Dr. Jürgen Odenius, Principal and Economic Counsellor, PGIM Fixed Income: „Die heutige Entscheidung der Europäischen Zentralbank, ihre Forward Guidance bis Juni 2020 zu verlängern, war keine Überraschung – tatsächlich hat sich der Euro bei der Ankündigung gefestigt. Diese Entscheidung wurde vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Unsicherheiten getroffen, die heute als sehr langwierig gelten. Präsident Draghi unternahm alle Anstrengungen, um die sich abzeichnende Bedrohung durch den zunehmenden Protektionismus und die offensichtliche Veränderung der multilateralen Nachkriegsordnung hervorzuheben.
Was jedoch überraschte, war die ‚Granularität‘ der Diskussion des EZB-Rates. Im Falle negativer Szenarien, wurden in den Diskussionen mögliche Maßnahmen geprüft, darunter eine weitere Senkung des Einlagenzinssatzes in den negativen Bereich sowie die Wiederaufnahme von Anleihekäufen. Die Art der Diskussionen hatten einen weitgehend sondierenden Charakter. Präsident Draghi stellte jedoch fest, dass sie dazu dienten, die Bereitschaft der EZB, weitere Maßnahmen zu ergreifen, hervorzuheben und alle Zweifel darüber auszuräumen, dass die EZB nicht über den politischen Spielraum verfüge.
Nach unserer Einschätzung bleibt die Messlatte für eine mögliche Wiederaufnahme der Anlagenkäufe hoch, da sich die wirtschaftlichen Aussicht nicht dramatisch verschlechtern und vermutlich zunächst eine Senkung der Leitzinsen erfolgen wird."
Thomas Romig, Head of Multi Asset und Geschäftsführer bei Assenagon Asset Management: „Die EZB hat enttäuscht. In Anbetracht eines Übergewichts der Abwärtsrisiken und der aktuellen Geldpolitik der Fed, hätte der Markt mehr Inspiration in Bezug auf die Anwendung neuer oder zumindest der bekannten geldpolitischen Instrumente erwartet.
Mit den Entscheidungen hat man genau das Gegenteil von dem erreicht, was die EZB eigentlich gerne sehen würde – nämlich einen schwächeren Euro, der die Wirtschaft der Eurozone hätte stützen können. Stattdessen hat der Euro nach der Bekanntgabe der Ergebnisse zugelegt.
Deshalb rechne ich damit, dass es in naher Zukunft in einer Rede oder Verlautbarung der EZB-Führung mehr Hinweise hinsichtlich einer expansiveren Geldpolitik geben wird, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.“
Dr. Wolfgang Bauer, Fondsmanager im Anleiheteam bei M&G Investments: „EZB-Präsident Mario Draghi zückte heute nicht seine sprichwörtliche große Bazooka, sondern beschränkte sich auf ein kleineres Kaliber. Zugegeben, die Aussicht auf Zinserhöhungen in der Eurozone wurde weiter nach hinten verschoben, womit Zinsen in der Eurozone bis mindestens Mitte 2020 auf dem gegenwärtigen ultra-niedrigen Niveau verharren werden. Aber, um ehrlich zu sein, diese Ankündigung kam wenig überraschend. Der Kollaps der Rendite auf deutsche Staatsanleihen in den vergangenen Wochen signalisierte ja, dass sich die Märkte nicht um mögliche Zinserhöhungen sorgen, sondern ganz im Gegenteil eine weitere Zinssenkung als wahrscheinlicher erachten.
Auch die heute vorgestellten Details des TLTRO-III-Programms blieben etwas hinter den – zugegebenermaßen wohl zu optimistischen – Erwartungen einiger Marktteilnehmer zurück, die damit gerechnet hatten, dass die neue TLTRO-Runde europäischen Banken noch großzügigere Konditionen gewähren würde als die vergangene. Dennoch, auch wenn die EZB heute nicht ganz so weit gegangen ist, wie einige dies wohl erwarten hatten, so zeigt doch die Auflage von TLTRO-III wieder einmal deutlich, dass die EZB die Sorgen europäischer Banken ernst nimmt und bereit ist, bis auf Weiteres äußerst akkommodierend zu agieren, was Investoren im europäischen Bankensektor doch ein wenig beruhigen sollte.“
Johannes Müller, Head Macro-Research, DWS: „Die EZB bleibt sich treu und überrascht mit einer Verlängerung ihrer sehr expansiven akkommodierenden Geldpolitik: Nicht mehr nur bis Ende 2019, sondern mindestens bis Mitte 2020 sollen die Leitzinsen auf ihrem jetzigen Niveau verharren. Das bestätigt unsere Einschätzung, dass die sogenannte "forward guidance", also die Lenkung der Markterwartungen, durch die kommunikativ langfristige Festlegung der Geldpolitik im Instrumentarium der EZB an Gewicht gewinnt. Ihre Entscheidung, die Zinsen auf dem aktuellen Niveau zu belassen, begründet die EZB mit einer durch Handelsstreit und Brexit erhöhten makroökonomischen Unsicherheit.
