"Die EZB hat wieder einmal geliefert und dabei in ihrem entschiedenen Willen zur geldpolitischen Expansion überrascht. Die gravierendsten Entscheidungen betreffen die Wiederaufnahme des Staatsanleihen-Ankaufprogramms in Höhe von 20 Milliarden Euro je Monat und die Veränderung der Forward Guidance (Lenkung der Markterwartungen durch die kommunikativ langfristige Festlegung der Geldpolitik). Die neuen Käufe könnten erst kurz vor einer möglichen Zinserhöhung enden. Gleichzeitig bleiben die Zinsen auf dem jetzigen - oder einem niedrigeren - Niveau, bis die Inflationsrate „robust“ gegen die von der EZB anvisierte Inflationsrate in Höhe von zwei Prozent konvergiert. Mit anderen Worten: sehr lange, denn vor dem Hintergrund der schwächelnden Konjunktur dürfte die Inflation sich noch viel Zeit lassen, in Richtung des EZB-Ziels zu marschieren. Diese Annahme wird in Form niedrigerer Inflationsprojektionen von der EZB geteilt. Die Staatsanleihekäufe entwickeln sich somit zu einem dauerhaften Instrument. Die Senkung des Einlagensatzes, die Einführung eines zweistufigen Systems beim Einlagenzins und die verbesserten Konditionen bei den Langfrist-Tendern runden das Paket ab. Letztere unterstützen vor allem die Banken in Südeuropa.
Doch der Einstieg in diese noch expansivere Phase der Niedrigzinspolitik birgt erhebliche Risiken. Zwar sorgt sie weiterhin für extrem günstige Finanzierungsbedingungen im Euroraum. Allerdings um den Preis zunehmender negativer Effekte der Niedrigzinspolitik (Preisblasen am Immobilienmarkt, private Sicherungssysteme). Die Nebenwirkungen für die Finanzstabilität werden größer, insbesondere da die Phase der Niedrigzinspolitik noch sehr lange anhalten wird. Die Nebenwirkungen dürften allerdings unter der neuen EZB-Präsidentin stärker in den Fokus geraten. Auch Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung werden zunehmen. Und die bange Frage bleibt: Was tun, wenn die Konjunktur wider Erwarten in eine Rezession abrutscht. Die Geldpolitik hat ihre Grenzen erreicht und übergibt den Staffelstab nun an die Fiskalpolitik, die dem Ruf noch zögerlich, aber spätestens im Falle einer Ausbreitung der Wachstumsverlangsamung, in Breite folgen wird.”
"Mit diesen Maßnahmen dürfte die EZB die Erwartungen in etwa erfüllt haben, auch wenn die Zinssenkung und die monatlichen Wertpapierkäufe etwas unter den Erwartungen liegen. Dafür sollte das QE-Programm länger anhalten als erwartet (hier hatte man im Durchschnitt auf neun Monate spekuliert) und auch die Forward Guidance wurde eher in die Länge gestreckt. Allerdings bleibt unklar, was genau unter einer »hinreichenden und robusten Konvergenz des Inflationsausblicks gegen das Inflationsziel« (= Bedingung für Ende der Forward Guidance) zu verstehen ist.
Wir gehen davon aus, dass die EZB sich in den nächsten Monaten mit weiteren Lockerungsmaßnahmen zurückhält, da sich aus unserer Sicht der konjunkturelle Ausblick aufhellen wird."
"Es kommt alles auf die Forward Guidance an.
Die EZB hat sich darauf geeinigt, die Zinssätze auf dem aktuellen oder niedrigeren Niveau zu halten und im Rahmen des Ankaufprogramms weiter Anleihen zu kaufen, bis sich die Inflationsaussichten wieder annähern und sich nahe, aber unter ihrem 2%-Ziel stabilisieren.
Sie nennen die "zugrunde liegende Inflation" als das Maß, das sie gerne angenähert sehen würden. Das sind so einige Anleihen, die sie kaufen müssen, um das Inflationsziel von 2% zu erreichen!
