Clemens Fuest, ifo-Präsident (24.06.2016):
Der neue ifo-Präsident Clemens Fuest hat den Brexit bedauert. "Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er am Freitag. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt. Es ist wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibt."
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank (24.06.2016):
„Das ist nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor fast dreißig Jahren ein politisches Beben gleicher Größenordnung. Politisch beginnt damit sowohl für die Europäische Union wie für Großbritannien ein neues Kapitel ihrer Geschichte, von dem niemand weiß, wo es den europäischen Kontinent hinführen wird.
In der Wirtschaft muss und wird es aber weitergehen; Unternehmen und Finanzmärkte werden als erste daran gehen, die Nach-Brexit-Welt umzugestalten. Diese Neuausstattung ist teuer: Wir rechnen mit einer Rezession im Vereinigten Königreich und einer konjunkturellen Delle in Euroland.
Für Euroland fallen die wirtschaftlichen Brexit-Effekte nicht so ins Gewicht wie für die Insel-Wirtschaft: schließlich macht die EU 45% des britischen Außenhandels aus, umgekehrt das Vereinigte Königreich nur 8 % des EU-Außenhandels. Auf Branchenebene oder gar für einzelne Unternehmen können allerdings die Folgen immens sein. Für die Konjunktur dauert es zwei bis drei Monate, bis man die Tiefe der Delle abschätzen kann.
Vor beiden Seiten liegen nun mühselige und mit kurz- und langfristigen Kosten verbundene rechtliche und geschäftliche Neugestaltungen, wobei die anfänglichen negativen Folgen stärker in Großbritannien als in der Union anfallen werden. Im besten Fall sind die größten Anpassungen in fünf bis zehn Jahren abgeschlossen. Weder werden danach die Volkswirtschaften in Armut versinken, noch ist diesseits oder jenseits des Ärmelkanals aufgrund der Trennung mit blühenden Landschaften zu rechnen.
Die Finanzmärkte wurden auf dem falschen Fuß erwischt, da die letzten Trends vor der Wahl auf das andere Ergebnis hindeuteten. Das lässt die Reaktionen noch heftiger ausfallen. Sollten sich keine selbstverstärkenden Kettenreaktionen ergeben wird es einige Wochen dauern, bis sich die Märkte An die neuen Umstände angepasst haben und sich wieder beruhigen.
Innerhalb der Europäischen Union hatte das Vereinigte Königreich eine gewichtige Stimme, selbst wenn es nicht alle Standpunkte durchsetzen konnte. Außerhalb der Union ist es ein kleines Land mit einer einseitig aufgestellten Wirtschaft und einem riesigen Handelsdefizit.
Das Vereinigte Königreich hat die Zwangsvorstellung eines zentralistischen und dirigistischen Europas durch die Utopie eines florierenden Singapurs in der Nordsee ersetzt. Beide Vorstellungen sind nicht realistisch.
Wie immer bei politischen Themen lassen sich Fehlentwicklungen leichter darstellen als die positiven Seiten. Die Europäische Union hat jedoch enorme positive Wirkungen, von Freizügigkeit und wirtschaftlichen Freiheiten bis hin zur internationalen Verhandlungsmacht aufgrund ihrer Größe.“
Peter Szopo, Chief Equity Strategist, Erste Asset Management (24.06.2016):
“Die gestrige Volksabstimmung in Großbritannien überraschte mit einer knappen Mehrheit für „Brexit“. Nach derzeitigem Stand entschieden sich 51.8% für den Brexit, also für das Ausscheiden des Landes aus der Europäischen Union. Umfragen und Wettquoten hatten zuletzt auf eine Mehrheit für den Verbleib des Landes in der EU hingedeutet.
Auf den Finanzmärkten ist unmittelbar mit einer deutlich negativen Reaktion zu rechnen, zumal gerade in den letzten Tagen vor dem Referendum die Entwicklung des Pfund-Kurses, der Aktien-Volatilität und der Aktien-Indizes suggerierte, dass Investoren mehrheitlich eine Ablehnung des Austritts antizipierten.
Es ist davon auszugehen, dass das britische Pfund und der Euro deutlich gegenüber dem Dollar, dem Yen und dem Schweizer Franken verlieren. Bereits in den ersten Stunden, in denen der Sieg des Brexit-Lagers erkennbar wurde, verloren das Pfund 10% und der Euro 4% gegenüber dem Dollar.
