Der Mythos der Nullzinsen

"Lange Zeit gehörte es zu den gesicherten Erkenntnissen, dass Zinsen nicht negativ werden können. Das hat sich als falsch erwiesen. Es gibt für Investoren gute Gründe, auch Bonds mit negativen Kupons zu kaufen, selbst wenn die Laufzeit länger ist", so Ökonom Dr. Martin Hüfner in seinem aktuellen Gastkommentar auf e-fundresearch.com. Economics | 21.01.2015 11:07 Uhr
Dr. Martin Hüfner
Dr. Martin Hüfner
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Eine Frage, die mich schon seit längerem bewegt, die aber in den letzten Wochen besonders akut wurde: Wie kann es sein, dass die Renditen am Kapitalmarkt unter Null sinken? Was geht im Kopf von Investoren vor, die öffentliche Anleihen kaufen, die nicht nur keine Zinsen erbringen, sondern bei denen sie dem Emittenten noch etwas zuzahlen müssen?

Bis vor kurzem erschien das jedem vernünftigen Menschen abwegig. Wer spart oder Geld anlegt, will einen Zins. Sonst tut er es nicht. Das gehört zu den grundlegenden Wahrheiten in der Ökonomie. In der Geldtheorie hat man dazu die Theorie des „Zero Bound“entwickelt, der Nullgrenze für die Zinsen. Sie besagt, dass die Zinsen nicht unter Null fallen können, weil die Menschen ihr Geld sonst als Cash halten. Da bekommen sie zwar auch keine Zinsen. Sie müssen aber wenigstens nicht nochfür die Aufbewahrung ihres Geldes bezahlen.

Diese Theorie hat Generationen von Volkswirten beeinflusst. Auch die Geldpolitik der Zentralbanken ist davon geprägt. Weil die Zinsen nicht unter Null fallen können, die Geldpolitik aber trotzdem weitere expansive Impulse geben wollte, kam sie auf die Idee der sogenannten „unkonventionellen Maßnahmen“. Sie senkte nicht die Zinsen unter Null. Sie kaufte stattdessen Staatsanleihen (das sogenannte Quantitative Easing), so wie das jetzt auch die Europäische Zentralbank tun will. 

Es gab in der Vergangenheit nur wenige Ökonomen, die für negative Zinsen eintraten. Einer war Silvio Gesell, der vor über 100 Jahren die Idee eines „Schwundgeldes“ entwickelte, das mit der Zeit immer mehr an Wert verliert. Das ist nichts anderes als Geld mit negativem Zins. Die Idee hat es aber kaum aus dem ökonomischen Kuriositätenkabinett heraus geschafft.

Auch der Markt tat sich bisher mit negativen Zinsen schwer. Die Graphik zeigt, wie asymmetrisch sich die Zinssenkung in den letzten Jahren vollzog. Die Renditen für lange Laufzeiten gingen kräftig nach unten. Die für kurze Laufzeiten schienen an der Nullgrenze „festzukleben“. Die Renditekurve wurde immer flacher. Erst in den letzten sechs Monaten wurden die kurzfristigen Zinsen negativ. Damit war ein Bann gebrochen. Anschließend fielen dann auch die Renditen längeren Restlaufzeiten unter Null. Derzeit gibt es in Deutschland nur noch für öffentliche Anleihen mit über 5 Jahren Restlaufzeit eine positive Rendite. Es ist aber sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch dort negative Zinsen gibt. 

Das ist kein Zufall oder eine vorübergehende Verirrung des Marktes. Inzwischen gibt es das nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz, in Japan und in Finnland. Frankreich ist nicht mehr weit davon entfernt. In der Schweiz ist die Rendite heute sogar für zehnjährige Laufzeiten kleiner als Null. So viele Märkte können sich nicht irren.

Warum werden Bonds mit einer Rendite unter Null gekauft? Zunächst passiert das nur in Zeiten mit sehr niedriger Inflation und außerordentlich hoher Liquidität, so wie das heute gegeben ist. Es ist also kein Normalfall, sondern die Ausnahme.

Unter diesen Umständen können vier Gründe zu negativen Zinsen bei Wertpapieren führen. Der erste ist, dass Bargeldhaltung unbequem und teuer ist. Privatinvestoren können zehn- oder fünfzigtausend Euro vielleicht noch unter dem Kopfkissen verstauen. Pensionsfonds oder Versicherungen mit vielleicht 100 Mio Euro oder mehr können das nicht mehr so einfach. Es ist schwer, so viel Bargeld zu besorgen. Wenn alle das wollten, würden die Notenbestände der EZB nicht reichen. Sie müsste neu drucken. Zudem: Wer die Scheine aufbewahren will, braucht besondere Sicherheitsmaßnahmen, die auch wieder Geld kosten. 

Der zweite Grund: Bankeinlagen sind in dieser Situation keine Alternative. Denn auch hier drohen negative Zinsen. Zudem gilt die Einlagensicherung nur für Beträge bis 100 000 Euro. Wer mehr Geld anzulegen hat, handelt sich ein zusätzliches Risiko ein für den Fall, dass der Bank etwas passiert. Da ist das Geld beim Finanzminister noch sicherer.

Der dritte Grund: Wenn die Preise sinken, kann der Investor auch bei negativen Zinsen noch einen positiven Realzins bekommen. Die Inflation muss nur niedriger als der Zins sein. Dann steigt der Geldwert und dieser Gewinn ist größer als der Verlust, der durch die negativen Zinsen eintritt. Wer in einer solchen Welt auf realen Kapitalerhalt abzielt, ist auch mit negativen Zinsen noch gut bedient.

Schließlich: Wer kann ausschließen, dass die Zinsen auch im negativen Bereich noch weiter sinken? Wenn die Zinsen zurückgehen, steigen die Kurse. Der Anleger kann sich über Kursgewinne freuen. Genau das müsste passieren, wenn die EZB jetzt in großem Stil Staatsanleihen kauft und/oder die Preise weiter fallen. 

Für den Anleger: Freunden Sie sich mit dem Gedanken an, dass die Zinsen auch für längere Laufzeiten negativ werden können. Das ist für den normalen Investor, der nicht ganz auf Bonds verzichten will, eine neue Welt. Er muss umdenken. Es ist aber keine Katastrophe. Man kann, wie wir gesehen haben, auch bei negativen Zinsen Geldrentabel anlegen. Im übrigen ist es natürlich ein weiteres Argument, neben öffentlichen Anleihen auch andere Bonds und Credit-Produkte zu kaufen. Es ist auch ein Argument für Aktien. Die Dividendenrendite wird nicht so schnell negativ. Im übrigen bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass die Preise nicht ewig sinken. Ich würde mich daher bei länger laufenden Papieren zurückhalten.

Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
direktanlage.at


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