An Stolpersteinen mangelt es zwar nicht, denn die Vereinbarung muss noch Mehrheiten im griechischen und in einer Handvoll weiterer Parlamente finden. Aber nehmen wir an, alles geht erst einmal glatt, und Griechenland bekommt die erforderlichen Mittel geliehen, um die Staatsschulden zu bedienen. Was passiert dann? Der Abfluss von Einlagen aus dem Bankensystem dürfte zumindest nachlassen, das Wirtschaftsklima wird sich in den kommenden Monaten fangen und die Wirtschaft bald wieder leicht wachsen, weil die Unsicherheit nachlässt. So weit, so gut.
Etwas weiter geschaut, ist vieles unkar, angefangen damit, ob die griechische Regierung den Zusagen Taten folgen lassen wird/will/kann. Früher oder später, vielleicht schon im Herbst, wird auch das von den Gläubigern bislang abgewiesene Thema Schuldenschnitt wieder auf den Tisch kommen. Lästige Themen einfach zu verdrängen, rächt sich auch hier.
Das griechische Problem wirklich zu lösen, heißt die Wachstumsschwäche der Wirtschaft zu beheben. Man kann darüber streiten, wie viel Sinn in Grexit und Abwertung steckt. Ich meine nicht, dass Griechenland die Exportbasis hat, um darauf ein Wachstumsmodell zu bauen. Dann aber muss Wachstum aus anderen Quellen kommen, und genau da liegt der Schwachpunkt der sich abzeichnenden Vereinbarung. Wachstum und Arbeitsplätze kommen aus Investitionen, und dafür müssen die Bedingungen stimmen. Sie stimmen in Griechenland an vielen Stellen nicht. Eine breitere Mehrwertsteuerbasis und höhere Krankenversicherungsbeiträge für Rentner änden daran nichts. Von außen betrachtet wirkt es auch nicht so, als würde sich daran in den kommenden Jahren Entscheidendes ändern. Der für das Umsteuern erforderliche breite gesellschaftliche Konsens und der lange Atem über Wahlperioden und Regierungswechsel hinweg sind – jedenfalls für mich – nicht wahrnehmbar.
Fazit: Das Thema Grexit ist nicht weg, es rückt nur – wenn in den nächsten Tagen alles glatt läuft – für einige Zeit in den Hintergrund und wird wieder auftauchen. Das macht es nicht nur schwierig, für den Euroraum richtig optimistisch zu sein. Es führt auch dazu, dass u.a. viele Politiker, Journalisten und Handelsraumbewohner einen zu großen Teil ihrer Arbeitszeit auf ein Land mit einem Anteil von 1,9% am BIP des Euroraum verwenden müsen. Wer weiter an den Grexit glaubt (oder darauf hofft), mag hier nachlesen, wie er ablaufen und was danach passieren könnte.
Dr. Holger Sandte
Chief European Analyst
Nordea
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