Auch auf den Aktienmärkten ist eine massive Korrektur zu erwarten, verbunden mit einem gleichzeitigen deutlichen Anstieg der Volatilitätsindikatoren. Der japanische Markt ist heute Morgen mehr als 8% in der Verlustzone, bei britischen und europäischen Aktien ist eine zweistellige Korrektur nicht auszuschließen.
Auf den Bondmärkten ist damit zu rechnen, dass die Spreads der europäischen Peripherie-Anleihen aufgehen, während die Renditen deutscher, britischer und US-amerikanischer Staatsanleihen sinken werden und in nächster Zeit gegen null – oder darunter – tendieren werden. Erwartungsgemäß wird sich Gold – wie meist in ähnlichen Schocksituationen – unter den Gewinnern befinden. Bereits in der ersten Reaktion legten Goldfutures heute Nacht um US$ 80 per Feinunze zu.
Das Ausscheiden Großbritanniens ist eine Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte – für das Land selbst, aber auch für die Europäische Union. Die ökonomischen und politischen Auswirkungen sind angesichts der Unsicherheiten über die künftige politische Konstellation in Großbritannien, über das in Zukunft herrschende Handelsregime zwischen dem Land und der EU sowie über die Auswirkungen auf die Zukunft der Europäischen Union schwer abzuschätzen. Daher ist davon auszugehen, dass die Märkte auch nach der unmittelbaren Marktreaktion am heutigen Tag die Märkte mittelfristig in einem „risk-off“-Modus bleiben werden, in dem Investoren Risiko meiden und Risikoanlagen dementsprechend unter Druck bleiben. Wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen, vor allem seitens der Zentralbanken, werden die negativen Folgewirkungen mildern, aber nicht komplett abfedern können.“
Matthew Beesley, Head of Global Equities, Henderson Global Investors (24.06.2016):
„With the BBC calling the result at 0439 for Leave, markets are, not unsurprisingly, reeling. With currency and stock markets rallying so aggressively over the last week, with 'cable' (USD-GBP) having touched 1.50 as the polls closed, the investor shock today will be hard to digest. We estimate markets were pricing in around only a 20% chance of Leave.
At the time of writing, Asian markets have not responded as negatively as we might have expected. The -8% fall that is currently reflected in FTSE futures could be just the start of an elongated period of weakness for the UK and indeed European stock markets. While Sterling and the Euro have led overnight in constantly trading markets, stock bourses will follow at 8am.
There will be debate and uncertainty over what exactly will happen next: how quickly will the UK evoke Article 50? What does the UK economy look like outside of the EU? Will the United Kingdom stay United or will this trigger a break-up of the United Kingdom as we know it, with another Independence Vote for Scotland given the country's over-whelming vote to Remain? Could this give rise again to structural questions around the future of the European Union given the succour the outcome will give to other disgruntled factions across the continent.
For the UK, this is a seismic result. Its implications will undoubtedly be felt beyond UK borders, with immediate and perhaps long-lasting impacts on global trade and certainly on all asset markets.“
Stefan Kreuzkamp, Chief Investment Officer (CIO), Deutsche Asset Management (24.06.2016):
„Unmittelbare Marktreaktion: Im frühen asiatischen Handel ist ein deutlicher Rückgang des Britischen Pfund (GBP) gegenüber dem US-Dollar (USD) (auf den tiefsten Stand seit 1985) sowie dem Euro (EUR) zu beobachten. „Fluchtwährungen” im Allgemeinen und der japanische Yen (JPY) im Speziellen können dagegen im Zuge steigender Risikoaversion der Marktteilnehmer signifikant zulegen. Britische und europäische Aktienmärkte dürften zur Handelseröffnung deutlich unter Druck geraten. Die Bank of England (BoE) und andere wichtige Zentralbanken haben mit Blick auf mögliche Marktverwerfungen bereits zusätzliche Liquiditätsbereitstellungen angedeutet. Eine Erklärung der europäischen Entscheidungsträger ist in den nächsten Stunden zu erwarten.
