Großbritannien, als Wiege der Demokratie nach moderner Interpretation, zeigt uns im Zuge der Brexit Debatte neuerlich den Weg zu den basalen gesellschaftlichen Treibern der Gegenwart. Die Kontrahenten in diesem Spiel heißen nicht UK vs Brüssel, sondern Enttäuschte vs Eliten. Und selbst diese Zuspitzung ist lediglich das Produkt einer Fehlstellung von Begriffen und ihren validierenden Konzepten. Mit den Worten von Tony Benn formuliert:
“This country and the world have been run by rich and powerful men from the beginning of time.”
Das 18., 19. und 20. Jahrhundert mit seinen Basisinnovationen (Dampfmaschine, Massenproduktion, etc.) eingebettet in die humanistische Befreiung des Individuums (Philosophisch: „Freier Wille“, Politisch: Frauenwahlrecht, Menschen- und Minderheitenrechte; etc.) intonierten eine historische Ausnahme samt furchtbarer Überforderung im Umgang mit diesen Freiheiten (siehe euphorische Technikgläubigkeit vor dem 1. WK oder die sozialen und nationalen Fragen in der 2. Hälfte des 19. Jh. in diversen europäischen Monarchien).
Zugleich erzwang die Selbstbefähigung des Individuums gesellschaftlich stabilisierende Phänomene wie die Gewerkschaften oder die Mittelschicht. Erst aus dieser an Breite gewonnenen politischen, wie ökonomischen Partizipation des Individuums konnten unsere Volkswirtschaften ihre Abhängigkeit vom Konsumenten entwickeln. Erst aus dieser Breite konnten sich Narrative wie der amerikanische Traum etablieren – dem Prototypen sozialer Mobilität mittels inklusivem Marktmechanismus.
Unseren Gesellschaften diente die soziale Mobilität über den ökonomischen Umweg als Spiegel zu den anachronistischen Ungerechtigkeiten wie Sklaverei, Ausgrenzung von Frauen, Ausgrenzung von ethnischen/religiösen Minderheiten, ungerechten Verteilungsproportionen, etc.
Unseren Volkswirtschaften diente die soziale Mobilität und ihrem kräfteraubenden Abbau von Anachronismen durch die Ausdehnung der Konsumentenbasis (zum Beispiel durch zunehmende Inklusion der Frauen in das Erwerbsleben im Laufe des 20. Jh).
In short, Basis von sozialer Mobilität war die politische, wie ökonomische Selbstbefähigung des Individuums, gepaart mit einem inklusiven Marktmechanismus, der das Ausleben der Selbstbefähigung ermöglichte.
Daraus ist abzuleiten, dass ein inklusiver Marktmechanismus und generationale Chancengleichheit zeitinsensitive Relevanz besitzen. Erst diese Kombination ermöglicht uns mittels der sozialen Mobilität,
- dass die Besten der Gesellschaft eine Chance haben, an die Spitze eben dieser zu gelangen
- dass die Besten der Gesellschaft federführend mittels Wettbewerb an Lösungen zu den Fragen der heutigen Zeit arbeiten können.
Hier beginnt die eingangs benannte Fehlstellung von Begriffen und ihren validierenden Konzepten.
Als Thatcher und Reagan in den 1980ern, bestärkt durch die akademische Vorarbeit u.a. in Chicago, begannen, ihre Länder fit für die aufkeimende Globalisierung zu machen, firmierten deren Reformen unter Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Sie sollten, so der liberale Anspruch, das Individuum stärken. 1989 verfestigte deren an die nächste Generation weitergereichte Reformagenda durch den „Sieg“ des Kapitalismus über den Kommunismus. Doch hat deren Interpretation von Kapitalismus keine Kongruenz mit einem inklusiven Marktmechanismus aufzuweisen. Oder mit Noam Chomsky (Interview im September 2015) formuliert:
„Progress requires puncturing the bubble of inevitability: austerity, for instance, is a policy decision undertaken by the designers for their ownpurposes.
US capitalism also benefits from ideological obfuscation: despite its association
with free markets, capitalism is shot throughwith subsidies for some of the
most powerful private actors.“
Die in ihren Spielregeln bereits in Bretton Woods (1944) und durch das GATT Abkommen (1947) ausgelegte Globalisierungsdynamik seit den 1980ern führte weltweit zu einer massiven Reduktion von extremer Armut, speziell seit der vor rund 15 Jahren an Momentum gewonnen habenden Konvergenzbewegung der Entwicklungsländer. Parallel dazu entsolidarisierte sie die entwickelten Volkswirtschaften durch eine Entkoppelung von Produktivitätsgewinnen und ihrer Partizipation durch Erwerbsarbeit, bei gleichzeitiger Domestizierung der Erwerbsarbeiter mittels dem Ausweiten von Lebensgewohnheiten nicht durch besseren Verdienst (Partizipation an Produktivitätsgewinnen) sondern durch Aufnahme von Schulden. Und das bei einem gesellschaftlich konnotierten Begriff von Schulden, der eine Schuld impliziert. Um Margret Thatcher zu zitieren:
„You may not be able to get a wage increase, but you can borrow.”
Ergebnis ist eine Schwächung sowohl des inklusiven Marktmechanismus durch die Oligopolisierung von marktwirtschaftlichen Allokationsprozessen und die Plutokratisierung von politischen Entscheidungs-prozessen, als auch eine Schwächung der generationalen Chancengleichheit durch ein Dekonstruieren der Mittelschicht und ihrer stabilisierenden Faktoren wie direkte demokratische Partizipation oder solidarisierenden Bewegungen wie den Gewerkschaften.
In Summe ergibt dies eine Schwächung der sozialen Mobilität in unseren Gesellschaften und dadurch einen zunehmenden Rückfall in die historische Normalität, wie sie Tony Benn formulierte.
Dabei geht es nicht um die ideologisch verblendete Frage nach mehr Staat oder mehr Privat. Mariana Mazzucato erläuterte in Ihrem Buch „The Entrepreneurial State“ eindrucksvoll, dass es ein sowohl, als auch bei gleichzeitig strikter Abgrenzung des Rollenverständnisses beider benötigt,um einen inklusiven Marktmechanismus zu reaktivieren.
Mag. Markus Schuller, MBA, MScFE
Managing Director
Panthera Solutions
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