Die deutsche säkulare Stagnation ist jedoch eine ganz andere als die, von der Larry Summers spricht. Sie unterscheidet sich in vier Punkten. Erstens ist das Wachstum mit gut 1% p.a. noch niedriger als das bei der säkularen Stagnation in den USA (2% p.a.). Von den Zahlen her ist das Problem hierzulande also brisanter als jenseits des Atlantik.
Umso überraschender ist zweitens, dass die Deutschen das niedrige Wachstum gar nicht so sehr als Problem ansehen. Das liegt zum Teil daran, dass die Arbeitslosigkeit nicht mehr so hoch ist. Zum Teil setzen die Menschen hierzulande aber andere Prioritäten. Natürlich ist das niedrige Wachstum nicht schön. Es gibt nur geringe Zuwachsraten bei den Einkommen. Bei internationalen Vergleichen fällt Deutschland zurück. Es kommt es sehr viel schneller auch zu negativen Wachstumsraten. Andererseits ist die Gefahr der Geldentwertung in einer solchen Welt nicht so groß. Die Zinsen bleiben niedrig, zur Freude der Kreditnehmer, zum Leid der Anleger.
Es ist bemerkenswert, dass die Stimmung der Deutschen trotz des niedrigen Wachstums derzeit so gut wie schon lange nicht mehr ist. Keiner beklagt sich. Nach Befragungen des Marktforschungsinstituts Infratest finden 79% der Deutschen die wirtschaftliche Lage des Landes gut bis sehr gut. Vielleicht kann man mit einer säkularen Stagnation dieser Art leben (vor allem wenn man dann auch noch Fußballweltmeister wird)? Den Menschen ist anderes offenbar wichtiger als das Bruttoinlandsprodukt. Ich finde das kein schlechtes Zeichen.
Drittens beruht die Wachstumsschwäche nicht wie in den USA auf mangelnder Nachfrage. Die Investitionen (zusammen mit dem Außenbeitrag) fallen nicht hinter die Ersparnis zurück. Die Arbeitslosigkeit ist nicht zu hoch. Die Kapazitäten der Unternehmen sind gut ausgelastet. Die Gründe für das niedrige Wachstum liegen primär auf der Angebotsseite. Also beim Mangel an Facharbeitern, der hohen Verschuldung des Staates und der Unternehmen, den hohen Energiepreisen, den wirtschaftlichen und politischen Risiken auf den globalen Märkten, einer immer mehr diskretionären und immer weniger marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftspolitik und vielem anderen mehr.
Viertens kann man und sollte man die Probleme daher nicht mit den traditionellen Mitteln einer expansiven Geld- und Finanzpolitik bekämpfen wie das Summers vorschlägt. Aus deutscher Sicht ist eine weitere Lockerung durch die Europäische Zentralbank gänzlich abwegig (durch die Brille mancher südeuropäischer Länder gesehen sieht das anders aus). Was man machen müsste, wäre die grundlegenden Wachstumsbedingungen der Volkswirtschaft zu verbessern, sie zumindest nicht weiter zu verschlechtern (etwa durch die Rente mit 63 oder den Mindestlohn). Freilich muss man sich darüber im Klaren sein, dass man dadurch keine spektakulären Resultate erzielt. Das Wachstum ginge langfristig bestenfalls um ein oder zwei Zehntelprozentpunkte nach oben.
Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
direktanlage.at & Assenagon Asset Management