Kurzfristige Erwartung: 3-monatiger Zeithorizont (Geld-)Politik: Der britische Premierminister Cameron hatte im Vorfeld zwar betont, auch im Falle eines Austritts Vorsitzender der konservativen Partei und Premierminister bleiben zu wollen. Allerdings könnte er sich nun auch von beiden Ämtern zurückziehen. Ein potenziell „Europa-skeptischer” Nachfolger dürfte die Austrittsverhandlungen mit der EU erschweren. Formal gestartet werden die Austrittsverhandlungen, sobald Grossbritannien seinen Austritt aus der EU nach Artikel 50 der Verträge von Lissabon erklärt. Dabei dürften sich die europäischen Vertreter als harte Verhandlungspartner erweisen, um anti-europäischen Strömungen in anderen EU-Mitgliedsstaaten entgegen zu treten. Die BoE scheint auf starke Marktreaktionen vorbereitet, nicht zuletzt dank der Swap-Vereinbarungen mit der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank (EZB). Mittelfristig könnte sie – falls erforderlich – mit Leitzinssenkungen und dem erneuten Ankauf von Staatsanleihen (Quantitative Easing) reagieren. Allerdings droht der BoE ein Dilemma, falls das fallende Pfund zu steigender Inflation führt. Zudem wird ein möglicher Nachfolger im Amt von Schatzkanzler Osborne harte Entscheidungen im Spannungsfeld von Sparanstrengungen und fiskalischem Stimulus treffen müssen.
Anlageklassen: Bevorstehende Kapitalabflüsse aus Grossbritannien sollten weiteren Abwertungsdruck auf das GBP gegenüber den „Fluchtwährungen” USD und JPY ausüben. Auch der EUR sollte schwach bleiben. Die zu erwartende starke Risikoaversion der Marktteilnehmer könnte zu einem Abverkauf am britischen und europäischen Aktienmarkt führen. Dennoch könnten exportorientierte britische Unternehmen aufgrund der erwarteten GBP-Schwäche als relative Gewinner gegenüber den binnenmarktorientierten hervorgehen. In Kontinentaleuropa sollte die gesamte Bandbreite risikobehafteter Anlageklassen von Aktien über Peripheriestaatsanleihen bis hin zu Unternehmensanleihen geringerer Bonität unter Verkaufsdruck geraten. In besonderem Masse könnten Eigen- und Fremdkapitalvehikel von Finanztiteln betroffen sein. Das Ausmass des Abverkaufs wird dabei stark davon abhängen, wie schnell es den (geld-)politischen Entscheidungsträgern gelingt, das Vertrauen von Marktteilnehmern wieder herzustellen. Vor diesem Hintergrund gewinnen die anstehenden politischen Grossereignisse in Europa, allen voran die spanische Parlamentswahl am kommenden Sonntag, an Brisanz.
Langfristige Erwartung: 3- bis 12-monatiger Zeithorizont (Geld-)Politik: Nach Artikel 50 der Verträge von Lissabon „sollte das austrittswillige Land nicht an den Diskussionen des Europäischen Rats […] oder dessen Entscheidungsfindung beteiligt sein”. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der britische Premierminister auf eine Vielzahl bilateraler Verhandlungen mit den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten angewiesen sein wird. Zudem ist derzeit offen, in welcher Form der Austritt erfolgen wird. Ein Modell nach norwegischem Vorbild (European Economic Area, EEA) könnte mit Blick auf den immensen politischen Druck in Grossbritannien, die Einwanderung zu verringern, von der britischen Regierung abgelehnt werden. Ausserdem erscheint allein der bürokratische Aufwand, über 120 Handelsabkommen neu zu verhandeln, kaum zu stemmen. Auf geldpolitischer Seite dürften die BoE und die EZB ihre lockere Geldpolitik fortsetzen. Dies könnte in besonderem Masse relevant werden, wenn mit Deutschland die grösste europäische Volkswirtschaft durch den Austritt Grossbritanniens aus der EU in Mitleidenschaft gezogen würde. Wünschenswert wäre, dass die europäische Politik das Referendum als Weckruf deutet, Reformen zügig voran zu treiben.
