Die Grafik zeigt die Entwicklung der Arbeitsproduktivität pro Stunde in Deutschland in den letzten knapp 50 Jahren (für Österreich gibt es leider nicht so lange Reihen, der Trend ist aber ähnlich). Trotz allen technischen Fortschritts steigt die Zunahme nicht an, sondern wird geringer. Anfang der 70er-Jahre lag sie noch bei 4 bis 5% pro Jahr. Inzwischen ist sie unter 1% gefallen. Das ist übrigens in der ganzen westlichen Welt zu beobachten, auch in den USA. Was steckt dahinter?
Manche erklären es mit statistischen Messfehlern. Der technische Fortschritt erhöht häufig die Qualität der Produkte. Die Statistik ist aber nicht in der Lage, den sich daraus ergebenden zusätzlichen Nutzen für die Verbraucher richtig zu quantifizieren.
Haushaltsgeräte oder Autos werden mit immer mehr Funktionalitäten ausgestattet (so viele, dass man sie gar nicht alle nutzen kann). Wer will das alles messen? Die Arbeitsproduktivität ist daher vermutlich gar nicht so gering wie wir denken.
Es wäre jedoch zu einfach, das Problem allein darauf zurückzuführen. Das Verhältnis von technischem Fortschritt und Arbeitsproduktivität ist komplex. Zwei Faktoren sind hier wichtig. Das eine ist, dass sich technischer Fortschritt keineswegs nur in der Produktion äußert (und damit in der Produktivität). Wenn Smartphones, iPads oder Fitnessuhren auf den Markt kommen, die es vorher nicht gegeben hat, dann erleben wir technischen Fortschritt. Mit Arbeitsproduktivität hat das aber nichts zu tun. Es sind neue Produkte.
Das zweite ist, dass die Arbeitsproduktivität von ganz vielen unterschiedlichen Faktoren abhängt. Der technische Fortschritt ist nur einer davon. Er erhöht für sich genommen die Produktivität. Viele andere Faktoren aber bremsen sie.
Ein Beispiel ist der Protektionismus und das langsamere Wachstum des internationalen Handels in den letzten Jahren. Wenn die Güter nicht mehr dort produziert werden, wo dies am günstigsten ist (zum Beispiel in den Schwellen- und Entwicklungsländern), dann ist dies ein Verlust an Produktivität. Daran ändert auch der technische Fortschritt nichts.
Ein anderes ist die Investitionsschwäche in vielen Volkswirtschaften. Sie führt dazu, dass technische Innovationen nicht in dem Maße in der Produktion umgesetzt werden wie dies eigentlich möglich ist. Auch das verringert die Zunahme der Arbeitsproduktivität.
In Volkswirtschaften, in denen Facharbeitermangel herrscht, stellen die Unternehmen vielfach mehr Arbeitskräfte ein, als sie im Augenblick eigentlich benötigen. Sie schaffen sich einen Polster, auf den sie bei neuen Aufträgen zurückgreifen können. Für die Arbeitsproduktivität bedeutet das, dass sie niedriger ist, als sie sein könnte.
Schließlich ganz wichtig: In vielen Volkswirtschaften - vor allem in Europa - gibt es bürokratische und administrative Wettbewerbsbremsen. Sie führen dazu, dass Fortschritte, die eigentlich möglich wären, aus sozialen oder gesellschaftlichen Gründen verhindert oder verzögert werden. Die Expansion des neuen Fahrdienstes Uber etwa wird von der Lobby der bisherigen Taxis gebremst. Bei der Gründung und im Geschäft von Handwerksbetrieben gibt es viele – aus meiner Sicht unnütze - Beschränkungen. Der Handel darf seine Läden nicht (oder nur begrenzt) an Sonn- und Feiertagen öffnen.
All das führt dazu, dass die Arbeitsproduktivität nicht so stark steigt wie das aufgrund des technischen Fortschritts eigentlich zu erwarten wäre. Die Tatsache, dass sich das Wachstum permanent verlangsamt, deutet darauf hin, dass es immer mehr Bremsen gibt.
Das ist nicht nur ein theoretisches Problem. Es hat immense Auswirkungen auf die Volkswirtschaft insgesamt. Es bremst das Wirtschaftswachstum, mindert den Spielraum für Lohnerhöhungen und hält auf Dauer auch die Zinsen niedriger. Wenn es gelänge, die Arbeitsproduktivität von den 0,2% p.a. in den letzten zwei Jahren wieder auf das frühere Niveau von 3% anzuheben, wäre das gesamtwirtschaftliche Wachstum trotz aller demographischen Probleme um 2 bis 3% p.a. höher.
Für den Anleger: Das Produktivitätsparadoxon zeigt, dass niedriges Wachstum und niedrige Zinsen nicht gottgegeben sind. Sie können verändert werden, wenn die Wirtschaftspolitik die Produktivitätsbremsen lockert und damit Wachstumsreserven hebt. Schauen Sie sich bei internationalen Investments daher die Regierungen und ihre Bereitschaft zu Strukturreformen an. Man sollte dort investieren, wo etwas in dieser Richtung vorangebracht wird. Derzeit ist da außer Worten freilich wenig in der westlichen Welt zu erkennen.
Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
Hellobank! & Assenagon Asset Management
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