Vor diesem Hintergrund ist es sogar erstaunlich, dass die Projektionen nur moderat angepasst wurden: Das Wachstum für 2020 wird etwas skeptischer gesehen und es bleibt bei der Einschätzung, dass die Inflation auch 2021 nicht das Ziel der EZB erreichen wird. Zum Thema Negativzinsen und Bankenprofitabilität sagte Mario Draghi, dass negative Zinsen bisher noch stets einen positiven Beitrag zur geldpolitischen Expansion geleistet hätten. Dies gelte jedenfalls für die Vergangenheit, müsse aber in der Zukunft nicht gelten. Damit bleibt der Freibetrag („Tiering System") auf die Einlagenfazilität weiterhin ein mögliches Instrument im Werkzeugkasten der EZB.
Die wichtigste Botschaft unserer Meinung nach war jedoch die Aussage, dass die EZB bereit stünde, mit allen möglichen Instrumenten zu agieren, wenn sich die Rahmenbedingungen verschlechtern sollten. Von Normalisierung bleibt die EZB also weit entfernt. Im Gegenteil, die Zeichen stehen weiterhin auf Expansion."
David Zahn, Head of European Fixed Income, Franklin Templeton: "Wir sind seit mehreren Wochen der Meinung, dass die Juni-Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) wichtiger wäre, als viele Kommentatoren erwartet haben. Und es hat sich für uns bewahrheitet. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die EZB nach wie vor eine inflationszielorientierte Zentralbank ist. Als die Zinserwartungen des Marktes für den Euroraum in den letzten Monaten nachgegeben haben, erwarteten wir also entschlossenes Handeln von EZB-Präsident Mario Draghi und seinen Kollegen.
In der Vergangenheit haben wir gesehen, wie die EZB auf einen deutlichen Rückgang des 5-jährigen, 5-jährigen (5yr-5yr) Forward Inflationsindexes mit deutlichen Maßnahmen reagiert hat. 5yr-5yr ist ein Maß für die Inflationserwartung des Marktes für fünf Jahre, fünf Jahre nach heute. Die aktuellsten verfügbaren Zahlen zeigen, dass der Inflationswap der Eurozone im ersten Quartal 2019 bei rund 1,3% lag, verglichen mit 1,7% im dritten Quartal 2018, und sich immer weiter vom 2%-Ziel der EZB entfernt hat. (Quelle: Source: Bloomberg, as at 6 June 2019) Tatsächlich liegt die fünfjährige Inflationserwartung unter dem Niveau, das sie bei der Einführung des quantitativen Lockerungsprogramms durch die EZB im März 2015 erreicht hat.
Im Mittelpunkt der heute angekündigten Reaktion der EZB steht ihr Programm für langfristige Refinanzierungsgeschäfte (LTROs). Von den derzeitigen LTROs sollen 2020-2021 rund 700 Milliarden Euro fällig werden. Wir sind der Meinung, dass die von der EZB heute angekündigten attraktiveren Refinanzierungskonditionen die Banken ermutigen sollten, sich zu refinanzieren und wahrscheinlich mehr zu leihen und Anleihen am kurzen Ende zu kaufen. Dies wiederum sollte die Zinskurven in den so genannten Randländern der Eurozone - denjenigen mit kleineren oder weniger entwickelten Volkswirtschaften in Europa - in guter Verfassung halten. Wie sieht die zukünftige EZB-Politik aus?
Das Wachstum in Europa ist nach wie vor ordentlich (aber nicht mehr als das). Angesichts geopolitischer Unsicherheiten wie Brexit und Handelsspannungen scheint es uns offensichtlich, dass die Risiken für die Märkte überwiegen. Daher erwarten wir, dass die EZB weiterhin akkommodierend ist. Eine Zinserhöhung im Euroraum erwarten wir nicht vor 2022. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass viele der Akteure, die die Richtung der EZB bestimmen, in diesem Jahr wechseln werden. Draghi's Amtszeit endet Ende Oktober, und bis Ende des Jahres werden acht der 19 nationalen Zentralbank-Gouverneure nicht mehr über die Zinsen mitentscheiden sondern zurückgetreten sein.
