EZB-Entscheidung: Nach kurzfristigem Kursfeuerwerk folgte die Ernüchterung
Von „(…) indem sie mehr liefert als erwartet, dürfte die EZB das Vertrauen des Marktes stärken“ bis „(…) die EZB scheint am Ende ihres Lateins angekommen“ – die gestrigen EZB-Entscheidungen wussten nicht zuletzt aufgrund ihrer überraschenden Ausmaße zu polarisieren: Konkret senkte die EZB den Leitzins gestern erstmals auf 0,0%, erhöhte die monatlichen Anleihenkäufe auf von bisher 60 auf 80 Milliarden Euro und beschloss überdies eine weitere Senkung des Strafzinses für Banken von bisher -0,3% auf -0,4%.
Die Verkündigung von Draghis noch expansiverer Geldpolitik sorgte für kurzfristige Euphorie an den Börsen und drückte zwischenzeitlich insbesondere Bankentitel deutlich ins Plus – doch nur wenige Augenblicke später drehte sich der Wind an den Börsen wieder – und zwar in so einem Ausmaß, dass Euro Stoxx, Dax & Co. den gestrigen Tag mit einem negativen Ergebnis abschließen mussten: Ein Indikator dafür, dass expansive Gelpolitiken selbst an den Börsen ihre Wirkung endgültig verloren haben?
Experten-Reaktionen im Überblick: Wie reagiert die Branche?
Nachfolgend hat Ihnen e-fundresearch.com die Reaktionen verschiedener bedeutender Marktteilnehmer auf den gestrigen EZB-Entscheid zusammengefasst:
Dr. Heinz-Werner Rapp, Vorstand und CIO der FERI AG (10.03.2016):
“Die EZB verschärft erneut ihre extreme Geldpolitik, ohne Rücksicht auf zunehmende Risiken und Nebenwirkungen für das Finanzsystem. Mit dem heute beschlossenen Maßnahmenpaket setzt die EZB ihre bisherige Ausweitung von Q.E. und Negativzinsen fort, getreu dem Motto „Viel hilft viel“. Damit zeigen die obersten Währungshüter wenig Selbstreflektion. Sie ignorieren, dass schon bisher das Hauptziel ihrer Geldpolitik - Inflationsanstieg - deutlich verfehlt wurde. Sie blenden auch die zunehmende Kritik anderer europäischer Zentralbanken aus. Und sie scheinen bereit, trotz großer Risiken das Regime einer gezielten monetären Verwässerung noch weiter voranzutreiben als bisher vorstellbar. Die EZB ebnet damit den Weg für ein monetäres "End Game" - die faktische Übernahme von Staatsschulden durch die Zentralbanken. (…)“
Dr. Otmar Lang, Chefvolkswirt der TARGOBANK (10.03.2016):
“Mit ihren verkündeten Maßnahmen ist die EZB ihrem monetären Kurs extrem treu geblieben. Allerdings zeugt das große Bündel an Maßnahmen von einer enormen Nervosität seitens der obersten Währungshüter. Denn auch sie müssen sich eingestehen, dass ihre Geldpolitik bislang die Wirkung verfehlt hat. Die Bilanz ist ernüchternd: So ist es der EZB nicht einmal gelungen, die am leichtesten von ihr zu beeinflussenden Indikatoren in die gewünschte Richtung zu drehen.
Zum einen sinken die realen Renditen am kurzen Ende schon seit einiger Zeit nicht mehr. Zum anderen wertet sich der Euro tendenziell eher auf als ab. Auch die erhoffte Belebung des Kreditgeschäfts in Europa kommt nur schleppend voran. (…)“
Toby Nangle, Head of Multi Asset, EMEA bei Columbia Threadneedle Investments (10.03.2016):
“The ECB’s decision to expand the pace of quantitative easing from €60bn to €80bn per month, to push deposit facility rates 0.1% further into negative territory to -0.4% somewhat exceeded market expectations. Negative interest rates will likely be a drag on European bank profitability, but the new series of TLTROs go some way to offsetting this drag in providing opportunities for exceptionally cheap funding for banks. In fact, in theory, banks could be paid money by the ECB to borrow, although the modalities of the operations are not yet clear.
