen immer rund zehn Jahre der Seitwärtsbewegung mit kürzerfristigen Schwankungen. Das waren zuletzt die „Nullerjahre“.

Superzyklen gibt es übrigens nicht nur bei Aktien. Am Bondsmarkt liegen gerade über 30 Jahre mit sinkenden Zinsen hinter uns.

Könnten wir jetzt wieder am Beginn eines solchen Superzyklus bei Aktien stehen? Von der Entwicklung des Charts steht dem nichts entgegen. Die Aktienkurse haben sich aus dem Tunnel entfernt, der durch die beiden Hochpunkte in 2000 und in 2007 gegeben war. Formal könnte es weiter nach oben gehen.

Fundamental ist jedoch Voraussetzung, dass auch die Realwirtschaft mitspielt. Kurssteigerungen müssen durch steigende Wertschöpfung der Unternehmen gespeist werden. Das war in den letzten 20 Jahren der Fall. Seit 2011 ist hier jedoch ein Bruch eingetreten. Die Aktienkurse gehen weiter nach oben. Die Wirtschaft stagniert.

Der Grund für die Lücke ist klar. Die Kurse wurden seitdem nicht mehr realwirtschaftlich abgesichert, sondern nur noch durch die expansive Geldpolitik. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Zwei Entwicklungen sind denkbar. Entweder brechen die Aktienkurse ein und nähern sich wieder der realen Basis. Mit anderen Worten, die Blase platzt. Oder die Konjunktur zieht an und gibt dem Aktienmarkt neue Stützen. Dann könnte sich der Aufschwung fortsetzen. Tatsächlich hat sich das Wachstum in den letzten Monaten belebt. Für 2014 sind höhere Raten zu erwarten. Freilich gibt es hier einiges aufzuholen. Es reicht nicht ein „Aufschwüng’chen“. Es braucht eine kräftige Aufwärtsentwicklung.

Ich habe in meinem letzten Wochenkommentar geschrieben, dass der Aufschwung diesmal eine besondere Qualität hat, weil er durch gesündere Strukturen in der Wirtschaft und in den Unternehmen abgesichert ist. Wenn es gelingen sollte, den Schwung daraus mitzunehmen, dann wären das gute Aussichten für die Aktienmärkte. Die Kurssteigerungen könnten nicht nur noch ein, zwei Jahre anhalten, sondern vielleicht sogar zehn Jahre oder mehr. Aber das hängt an vielen „Wenn’s“.

Für den Anleger: Die „Höhenangst“ am Aktienmarkt ist gerechtfertigt. Eine „technische Reaktion“ ist überfällig. Das muss aber nicht zwangsläufig auf ein Platzen der Blase hinauslaufen. Nach den historischen Erfahrungen mit Superzyklen ist auch denkbar, dass die Hausse, vielleicht mit geringerer Geschwindigkeit, aus der beginnenden konjunkturellen Erholung Kraft saugt und noch längere Zeit weiter geht. Die konjunkturellen Voraussetzungen dafür stehen gar nicht so schlecht.

Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
direktanlage.at 


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