Das große Fragezeichen ist also, in welche Richtung sich die EZB danach entwickelt, denn das bisherige Verhalten der EZB lässt sich dank der anstehenden Personalwechsel nicht einfach in die Zukunft übertragen. Sie könnte „dovish“ sein wie jetzt aber sich genauso gut auch als „hawkisch“ herausstellen.
Aber solange die EZB ein inflationszielorientiertes Organ bleibt, glauben wir, dass sie weiterhin eine akkommodierende Geldpolitik verfolgen wird."
Andrew Wilson, CEO for EMEA and Global Head of Fixed Income, Goldman Sachs Asset Management: "In line with our expectations, the ECB kept policy unchanged but acknowledged downside risks posed by protectionist trade measures, geopolitical uncertainties and emerging market vulnerabilities. That said, it’s 2019 growth and inflation forecasts were revised marginally higher; the former likely reflects stronger-than-expected first quarter GDP growth while the latter is based on energy developments. The outlook for growth beyond 2020, however, was downgraded.
Contrary to our expectations, the date-based forward guidance was extended to state that rates will remain unchanged “at least through the first half of 2020”. There has been some market dialogue around calendar-based guidance being removed all together; we think this would be a marked dovish policy signal if embraced later this year.
From a somewhat dovish standpoint, policymakers had discussed potential easing measures should “adverse contingencies” arise including further easing of policy rates and re-starting quantitative easing.
A tiered reserve system has also received market attention in recent months but this was not referenced in the official policy press release. In any case, it is not something we would expect the ECB to adopt based on recent policymaker commentary. And given the consensus-oriented decision-making approach at central banks like the ECB (and Fed), we do not think President Mario Draghi’s successor would be able to enact such policy without broader support."
Andrew Mulliner, Portfoliomanager im Fixed Income Team von Janus Henderson Investors: "The European Central Bank (ECB) meeting today was anticipated by investors with a range of expectations across the market from the hopeful to the pessimistic. With market-implied medium term inflation expectations close to all-time lows, Draghi’s reputation as the ‘man who can’ in Europe is on the line.
With rates already negative and QE finished, the ECB’s tool box appears to be close to empty. Mario Draghi, the mercurial central bank president who ‘saved’ Europe back in 2012 has a reputation for finding ways to provide additional accommodation to the European economy where others lesser central bankers would struggle.
However, today’s meeting effectively marks the beginning of the end of Draghi’s reign. Actual ECB policy actions were modest and the ECB forecasts are based more on hope than experience. His term finishes in November, he may now be a lame duck central bank president, unable to ram through policies that do not carry the full support of the governing council; a hallmark of his 8 year tenure.
The ECB delivered further accommodation today, adjusting its forward guidance a further six months into the future. It assured the markets that rates would not go up at least until the second half of 2020. The credibility of this forward guidance and its impact on the market can be questioned as markets assume a higher probability of the ECB cutting rates over this time period; so much for reigning in rampant market expectations for imminent hikes.
TLTROS
The ECB also provided additional detail on its recently announced Targeted Long Term Refinancing Operations (TLTROs). These details were marginally more accommodative than expected, however, these operations replace existing operations that were both longer in term and cheaper in price; hardly the big stick to persuade Europeans and market participants alike that the ECB up for a fight.
Draghi expressed confidence in the resilience in the European economy, but optimism and perennially inaccurate inflation forecasts will not be enough to re-anchor the markets inflation expectations, nor engineer a dynamic European economy. References, to a symmetrical inflation target and the possibility of cutting rates further and restarting asset purchases in his Q&A sound good, but mask the scale of opposition from various parts of the governing council to such proposals.
The ECB has always been a central bank with one arm tied behind its back due to the lack of flexibility in its mandate, the lack of cohesion of its governing council and the limitations of its ‘toolbox’. With Draghi on his way out, an empty tool box and weakening global growth, the ECBs task increasingly has the appearance of bailing out the titanic with a teaspoon.
For investors, negative yields and flatter curves and quite possibly a stronger Euro all appear to be on the cards and with it an economy that is increasingly moribund."