Anlageklassen: Nach einer scharfen unmittelbaren Abwertung des GBP sollte die Währung vorerst unter Druck bleiben. Die politische Unsicherheit im Zuge der Austrittsverhandlungen dürfte britische Aktien belasten und den positiven Effekt eines schwächeren GBP kompensieren. Auf Sektorenebene könnten Maschinenbauer, Logistik-, Chemie- und Energieunternehmen sowie Versicherer und Finanztitel aufgrund ihrer engen Verbindung zu EU-Partnern besonders betroffen sein. Gilt-Renditen könnten anziehen, um eine ihrem Risiko angemessene Verzinsung zu bieten, vor allem wenn die erwartbare Ratingabstufung Grossbritanniens vollzogen wurde. Hierbei erscheinen die längerfristigen Auswirkungen auf die Refinanzierungsmöglichkeiten Grossbritanniens überschaubar, dennoch gilt es, diese Entwicklung aufgrund möglicher Ansteckungseffekte – hauptsächlich in Südeuropa – eng zu beobachten.“
David Zahn, Head of European Fixed Income, Franklin Templeton Fixed Income Group (24.06.2016):
„Ich glaube, dass sich nach der gestrigen Abstimmung die Volatilität an den Finanzmärkten deutlich erhöhen wird. Das Pfund Sterling wird vermutlich nachgeben und es ist unwahrscheinlich, dass sich die Zinssätze in Großbritannien in nächster Zeit ändern werden, da diese Entscheidung das Anlegervertrauen enorm untergraben dürfte.
Ungewissheit ist Gift für die Märkte und bei einer Abstimmung über einen Brexit gibt es eine große Zahl an ungewissen Faktoren: Es stellt sich nicht nur die Frage, wie sich diese Situation entwickeln wird, sondern sogar, wer sich damit auseinandersetzen muss.
Unserer Ansicht nach ist es wichtig, unter Anlagegesichtspunkten eine langfristige Sichtweise einzunehmen, selbst wenn dies angesichts der Volatilität, die gerade an den Märkten herrscht, schwierig ist. Wir werden genau darauf achten, was die Politiker tun, denn danach werden sich die Märkte wahrscheinlich richten.
Wir raten Anlegern, diese Gelegenheit zu ergreifen und ihre Portfolios langfristig auszurichten. Wir vertreten die Meinung, dass diese Turbulenzen in den nächsten Wochen und Monaten eine Reihe von Gelegenheiten schaffen werden, da ansonsten attraktive Anlagewerte eventuell von den Kurskapriolen mitgerissen werden. (…)“
Richard Buxton, Head of UK equities and CEO, Old Mutual Global Investors (24.06.2016):
“We had expected the result of the vote to be close, but our conviction was nevertheless that the status quo would prevail.
The biggest sadness of today is that it is reasonable to assume that the UK will quickly enter a period of economic recession, the key reason why we believed the outcome would be different from what has materialised today. It is, in effect, likely to be the first ever “DIY recession”, as George Osborne prophetically called it.
It is difficult to say at this stage what action the Bank of England may take, but it is not impossible to imagine that it may quickly cut interest rates. Restarting the programme of quantitative easing – a feature that has been absent from the economic landscape for some three years now – also looks a possibility. At the very least, the central bank is likely to indicate its preparedness to take such action.
The oil price declined immediately by around 5% as the likely result of the vote became clear, suggesting expectations for a marked decline in global demand. Other early indicators included declines in the Australian, Hong Kong and Japanese equity markets, which were still in session as the results were being announced. Bond yields immediately declined (prices rose), as investors began to seek perceived safe havens.
We believe that the prospects for domestically focused UK businesses are clearly the bleakest of all. FTSE multinationals will, on a relative basis, almost certainly perform better than their domestically oriented peers as the weaker pound will support overseas earnings when translated back into sterling.
Nevertheless, investors should now brace themselves for an unpleasant period of relatively indiscriminate selling as funds aim to meet redemptions in conditions where liquidity may be more limited than usual.
In terms of international markets, there seems to be a real possibility that the result could contribute to tipping the US economy into recession.
Looking further ahead, it seems inevitable that the UK and European economies will face a period of two years of uncertainty, as the UK attempts to negotiate how to extricate itself from the European Union, while maintaining access to European markets.
During this period of uncertainty, inward investment is likely to remain at best muted, as both international and UK businesses consider their options for future capital expenditure and hiring.
The result, in our view, also has potentially very serious implications for the future of the European Union itself; a break-up of the broader union has today become a distinctly greater possibility, and we would not be surprised to see amplified calls from, for example, the Netherlands, Sweden and Denmark to leave the EU.
