Mit Kursverlusten von über 30% an den Festland-Börsen liefert China internationale Negativ-Schlagzeilen. Einige Marktkommentare verbreiten regelrechte Panik. Sie sehen den Anfang vom Ende des chinesischen Wirtschaftswunders und warnen vor der Ansteckungsgefahr für die globalen Finanzmärkte. Dabei geht schnell vergessen, dass der chinesische Leitindex CSI 300 trotz der jüngsten Kursrückschläge seit Jahresbeginn mit einem Plus von fast zwölf Prozent noch immer zu den internationalen Spitzenreitern gehört.
Die Mär vom Wohlstandseffekt
Der plötzliche Markteinbruch war nicht die Folge aufkeimender Konjunktursorgen. Die strukturelle Wachstumsverlangsamung Chinas zeichnete sich nämlich schon seit längerem ab, hat aber den Aktienmarkt nicht daran gehindert, seinen Wert innert Jahresfrist mehr als zu verdoppeln. Angetrieben wurde das fulminante Rally von geldpolitischen Lockerungen, Reformen und Spekulationen auf Kredit (margin debt). Erst die Eindämmung solcher kreditfinanzierter Spekulationen durch offizielle Stellen hat den Bullenmarkt beendet und starke Kursbeben ausgelöst. Die Angst vor Rückkoppelungseffekten auf die Realwirtschaft scheint aber übertrieben. Dafür spielen in China Aktienbörsen als Mittel zur Unternehmensfinanzierung und Aktien als private Vermögensanlage eine zu kleine Rolle. So sind weniger als 10% des gesamten chinesischen Haushaltsvermögens sind in Aktien investiert. Das Argument, dass der Wohlstandseffekt – gemäss dem die Haushalte weniger konsumieren, wenn ihr (Aktien-)Vermögen schrumpft – die Realwirtschaft in den Abwärtssog zieht, scheint daher nicht sehr plausibel. Dementsprechend wurden die Wachstumsprognosen im ersten Halbjahr trotz eines fulminanten Kursrallys und des vermeintlich positiven Wohlstandeffekts auch nicht nach oben korrigiert.
Noch reichlich staatliche Feuerkraft vorhanden
Die Regierung versucht nun, mit einem Bündel an Massnahmen dem Kurszerfall an den Börsen entgegenzutreten. Zwar sind die ersten Massnahmen relativ schnell verpufft, doch verfügen die chinesischen Institutionen über genügend Feuerkraft (auch mittels unkonventioneller Methoden), das Finanzsystem mit Liquidität zu versorgen, sollte dieses wegen Ausfällen von Lombardkrediten in Schwierigkeiten geraten. Kritische Beobachter werten das staatliche Eingreifen als Abkehr von den Reformplänen bezüglich Marktliberalisierung. Allerdings sind Markteingriffe auch in den vermeintlich liberalen Finanzmärkten Amerikas und Europas an der Tagesordnung. Natürlich werden sie dort mit Preisstabilität etwas eleganter begründet, manipulieren aber über die langen Zinsen („Quantitative Easing“) die Aktienpreise ebenfalls.
Chinas Aktienmarkt ist ein isolierter Bärenkäfig
Da der Zugang zum Festland-Aktienmarkt ausländischen Investoren mehrheitlich sowieso verwehrt ist, fürchten sich diese vor allem vor der Ansteckungsgefahr. Dass die in Hongkong frei handelbaren H-Aktien nicht ungeschoren davon kommen, liegt auf der Hand. Diese stammen nämlich grossteils von Firmen, die auch A-Aktien aufgelegt haben. Doch die hohen Handelsschranken zwischen der Hongkong und den Festlandbörsen verhindern reine Arbitragemöglichkeiten. Die Festland-Investoren reagieren sensitiver auf die chinesische Wirtschaftspolitik. So profitierten A-Aktien deutlich stärker von geldpolitischen Lockerungen als H-Aktien. Letztere sind dafür weniger hart von den jüngsten Rückschlägen betroffen. Anders als die Realwirtschaft, sind Chinas Aktienmärkte für den Rest der Welt noch nicht von signifikanter Bedeutung. Die ausländische Beteiligung an der Festland-Börse ist minimal, was eine Ansteckung über diesen Kanal unwahrscheinlich erscheinen lässt. Unter der realistischen Annahme, dass die Kursrückschläge nicht zu einer Finanzkrise oder einem abrupten Wirtschaftseinbruch in China führen, dürften die Auswirkungen des chinesischen Bärenmarkts nicht weiter als nach Hongkong reichen, wo sie gedämpft wahrgenommen werden. Und dort bieten H-Aktien mit einem Abschlag von 38% zu A-Aktien eine attraktive Bewertung.
Der chinesische Aktienmarkt führt schon seit längerem ein Eigenleben fernab von Realwirtschaft und dem Globalmarkt. So ist der CSI 300 vor dem letzten Rally über vier Jahre hinweg gefallen. Notabene in einer Zeit, in der die Unternehmensgewinne stiegen und globale Aktienmärkte florierten. Die Aktienbewertung wurde zunehmend attraktiver, doch erst geldpolitische Lockerungen und Regierungsanreize führten zu einem Umdenken bei chinesischen Anlegern. Immer mehr Kleinanleger drängten auf den Aktienmarkt, und nahmen zu diesem Zweck auch Kredite auf. Von Oktober letzten Jahres bis Juni ist der CSI 300 um 130% gestiegen. Nach so einem fulminanten Anstieg ist eine Korrektur nichts Aussergewöhnliches und der Index notiert immer noch mehr als 60% über dem Vorjahreswert. Das Ausmass und das Tempo der Korrektur sind allerdings besorgniserregend und hängen wohl mit den besonderen Marktgegebenheiten an Chinas Festlandbörse zusammen. Der Markt ist dominiert von unerfahrenen Spekulanten. 85% des Handelsvolumens ist auf Privathaushalte zurückzuführen. Grosse institutionelle Anleger fehlen ebenso wie ausländische Investoren.
Aktien-Investitionen spielen in China eine untergeordnete Rolle
Die Aktienbeteiligung machen unter 10% der Gesamtersparnisse chinesischer Haushalte aus. Der Wert liegt deutlich unter demjenigen in Europa oder der USA. Den grössten Teil der Ersparnisse stellen immer noch Immobilien dar. Der negative Effekt des Aktienabwärtstrends auf die chinesische Realwirtschaft ist daher vergleichsweise sehr klein. Der Grossteil der Haushalte dürfte nicht betroffen sein. Langfristig bietet der chinesische Aktienmarkt weiterhin viel Potenzial. Die sich abzeichnende Aufnahme von Festland-Aktien in gängige Benchmarks wie etwa den MSCI AC World führt zu erheblichen Zuflüssen. Die Umschichtung der chinesischen Haushalte von Immobilien und Cash hin zu mehr Aktien wird zwar einen Rückschlag erlitten haben, dürfte sich aber langfristig durchsetzen. In den nächsten Wochen kann es jedoch noch vermehrt zu Kursrückschlägen kommen. Internationale Investoren können momentan von einer attraktiven Bewertung von H-Aktien profitieren, die immer noch mit einem Abschlag von 38% gegenüber A-Aktien gehandelt werden.
Daniel Kunz, Financial Economist, LGT Capital Partners
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