But the most important aspect of the ECB decision looks to have been including non-financial corporate bonds in the list of eligible assets for quantitative easing. This decision gives the ECB the potential to become the most significant participant in the €900bn European non-financial corporate bond market. While the ECB actions are unlikely to transform the economic outlook, they are in keeping with the central bank’s ambition to cheapen funding costs for companies that seek to invest, and reduce the incentives to save rather than spend. As such, the positive market reaction looks entirely justified.”
Prof. Dr. Sascha Steffen, Leiter des Forschungsbereichs "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) (10.03.2016):
“Die EZB-Entscheidung stellt die Banken auch in Zukunft vor massive Probleme und ist ein Risiko für die Finanzmarktstabilität in Europa. Gerade die kleinen und mittelgroßen Banken sowie Sparkassen, die von Fristentransformationen leben, werden durch die Entscheidung benachteiligt.
Sie werden in Zukunft Probleme haben, profitabel zu arbeiten. Zudem ist nicht klar, ob die Strategie der EZB aufgeht. Die Banken könnten gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen, um profitabel zu arbeiten. Dies würde der Strategie der EZB widersprechen.
Außerdem haben die Banken kein Liquiditätsproblem, sondern viele Banken haben ein Insolvenzproblem, das die nationalen Regierungen versäumt haben, zu adressieren. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen der EZB mittelfristig zu nachhaltigem Wachstum führen.“
Philippe Waechter, Chief Economist, Natixis Asset Management (10.03.2016):
“So what? What can be done for the next move?
The ECB has taken huge measures to push up the inflation rate but in its forecasts it is just at 1.6% in 2018.
It just reflects the one legged economic policy in the euro area. All the job has to be done by the central bank as there is no proactive fiscal policy. This is a necessity to avoid a break but it is not sure that it will create an impulse in economic activity. The ECB seems to be the sole institution which really wants to move and change the picture.
I'm pessimistic as the ECB program will reduce liquidity on a large number of assets. It was partly the case in sovereign debt for certain countries. It will now be the case for the investment grade market.“
Stefan Isaacs, Stellvertretender Leiter des Retail Fixed Interest Teams bei M&G Investments (10.03.2016):
“Die EZB hat heute ein erneutes Anreizprogramm beschlossen, das über die Erwartungen des Marktes hinausgeht. Damit hat sie Anleihen und die Währung unter Druck gesetzt sowie risikoreichen Anlagen und Inflationserwartungen Anschub gegeben. Damit hat die Notenbank anscheinend den Spagat geschafft, einerseits das ohnehin geschwächte Bankensystem nicht zusätzlich zu belasten und andererseits die Gesamtwirtschaft weiter zu unterstützen. Die EZB setzte die Einlagenfazilität auf einen Bereich von 0,1 bis -0,4 Prozent fest, reduzierte den Hauptfinanzierungszins um fünf Basispunkte auf null Prozent und die Spitzenrefinanzierungssatz um fünf Basispunkte auf 0,25 Prozent.
Die größere Überraschung ist die Ankündigung, das Anleihekaufprogramm um 20 Milliarden Euro pro Monat auf 80 Milliarden Euro auszuweiten und insbesondere auch den Ankauf von Unternehmensanleihen mit Investmentgrade-Status zu erlauben, die von Unternehmen außerhalb des Finanzsektors im Euroraum begeben werden. Dieser Schritt kommt unerwartet: Dagegen standen die politischen Empfindsamkeiten, die vorausgegangenen Meinungsverschiedenheiten zwischen Falken und Tauben im Rat und die Diskussion darüber, ob der Ankauf von Staatsanleihen überhaupt rechtmäßig ist. Wie zu erwarten haben die Anleihemärkte auf die Nachricht positiv reagiert, und die Credit-Spreads haben sich verengt.
Schließlich will die EZB vier neue und sehr umfassende langfristige Refinanzierungsprojekte mit einer Laufzeit von vier Jahren auflegen.