In terms of the UK political landscape, David Cameron’s position as prime minister will now inevitably look strained, notwithstanding his earlier assertions that he would remain in post regardless of the outcome of the vote. He may nevertheless survive, as it may be felt that he is best placed to negotiate exit terms. Chancellor George Osborne’s current position is now similarly under threat, while the likelihood that he will become Cameron’s successor has all but evaporated.
Meanwhile, the result of the vote in Scotland shows a very different picture from that of England, with voters north of the border choosing resoundingly to remain in the EU. As such, the likelihood of a break-up of the United Kingdom has increased significantly.
Within equity markets, as ever at times of market stress, emotional reactions will mean that price falls will overshoot; this is the very nature of stock markets. The gold price was one of a very small number of bright spots as the result became clear; it immediately broke convincingly through the US$1,300/oz barrier, as investors looked for safe havens.
It is hard not to feel disappointed at this result, which we know is likely to result in a difficult period for UK equity investors. As ever, we will do everything in our power to help our clients to navigate these market conditions; any investment decisions we take will be made with careful consideration.”
Paras Anand, Leiter des europäischen Aktienteams, Fidelity (24.06.2016):
„Die Entscheidung der Wähler in Großbritannien, die EU zu verlassen, hat sowohl die Devisenmärkte als auch die Aktienmärkte überrascht. Das Ausmaß dieser Bewegungen muss man im Kontext einer starken Performance des Pfund Sterling und der UK-Märkte in den vergangenen Wochen betrachten. Dieses Ergebnis führt zu politischer Unsicherheit, die kurzfristig erhöhte Volatilität an den Märkten mit sich bringen dürfte. Anleger sollten jedoch wissen, dass sich solche Ereignisse in der Regel nur marginal auf die langfristigen Aussichten von Unternehmen auswirken. Die Folgen des Referendums auf die britische Binnenwirtschaft und Europa im Allgemeinen sind noch schwer abzuschätzen und werden wahrscheinlich erst im Laufe der Zeit offensichtlich. Sicherlich erhöht der Rückgang des Pfund Sterling die Wettbewerbsfähigkeit der Sektoren mit hohem Exportanteil und sollte langfristig den Appetit für Investitionen aus dem Ausland erhöhen. Wenn wir den Unternehmenssektor näher betrachten, stellen wir fest, dass Unternehmen über erhebliche Barreserven verfügen, sodass der Spielraum für die weitere Unternehmstätigkeit bestehen bleibt. Das sollte das Ausmaß der Kursrückgänge beschränken, die wir in den kommenden Wochen und Monaten sehen werden.
Wir handeln heute nicht anders als in der vergangenen Woche: Wir nutzen die Chance, die von diesen makroökonomischen Ereignissen ausgehen und konzentrieren uns auf Unternehmen, in die wir langfristig investieren möchten. Der paneuropäische Unternehmenssektor ist in der Tat sehr international aufgestellt – ganz im Gegensatz zum US-amerikanischen oder asiatischen Unternehmenssektor. Selbst in einem Szenario, in dem das Abstimmungsergebnis negativere Auswirkungen auf die Nachfrage in Großbritannien und stärkere Auswirkungen auf Europa halt als wir derzeit glauben, wird dies die Aussichten für europäische Unternehmen nicht so stark beeinflussen wie manche glauben.“
Björn Jesch, Leiter Portfoliomanagement und Vorsitzender des Union Investment Committee, Union Investment (24.06.2016):
“Sie haben es tatsächlich getan – die Briten haben sich für den Austritt aus der Europäischen Union (EU) entschieden! Lange wurde ein Brexit eher als feuilletonistische Fingerübung denn als realistisches Szenario abgetan. Umso größer ist heute die Katerstimmung. Jetzt ist klar: Nach 43 Jahren hat Großbritannien das Ende seiner EU-Mitgliedschaft besiegelt. Aus Investorenperspektive ist der Ärmelkanal mit dem Brexit erheblich breiter geworden.
