In einem intakten Bullmarkt heisst es oft: „buy the dip“. In der Praxis ist es leider selbst für marktnah agierende Profis nicht einfach, den idealen „Dip“ zu erwischen. Wer im ersten Semester dieses Jahres auf grössere „Korrekturen“ (Gegenbewegungen von 10% bis 20%) gehofft hatte, der dürfte bisher tendenziell enttäuscht worden sein - zumindest was die grossen Marktindizes der entwickelten Volkswirtschaften angeht. So haben weder S&P 500 (Marktkapitalisierung 17.3 Billionen US-Dollar bzw. 97% der jährlichen US-Gesamtwirtschaftsleistung) noch der gesamteuropäische Stoxx 600 (11.8 Billionen US-Dollar, 65% des EU-Bruttoinlandprodukts) bisher solche „Korrekturen“ erlebt. Stattdessen gab es im S&P 500 zwei und im Stoxx 600 drei moderate „Konsolidierungen“ (Gegenbewegungen von weniger als 10%), welche zudem sukzessive weniger intensiv waren - ein Muster, das an sich typisch für Haussen ist.
Sukzessive kürzere und flachere Gegenbewegungen
Konkret verlor der US-Index ab Mitte Januar in 21 Tagen 6.1% und dann nochmal während 7 Tagen im April 4.4%. Inzwischen notiert der S&P 500 aber 7.8% höher als am Tief der ersten und 3.2% über dem Tief der zweiten „Konsolidierung“. Die Zahlen für den Stoxx sind vergleichbar: Der erste Kurseinbruch ab Ende Januar dauerte 14 Tage und brachte Verluste von ebenfalls 6.5%, der zweite kam im März in 8 Tagen mit einem Minus von 5.5% und der dritte führte an 7 Tagen im April den Index zwischenzeitlich noch einmal um 4.2% tiefer. Heute notiert der Stoxx allerdings 7.2%, 5.7% und 3.9% über den während der jeweiligen Abwärtsphasen erreichten Tiefständen. „Bei Schwäche kaufen“ hätte sich also gelohnt - sofern man die eher kurzlebigen und nicht besonders tiefen „Dips“ auch tatsächlich „erwischt“ hätte.
Die grosse „Korrektur“ hat im „Verborgenen“ stattgefunden
Die Absenz grösserer „Kaufgelegenheiten“ auf Ebene der erwähnten Megaindizes sollte uns in einer intakten Hausse jedoch nicht vor Neuengagements oder Zukäufen abhalten - insbesondere dann nicht, wenn viele Märkte und Marktsegmente durchaus deutliche „Korrekturen“ durchgemacht haben. So notiert Japans Nikkei 225 zum Beispiel gut 13% unter seinem diesjährigen Hoch, obwohl der Nippon-Index nach wie vor das weltweit höchste Gewinnwachstum ausweist und zu den „günstigsten“ Aktienindizes zählt. Doch auch in den USA hat der kleinere Firmen repräsentierende Russell 2000 seit Februar knapp 11% eingebüsst, gefolgt vom technologielastigen Nasdaq mit einem Minus von rund 10%. Wenig überraschend gehörten diese Indizes im vergangenen Jahr zu den Top-Performern (Nikkei +57%, Nasdaq +38%, Russell +37%). Logischerweise haben viele der medial und auch sonst „populären“ Titel wie Tesla Motors oder Facebook zwischenzeitlich bis zu einem Drittel ihres jüngsten Maximalwerts abgegeben.
Bondmärkte sprechen ebenfalls für ausklingende Konsolidierungsphase
Gleichzeitig haben die Staatsanleihenmärkte seit Anfang Jahr eine überraschend lange Stärkephase gehabt. Die zehnjährigen US-Renditen sind von 3% zur Jahresfrist auf 2.5% gesunken und notieren damit auf dem tiefsten Stand seit vergangenem Oktober. Bei allem Verständnis für die ausgleichende Notwendigkeit von Gegenbewegungen: Angesichts der Tatsache, dass das nominale Wirtschaftswachstum der USA derzeit im Schnitt um rund 4% pro Jahr beträgt, erscheint uns das Zinsniveau eindeutig zu tief. Ähnliches gilt grundsätzlich auch für Deutschland oder Japan, wo die zehnjährigen Renditen inzwischen auf rund 1.3% bzw. knapp 0.6% gesunken sind. Angesichts dieser möglichen „Bodenbildung“ im Bereich der Marktzinsen dürften sich auch insbesondere jene Aktienindizes, die seit Anfang Jahr im „Konsolidierungsmodus“ zu stecken scheinen, langsam dem Ende der Schwächephase nähern. Ein potenzieller Wirtschaftseinbruch ist inzwischen ausreichend eingepreist, während der tatsächliche Ausblick für Konjunktur und Unternehmenserträge in den meisten Regionen nach wie konstruktiv geblieben ist.
Mikio Kumada, Global Strategist bei LGT Capital Management
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