"Wer als Anleger auf das kommende Jahr schaut, kann sich eigentlich nur die Haare raufen. 2016 war schon schwierig. 2017 könnte noch schwieriger werden.
Das gilt auch unabhängig vom Wahlergebnis in den USA. Wohin man schaut, lauern weitere Risiken. Da sind die ungewissen BrexitVerhandlungen in Europa. In wichtigen Ländern der EU gibt es Volksentscheide beziehungsweise Wahlen. Die EZB steht vor einer Wende der Geldpolitik. Banken und Versicherungen sind nicht in bester Verfassung. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Wo kann man unter solchen Umständen noch investieren?
Die Unsicherheit ist verständlich. Ich habe aber das Gefühl, dass sie im Augenblick übertrieben wird. Bei Marktbetrachtungen machen wir immer einen grundlegenden Fehler. Wir sehen die Risiken, über die wir täglich in den Zeitungen lesen. Wir stellen uns lebhaft vor, was alles geschehen könnte. Wir schauen aber nicht, jedenfalls nicht so oft, auf den fundamentalen Status der Wirtschaft und der Märkte, der mindestens genauso wichtig ist. Er ist nur nicht so spektakulär und spannend, und er ändert sich nicht so oft.
Aus all dem ergibt sich die Neigung, bei Marktausblicken die Risiken in der Regel höher zu gewichten als die Chancen. Das beobachten wir auch heute wieder. Die fundamentalen Bedingungen des kommenden Jahres sind nicht schlecht. Es gibt Wachstum in der Weltwirtschaft. Es ist zwar nicht so hoch, wie wir uns das wünschen. Aber es ist groß genug, dass die Unternehmen weiter expandieren und Geld verdienen können. Ich habe unter den wichtigen Prognosen für das nächste Jahr keine gesehen, in der eine stärkere Rezession für die USA oder für Europa angenommen wird.
Die Arbeitslosigkeit hat in vielen Ländern abgenommen. Es werden wieder Stellen geschaffen. Der Geldwert ist stabil. Die Deflation, die immer das Risiko eines Absturzes mit sich bringt, ist vorbei. Andererseits gibt es auch keine Gefahren, dass die Preise zu stark steigen könnten.
All das ist eine gute Basis für die Kapitalmarktentwicklung im kommenden Jahr.
Natürlich gibt es die Risiken. Aber hier muss man zwischen zwei Arten differenzieren. Die, die wir täglich im Auge haben, sind derzeit nicht so, dass sie diese solide Grundkonstellation ernsthaft in Frage stellen würden. Erinnern wir uns an den britischen Volksentscheid zum Brexit. Viele hatten erwartet, dass das zu einem Zusammenbruch der Konjunktur auf der Insel und auch auf dem Kontinent führen würde. So etwas hätte in einer labilen wirtschaftlichen Situation durchaus passieren können. Aber wenn die Wirtschaften in einem einigermaßen gesunden Ausgangszustand sind, können sie auch solche Schocks wegstecken.
Das wird auch 2017 so sein. Der neue Präsident in den USA wird vieles anders machen und auch vieles anstoßen, was den Finanzmärkten nicht gefällt. Es wird aber nichts sein, mit dem die Unternehmen am Ende nicht leben könnten, wenn sie sich entsprechend anpassen. Das gleiche gilt, wenn es neue Regierungen in Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland geben sollte. Wenn die EZB im kommenden Jahr ankündigen sollte, dass sie einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik plant, dann wird es sicher ein Beben auf den Finanzmärkten geben (in den USA nannte man das damals „Taper Tantrum“). Am Ende wird sich aber die Erkenntnis durchsetzen, dass eine Normalisierung der monetären Verhältnisse auch für Geldanleger das Beste ist. In den USA hat das Beben an den Aktienmärkten nur kurz gedauert. An den Bondsmärkten war es etwas länger. Aber dann war es auch dort vorbei.
Daneben gibt es freilich die systemrelevanten Risiken wie bei der Finanzkrise 2007/8 oder der Eurokrise 2010. Sie sind ernster zu nehmen. Da helfen auch die fundamentale Stärke und die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen nichts. Wenn der Himmel einstürzt, können selbst die Tauben nicht mehr fliegen. So etwas ist im Augenblick aber nicht in Sicht.
Das Einzige, was mich in dieser Hinsicht beunruhigt, ist, dass die Märkte nicht wirklich sauber sind. Überall gibt es Überhitzungserscheinungen, wenn nicht gar Blasen. Die Aktienhausse dauert unter Schwankungen nun schon bald sieben Jahre. Die Zinsen können nach bisherigen Maßstäben nicht viel weiter sinken. Korrekturen sind hier nicht ausgeschlossen.
Das ist aber kein Grund für einen Crash. Denn die Zinsen sind nach wie vor extrem niedrig und es fehlt nicht an Liquidität. Wo sollen die Anleger das Geld hintun, wenn sie es aus dem Kapitalmarkt abziehen? Das Kopfkissen ist keine Lösung. Auch Bankeinlagen nicht, weil es hier keine Zinsen gibt. Am Bondsmarkt sind die Renditen für Staatsanleihen zu niedrig, um für Fluchtgelder attraktiv zu sein. Unternehmens- oder Bankanleihen sind selbst risikobehaftete Anlagen und daher keine Alternative.
Für den Anleger: Schauen Sie auch nach den US-Wahlen nicht nur auf die Risiken, sondern auch auf die fundamentalen Stärken und Schwächen der Volkswirtschaften. In der Grafik habe ich gezeigt, wie ich mir das für Deutschland 2017 vorstelle. Es gibt eine ganz solide fundamentale Expansion der Volkswirtschaft ohne größere Verspannungen. Sie ist die Basis für eine moderate Aufwärtsentwicklung an den Aktienmärkten (vielleicht plus 3 - 4%). Bei Bonds sieht es wegen möglicher Zinserhöhungen freilich schlechter aus. Überlagert wird die Entwicklung im Jahresverlauf durch Schwankungen wegen der Unsicherheiten aus dem politischen und ökonomischen Bereich. Mit anderen Worten: Es geht auch nach den US-Wahlen jedenfalls an den Börsen so weiter wie bisher."
Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
Hellobank! & Assenagon Asset Management
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