Aus wirtschaftlicher Sicht kennt das Ergebnis nur Verlierer. Allen voran wird das Vereinigte Königreich unter der Entscheidung leiden. Bislang war die Inselnation für Unternehmen aus Asien und Amerika das Tor zu Europa. Dieser Vorteil geht nun verloren. Wir rechnen bei Union Investment schon für 2016 mit einem Rückgang des britischen Wirtschaftswachstums auf 1,6 Prozent (nach 2,3 Prozent im Vorjahr). Wäre der Brexit abgewendet worden, hätte das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) viel deutlicher zulegen können. Nach unseren Berechnungen verzichten die Briten auf ein knappes Drittel ihres Wachstums für 2017. Verglichen damit ist die Einsparung des britischen Netto-Beitrags an die EU von neun Milliarden Pfund fast schon ein „little something“. Zudem ist ungewiss, wie die mehrheitlich pro-europäisch eingestellten Schotten und Nordiren auf das Referendum reagieren. Im schlimmsten Fall könnte der Bestand des Vereinigten Königreichs auf dem Spiel stehen.
Für Kontinentaleuropa ist es ebenfalls ein Schock. Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen droht ein institutioneller Dammbruch, denn auch in anderen Ländern dürfte die Austritts-Diskussion an Fahrt gewinnen: in den Peripherieländern (z.B. Italien) als verheißungsvoller Ausweg aus dem deutschen ‚Spardiktat‘, in den Kernländern (wie den Niederlanden), weil finanzielle Lasten ohne die Briten auf noch weniger Schultern verteilt werden. An den Kapitalmärkten wir daher zunehmend die Möglichkeit einer Kettenreaktion gesehen, das heißt es die Sorge vor einem Zerfasern des europäischen Projektes (inklusive der Währungsunion) wird verstärkt eingepreist. (…)”
Martin Gilbert, CEO, Aberdeen Asset Management (24.06.2016):
„Während die Abstürze an den Märkten zum Teil dramatisch ausfallen, ist meiner langen Erfahrung nach - ich habe bereits den Black Monday, den Black Wednesday, die Asien Krise und vieles mehr erlebt - jetzt nicht die Zeit für Kurzschlussreaktionen. Viel wichtiger ist es jetzt im Sinne unserer Kunden einen kühlen Kopf zu bewahren. Als Langfristinvestor ist es häufig am besten nichts zu tun oder sogar die Chancen zu nutzen, welche aus Fehlbewertungen entstehen.“
Eric Lonergan, Fondsmanager Multi-Asset, M&G Investments (24.06.2016):
„Die stärkste Reaktion hat das Pfund Sterling gezeigt, das im Verlauf der letzten Nacht um 10 % gegenüber dem US-Dollar gefallen ist. Es gab eine vorhersehbare Flucht in Währungen, die als sichere Häfen gelten, darunter der Yen und der Schweizer Franken.
Frühe Signale aus dem US Treasury-Markt und den asiatischen Märkten deuten darauf hin, dass es sich hauptsächlich um ein Thema in Großbritannien und Europa handelt: die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen ist um 25 Basispunkte gefallen, ähnlich der Marktbewegungen im Februar – eine Abwärtsbewegung, jedoch nicht sehr dramatisch. Mehr werden wir jedoch erst wissen, wenn die US-Märkte öffnen.
Die Märkte in Europa und Großbritannien sind noch nicht offen, doch wir erwarten, dass europäische Aktien um etwa 5 bis 10 Prozent fallen werden. Bundesanleihen dürften stark nachgefragt werden und die Spreads von Staatsanleihen der europäischen Peripheriestaaten könnten sich ausweiten. Es ist wahrscheinlich, dass der Finanzsektor am stärksten betroffen sein wird.
Grundsätzlich aber ist es noch zu früh, um die Auswirkungen auf die britische und die europäischen Volkswirtschaften zu beurteilen. Alles hängt davon ab, wie die Beziehung zwischen Großbritannien und Europa verhandelt wird. Es wird geraume Zeit dauern, bis wir wissen, was der Austritt aus der EU bedeutet – es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Parlamentswahl oder sogar zu einem EU-Verfassungsgipfel kommt, um Großbritannien alternative Rahmenbedingungen anzubieten.
Entscheidend ist nicht, wie der heutige Tag ausgeht, sondern wo wir in einem Monat oder in einem Jahr stehen werden.“
Hagen-Holger Apel, Senior Portfolio Manager, DNB Asset Management (24.06.2016):
“Wie wir erwartet haben führt die Bekanntgabe des Ergebnisses der Brexit-Abstimmung aktuell zu massiven Kursverlusten in allen Assetklassen, High Yield Investments eingeschlossen. Die Effekte sind am stärksten in Europa und UK, wir sehen auch kleinere Bewegungen im nordischen High Yield Markt.