Draghi äußerte sich außerdem zur Aufhebung der selbst auferlegten ISIN-Grenzwerte, bei denen die EZB bis zu 33% jeder Anleiheemission kaufen kann. Er erklärte, sie hätten kein Interesse darüber zu diskutieren. Der Markt hat dies als weniger friedlich aufgenommen als erwartet. Doch stimmt dies mit der mechanischen Aussage zur Forward Guidance überein? Wird die EZB die Anleihenkäufe einstellen, wenn sie die ISIN-Grenze erreicht haben, und zugeben, dass sie es versäumt haben, den Inflationsausblick zu ändern? Meiner Meinung nach ist es sehr wahrscheinlich, dass er dies der neuen Präsidentin Christine Lagarde, überlassen wird, wenn sie den Vorsitz übernimmt.
Für den Augenblick ist es zufriedenstellend, "long peripheral spread" und die Inflation in der Eurozone beizubehalten."
"EZB-Präsident Mario Draghi hat heute seiner Nachfolgerin Christine Lagarde einen ganzen Koffer voller geldpolitischer Instrumente übergeben. Mit den heute verkündeten Maßnahmen hat Draghi den Rahmen und damit auch die Wirksamkeit der EZB-Politik noch einmal signifikant erweitert.
Damit kann die kommende EZB-Präsidentin ohne große Konflikte mit den eher zurückhaltenden Notenbankchefs, vor allem aus Deutschland und den Niederlanden, in der Zukunft die EZB-Politik weiter expansiv gestalten. Am wichtigsten ist der Wiedereinstieg der EZB in das Anleihekaufprogramm mit monatlich 20 Mrd. Euro ohne zeitliche Begrenzung und die Verbesserung der Bedingungen für die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte der Banken (TLTRO III).
Der einzige Risikofaktor, der gegen eine künftige expansive Notenbankpolitik sprechen würde, könnte in der mittelfristigen Zukunft „fast nur“ eine steigende Inflation sein. Damit ist der Weg für eine Fortsetzung der von Mario Draghi beschrittenen lockeren Geldpolitik unter seiner Nachfolgerin geebnet:
Goodbye Draghi, welcome Lagarde!"
"Die heutigen Maßnahmen und die begleitenden Erklärungen Draghis zeigen, dass die EZB weiterhin entschlossen ist, die Wirtschaft der Eurozone zu stützen und die Inflationserwartungen wieder zu verankern – insbesondere vor dem Hintergrund „anhaltender und prominenter Abwärtsrisiken“, wie es Draghi nennt. Durch den offenen Charakter des aktuellen QE-Programms steht die EZB nun Schulter an Schulter mit der Bank of Japan (BoJ). Eine der wichtigsten Entscheidungen, die die neue Präsidentin Christine Lagarde nun treffen muss, ist die Neubewertung der Emittentenlimits und die Bandbreite an Assets, die die Zentralbank künftig erwerben kann.
Wir sind der Ansicht, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Aktien als potenzielles QE-Ziel angesehen werden (analog zur BoJ), auch wenn wir skeptisch bleiben, dass Geldpolitik allein das niedrige Inflationsproblem der Eurozone lösen kann, dem die Wirtschaft gegenübersteht. Aber angesichts der Fortsetzung dessen, was wir als "Draghi-Paradigma" bezeichnen, erwarten wir, dass Frau Lagarde das Vermächtnis Draghis fortsetzt, indem sie Umfang und Tiefe des Ankaufprogramms (das wichtigste Lockerungsinstrument der Zentralbank) in den kommenden Monaten vorantreibt. Während wir annehmen, dass die Einlagenzinsen weiter gesenkt werden, sind wir uns auch bewusst, dass die effektive Untergrenze Zinssenkungen weniger wirkungsvoll macht. Daher ist die EZB unserer Meinung nach stark auf Ankäufe für weitere Anpassungen angewiesen.
Der jüngste Rückgang der Zinsen dürfte sich aus unserer Sicht stabilisieren. Für die Zukunft erwarten wir, dass sowohl die nominalen als auch die realen Zinsen sehr niedrig bleiben, mit gelegentlichen Ausbrüchen bedingt durch technische Bewegungen."