Sell in May, Go Away?

Es ist Mai. Das Gerede von «sell in May, go away» ist damit vorprogrammiert. Was hinter dieser "Börsenweisheit" steckt und warum man bei Beachtung dieser "Regel" durchaus Opportunitäts- und Performanceverluste erleiden kann, lesen Sie im aktuellen Gastkommentar von Mikio Kumada, Global Strategist, LGT Capital Management. Economics | 01.05.2014 01:00 Uhr
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Nur weil etwas immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird, muss es nicht wahr sein. Dazu gehört auch der alte Börsenspruch «sell in May, go away» sowie sein Nachtrag «…but remember to come back in September». Einem Realitätstest hält diese «Börsenregel» nämlich nicht ganz bzw. nur bedingt stand.

Der Mai ist ein «durchschnittlicher» Performancemonat

Betrachten wir zunächst die Bewegungen des S&P 500 in den letzten 65 Jahren im Mai. Der Einfachheit halber ignorieren wir die Dividenden. Seit 1949 hat das US-Barometer 28 Mal (also in 43% der Fälle) Kursverluste im Mai verbucht. Das ist sehr nahe am Median für alle Monate (27 Mal), wobei die Werte zwischen 18 und 32 schwanken. Der Medianwert der Performance für die ersten 30 Tage nach dem 1. Mai beträgt 0.9% und ist damit ebenfalls nicht viel tiefer als der Median für alle Monate, welcher bei 1.1% liegt. Historisch gesehen ist der Mai also eher im Performancemittelfeld.

August und September neigen eher zur Schwäche

Der Spruch ist aber insofern korrekt, als dass die Aktienkurse in jedem der vier nachfolgenden Monate, von Juni bis September, etwas öfter zu Verlusten tendieren: Dies war in den letzten 65 Jahren im Juni 30 Mal der Fall, im Juli 28, August 31 und für September 32 Mal. Der Median der Monatsperformance liegt für diese Monate zwischen 0% (September) und 0.8% (Juni). Die Börse erlebt also eine Art «Sommerloch». Dazu kommt, dass es danach häufiger zu «Jahresendrallyes» kommt. Kurzfristig orientierte Anleger, die am 1. Mai immer ihre Aktien verkaufen, könnten daher mit guter Wahrscheinlichkeit dieser potenziellen Schwächephase systematisch aus dem Weg gehen.

Saisonale Regeln als Handlungsanleitungen dennoch nicht sehr hilfreich

Für langfristig orientierte Investoren, die eine gewisse Schwankungstoleranz haben, ist diese Regel als Handlungsanleitung dennoch nicht wirklich hilfreich. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in der Praxis im Mai immer wieder zum idealen Zeitpunkt «aussteigt» und dann im September nochmals den idealen Wiedereinstiegspunkt erwischt, ist sehr tief. Eine systematisch erfolgreiche Anlagestrategie lässt sich aus dieser Börsenweisheit daher kaum schmieden. So dürften auf Dauer Opportunitätsverluste (z.B. späterer Einstieg zu einem höheren Kurs) und Transaktionskosten überwiegen.

Wer ruhigen Blutes «dabei» bleibt, fährt oft besser

Dazu kommt, dass selbst wenn die Zeit von Mai bis September tatsächlich mal schwach ausfallen sollten, die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sich die Märkte bis Ende Jahr wieder erholen. Seit 1949 hat der S&P 500 zwischen dem 1. Mai und 31. Dezember in 70% der Fälle Kursgewinne verbucht, wobei der Mittelwert der Kursgewinne bei 5.8% (8.8% p.a.) liegt. Die Werte für die Zeit vom 30. September bis 31. Dezember liegen bei 78% bzw. 5% (21.9% p.a.). Auf Basis der annualisierten Performance scheint der Börsenspruch also wieder zu stimmen.

In der Praxis könnte er aber trotzdem ebenso gut «don’t sell in May, just remember to stay long through December» lauten. Denn wer am 1. Mai verkauft, dem «entgehen» die bis Ende September anlaufenden Kursgewinne von im Schnitt 2.5%. So dürfte auf Dauer der Anleger, der die ganze Zeit hindurch im Markt investiert bleibt, doch besser fahren. Während klassischer Aktienhaussen sollten saisonale Muster ausserdem mit zusätzlicher Skepsis betrachtet werden - insbesondere in einem Umfeld ohne übertrieben hohe Aktienbewertungen, mit unterschätztem Gewinnwachstum und einem gleichzeitig stattfindenden zyklischen Aufschwung in den meisten entwickelten Volkswirtschaften.

Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Management 


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