Von einer fundamentalen Perspektive aus sollte ein Brexit geringe Auswirkungen auf die nordischen High Yield Märkte haben.
Wir sehen jede größere Kursbewegung, ausgehend von der Brexit-Entscheidung, als gute Einstiegsgelegenheit.“
Frank Fischer, CIO, Shareholder Value Management AG (24.06.2016):
“In ganz Europa machen sich seit Jahren nationalistische Tendenzen breit, sei es in Österreich, Frankreich und nun eben auch in Großbritannien. Die seit Jahren verschobenen Probleme wie der Grexit, Brexit, Flüchtlingskrise und strukturelle Ungleichgewichte in Europa lassen sich prima von rechtspopulistischen Parteien und Medien ausschlachten. Der nach Frankreich und Deutschland drittgrößte Nettozahler will seine Gelder nun selbst sinnvoller verteilen. Ob die wirtschaftlich schwachen Regionen von einer solchen Isolationspolitik profitieren bleibt abzuwarten. Daher überrascht es nicht, dass die pro Brexit-Wähler ältere Jahrgänge und wenig gebildet sind sowie eher aus ländlichen Regionen stammen, während in den Städten und bei Jugendlichen klar pro Europa gestimmt wurde.
So hat sich nun der britische Wähler mit einer hohen Wahlbeteiligung entschieden – es soll nicht Europa sein! Der britische Premier Cameron hat über Jahre darauf hingearbeitet und muss nun die Konsequenzen tragen, die Großbritannien in eine wirtschaftliche Randlage mit der wahrscheinlichen Konsequenz der Stagnation bringen kann. Kurzfristig wirkt der Verfall der britischen Leitwährung für den Export wie ein Konjunkturprogramm. Ist darum das Projekt eines geeinten Europas gescheitert? Kurzfristig ist der Verlierer die EU und auch der Anleger, egal auf welcher Seite des Kanals er sitzt.
Was bedeutet dies für den Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen und den PRMA – Globale Werte? Wir haben zugegebenermaßen mit einer Aktienquote über 80% nicht nur die Möglichkeit des Austritts, sondern auch die Spillover-Effekte auf andere Aktienmärkte unterschätzt. Was wir heute Morgen erleben mussten war eine Panikreaktion und Übertreibung, die viele Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischte. Natürlich ist unser Beta zum europäischen Aktienmarkt durch US-Titel und sich in Sondersituationen befindliche Titel deutlich geringer, dennoch werden wir an diesem Freitag einen für unsere Verhältnisse überproportional schwachen Tag haben.
Positiv ergeben sich natürlich Währungseffekte für US-Dollar Positionen. Und UK-Aktien in Pfund werden günstiger zu kaufen. Unsere bisherige Position im britischen Pfund lag bei 5,7%, was im Vergleich zu dem gut einem Drittel, was Großbritannien am europäischen Aktienmarkt ausmacht überschaubar ist. Die Reaktionen am Aktienmarkt sind wie immer propagiert kurzfristig nicht rational. Aktien wie Metro, Bertrandt, Gerry Weber oder Stada sind von einem Brexit und seinen Folgen nicht wirklich betroffen. Und da wir glauben, dass der Markt langfristig effizient ist, sehen wir als Fondsberate neue Kaufgelegenheiten von uns favorisierten eigentümergeführten Aktien mit einem starken wirtschaftlichen Burggraben, selbst in UK. Denn auch dort wird die Welt nicht untergehen und auch von dieser neuen Konstellation gibt es neue Profiteure, wie den Finanzplatz Frankfurt und seinen Immobilienmarkt. Die europäische Bankenaufsicht hat in London nun nichts mehr verloren. Der Brexit kann als eine Art Schlag auf den Hinterkopf oder Sollbruchstelle gesehen werden. Nun ist es an den Politikern in Brüssel aufzuwachen und nachzuholen, was sie über Jahre versäumt haben. England hat seinen IQ-Test nicht bestanden, am Wochenende folgen Spanien und im Herbst dann die USA.“