Indem sie mehr liefert als erwartet, dürfte die EZB das Vertrauen des Marktes stärken, die Kreditvergabe unterstützen und die Inflationserwartungen erhöhen. Mario Draghi wird es zwar nicht öffentlich zugeben, aber die EZB dürfte sich sehr wohl im Klaren darüber sein, dass sie ihr Arsenal zur Unterstützung der Wirtschaft weitgehend ausgereizt hat. Ohne Strukturreformen und finanzpolitische Maßnahmen wird es nicht gehen. “
Patrick O'Donnell, Investmentmanager bei Aberdeen Asset Management, (10.03.2016):
“Draghis Paket läuft darauf hinaus, alles zur Verfügung stehende in die Waagschale zu werfen. Das neue TLTRO II Programm dürfte wohl die größte Auswirkung haben, weil es tatsächlich die Banken dazu veranlassen dürfte, die günstigere Refinanzierung, die sie von der Zentralbank erhalten, weiter zu verleihen. Die Maßnahme, Coroporate Bonds über den Bankensektor hinaus aufzukaufen, könnte interessant sein, aber wir wissen noch nicht genau was man kaufen wird und wie viel davon. Das Risiko besteht darin, dass die EZB sich dafür entscheidet, weniger aufzukaufen als der Markt von ihr erwartet.
Es wäre jedoch vielleicht besser gewesen, der Frage, wie weit die EZB die Zinsen noch senken kann, auszuweichen. Er scheint zu sagen, dass die EZB die Zinsen nicht mehr weiter senken wird, wie sie es bis dato getan hat, wenngleich wir das schon zuvor gehört haben.“
Hans-Werner Sinn, ifo-Präsident (10.03.2016):
Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hat die Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert. „Dass die EZB nun beschlossen hat, den konkursgefährdeten Banken Südeuropas Langfristkredite zu einem negativen Zins von 0,4 Prozent zu geben, beweist einmal mehr, dass sie eine fiskalische Umverteilungspolitik zur Rettung von Zombiebanken und fast konkursreifen Staaten betreibt. Diese Umverteilungspolitik ist keine Geldpolitik, und es fällt der EZB immer schwerer, sie als eine solche zu verkaufen. Da sie sich durch den Europäischen Gerichtshof gedeckt sieht, wagt sich die EZB immer weiter über die Grenzen ihres Mandats hinaus“, sagte er am Donnerstag.
„Gleichwohl bereitet die EZB weitere Schritte dieser Art vor, indem sie den 500-Euro-Schein abschaffen will, damit das Ansammeln von Bargeld noch teurer wird. Das ist eine völlig verfehlte Politik.“ Auch die Ausweitung der Anleihekäufe von 60 auf 80 Milliarden Euro pro Monat bemängelte er: „Mehr Wasser hilft nicht, wenn die Pferde nicht saufen wollen“, sagte Sinn. „Die EZB scheint am Ende ihres Lateins angekommen.“
Didier-Saint Georges, Mitglied des Investmentkommitees von Carmignac (10.03.2016):
“Wie von uns erwartet tut die EZB was sie kann, um die Finanzbedingungen in der Eurozone zu verbessern. Das könnte genügen, damit die Märkte noch eine Weile weiter schlafwandeln können. Aber Investoren lesen zwischen den Zeilen der EZB-Entscheidung drei Dinge heraus: 1) Die globale Weltwirtschaft verschlechtert sich weiter und auch die Eurozone ist hiervon betroffen 2) Das Quantitative-Easing hat bisher nicht in dem Ausmaß funktioniert, wie beabsichtigt 3) Die Nebenwirkungen von Negativzinsen können nicht ignoriert werden und begrenzen den weiteren Handlungsspielraum der EZB. “
Simon Ward, Chief Economist, Henderson Global Investors (10.03.2016):
“Having mislaid his bazooka in December, Mario Draghi has returned to the fray firing a blunderbuss. The ECB announced an unexpectedly wide range of easing measures, including cuts in all three key interest rates, an expansion and broadening of asset purchases, and a new TLTRO lending programme under which banks will be paid to borrow. While superficially impressive, this scattershot approach will probably have limited impact on monetary conditions and the economic outlook.
The main positive surprises in today’s announcements were: 1) a 5 basis point (bp) cut in the main refinancing and marginal lending rates, in addition to a 10 bp reduction in the deposit rate; 2) a €20 billion expansion of the monthly rate of asset purchases, with the programme extended to non-financial corporate bonds; and 3) new four-year TLTRO operations under which banks can borrow at the negative deposit rate if they expand their lending by modest amount over the next two years.
These initiatives, however, are marginal. Market rates are now tied to the deposit rate, not the main refinancing rate. The cut in the latter will lower interest payments for banks currently borrowing from the ECB but will simultaneously reduce interest received on current account balances (i.e. required reserves) – the net impact on banks in aggregate will be insignificant. (…) “