In Zeiten, in denen sich manch ein Anleger gefühlt nur mit einem Investmenthorizont von wenigen Minuten von „Tweet zu Tweet“ die Märkte entlang hantelt und rasch von neuem Newsflow beeinflussen lässt, kann es schnell vorkommen, den Blick auf das große Ganze zu verlieren und langfristige, strukturelle Trends nur rudimentär in die eigenen Investmententscheidungen einzubeziehen. Als Chief Investment Officer des 339 Mrd. schweren Asset Management Arms des niederländischen Versicherers Aegon genießt Olaf van den Heuvel das Privileg, sich tagtäglich mit der Analyse des „Big-Pictures“ auseinanderzusetzen und daraus strategische Asset Allocation Impulse abzuleiten. „Nicht zuletzt unser Lebensversicherungsgeschäft zwingt uns dazu, in Dekaden und nicht nur auf Sicht der nächsten 3-5 Jahre zu planen“, so van den Heuvel im Gespräch mit e-fundresearch.com.
Einen denkbar einfach zu prognostizierenden Faktor, der dennoch von vielen Investoren, aber auch von staatlichen Einrichtungen sowie insbesondere Zentralbanken oftmals nicht mit der ausreichenden Ernsthaftigkeit gewürdigt wird stellt laut Olaf van den Heuvel die Demographie dar. „In der entwickelten Welt werden wir in den kommenden Jahren eine dramatische Reduktion des Anteils erwerbstätiger Bevölkerungsgruppen beobachten“, erklärt der Chief Investment Officer und verweist auf die Tatsache, dass die besonders geburtenstarke Generation der „Baby-Boomer“ zunehmend in den Ruhestand wechselt.
Eine bereits heute bestens prognostizierbare Entwicklung, die nicht nur für Pensionssysteme sowie für Gesundheits- und Pflege-Einrichtungen Herausforderungen darstellt, sondern auch von Investoren berücksichtigt werden sollte: „In den meisten Ländern wird die demografische Entwicklung negativ wirken und das Potenzialwachstum aufgrund des unvorteilhaften Mixes aus Gesellschaftsüberalterung und Schrumpfung der erwerbstätigen Bevölkerung nach unten schrauben“, so van den Heuvel, der in diesem Zusammenhang übrigens von „Demo-gravity“ spricht.
Wie nachfolgender Chart demonstriert ist bereits in den vergangenen Jahren am Beispiel Deutschlands (linke Diagrammhälfte) eine Trendwende zu verzeichnen gewesen. Für 2020 wird erwartet, dass sich der Faktor Demographie auf entwickelte Staaten mit einem negativen Beitrag von knapp 0,5% bis 0,8% auf das BIP-Wachstum auswirkt (rechte Diagrammhälfte).
Analog zum reduzierten Wirtschaftswachstumspotenzial sollten Investoren laut dem Experten auch ihre langfristigen Marktrendite-Erwartungen entsprechend nach unten anpassen: „Wir werden zwar nach wie vor einzelne Unternehmen, Sektoren und aktive Manager sehen, die auch in einem derartigen Umfeld weiterhin überdurchschnittliche Renditen erzielen werden. Klassische Beta-Investoren, welche die Risikoprämien der Vergangenheit ohne Hinterfragen in die Zukunft projizieren, dürften aber jedenfalls enttäuscht werden“, so der Experte im Gespräch mit e-fundresearch.com.
AI & Co.: Technologischer Fortschritt als zweischneidiges Schwert
Von autonomen Taxis bis hin zu Roboter-Chirurgen und Algorithmen anstatt Anwälten: Olaf van den Heuvel stimmt zwar zu, ein großer Teil der in den kommenden Jahren nicht mehr zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte durch Automatisierungen und anderweitigen technologischen Innovationen „ersetzt“ werden könnten, weist aber im gleichen Atemzug darauf hin, dass es auch in einem derartigen Szenario zu einem gravierenden Wandel der Konsumgesellschaft kommen wird: „Derartige technologische Innovationen haben die Nebenwirkung, dass die daraus entstehende Wertschöpfung oft nur einem minimalen Anteil der Bevölkerung zugutekommt“, so van den Heuvel. Die jüngsten, hochgradig automatisierten Plattform-Modelle wie Amazon (Jeff Bezos) oder Facebook (Mark Zuckerberg) haben bereits gezeigt, wie sehr sich Vermögen im digitalen Zeitalter konzentriert. Ernsthaftere zukünftige politische Diskussionen über „bedingungsloses Grundeinkommen“ würden van den Heuvel in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht überraschen.
Zentralbanken sollten demografischen Wandel ebenfalls berücksichtigen
Durchaus bemerkenswert ist auch van den Heuvels Gedankengang, dass beispielsweise auch eine EZB zu sehr noch Zielen hinterherläuft und sich auf Modelle beruft, die in Zeiten demografischer Expansion geschaffen wurden. Es bleibt zu hoffen, dass auch die obersten „Geldhüter“ ihre Modelle stets kritisch hinterfragen…