Raj Shant: Das zentrale Problem ist, dass die meisten Anleger ein veraltetes Vorstellungsbild von Schwellenländern haben. Dieses spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der EM-Indizes wider. Annahme ist, dass es sich bei den Schwellenländermärkten im Wesentlichen um Rohstoffzyklen oder Unternehmen mit den niedrigsten Produktionskosten handelt, die in die entwickelten Märkte exportieren. Die größte Wertschöpfung findet jedoch in innovativen und disruptiven Unternehmen mit neuartigen Geschäftsmodellen basierend auf geistigem Eigentum und weniger auf materiellen Vermögenswerten statt.
Indem wir diesen Wandel richtig einordnen und einen soliden Prozess entwickeln, der genau diese Unternehmen identifiziert und Basis für ein High Conviction-Portfolio ist, können wir Anlegern die Art von strukturellem Wachstum bieten, die sie bei ihren langfristigen Investments in Schwellenländeraktien anstreben. Unser Research zeigt, das die Marktrenditen langfristig dem Gewinnwachstum folgen, was ja auch intuitiv durchaus Sinn macht.
Raj Shant: Stilrotationen kommen und gehen. Unser Marktresearch belegt, dass die Marktrenditen mittel- und langfristig mit dem Ertragswachstum korrelieren. Daher konzentrieren wir uns weiterhin darauf, herausragende Wachstumsunternehmen zu finden, die über nachhaltige und differenzierte Geschäftsmodelle und große zugängliche Märkte verfügen.
Davon abgesehen hat sich unser Augenmerk auf Bewertungen ausgezahlt - unsere größte Übergewichtung lag und liegt im Gesundheitsbereich. Dieser hat sich im letzten Jahr sehr gut entwickelt, so dass wir unsere Übergewichtung um das Jahresende reduziert haben. Viele der Aktien, die im letzten Jahr am besten abgeschnitten haben, litten in den letzten Monaten unter Gewinnmitnahmen im Zuge der Rotation.
Raj Shant: Viele Anleger sind zu Recht besorgt über einen neuen Inflationszyklus und steigende Zinsen. Natürlich wäre dies schädlich für die kurzfristige Bewertung von Wachstumsaktien in den Schwellenländern, genauso wie im Rest der Welt. Diese Bedenken beruhen auf den beispiellosen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen weltweit als Reaktion auf die Pandemie. Darüber hinaus sorgt die Aussicht auf die Wiedereröffnung wichtiger Volkswirtschaften, während die Lieferketten weiterhin gestört sind, für einen starken Anstieg vieler Rohstoffpreise.
Dennoch ist es kaum vorstellbar, dass dies ein dauerhaftes oder wiederkehrendes Phänomen darstellt. Erstens sollte die Wiedereröffnung des Handels per Definition nur einmal stattfinden. Zweitens sollten unterbrochene Lieferketten eher Wochen als Monate brauchen, um wieder im funktionierenden System zu sein. Drittens erscheint es schwer, so genannte „Zweitrundeneffekte” zu beobachten, bei denen vorübergehend höhere Preise durch höhere Lohnabschlüsse, die von mächtigen Gewerkschaften durchgesetzt werden, systemisch in der Wirtschaft verankert werden.
Auf der anderen Seite dürften sich die technologischen Disruptionen, die in den letzten Jahren eine so starke deflationäre Kraft waren, weiter fortsetzen oder gar beschleunigen. Die Preistransparenz, die die Verbraucher bei E-Commerce-Plattformen genießen, macht es den Herstellern beispielsweise sehr schwer, Preiserhöhungen durchzusetzen. Die Welt hatte schon vor Beginn der Pandemie eine Rekordverschuldung - dann wurden die Zinsen nach unten gedrückt. Nur ein sehr mutiger Zentralbanker würde vor diesem Hintergrund die Zinsen deutlich anheben...
Raj Shant: Wir sind ausgesprochen agnostisch, was die Frage angeht, wo wir die besten Ideen in den globalen Schwellenländern entdecken. Im Moment sind sie eher in bestimmten asiatischen Märkten zu finden, was sich im Zeitablauf aber wieder ändern kann. Natürlich spielt die Tatsache, dass China und Indien so riesige Märkte sind und jedes Jahr eine große Anzahl hochqualifizierter Hochschulabsolventen hervorbringen, eine Rolle. Die Unternehmen haben dadurch mehr Möglichkeiten, verschiedene Innovationen und Geschäftsmodelle zu erproben. Was könnte das Gleichgewicht verändern? China und Indien sind ebenfalls hart umkämpfte Märkte, in denen erfolgreiche Geschäftsmodelle sofort mit einem unerbittlichen Wettbewerb konfrontiert sind. Viele andere aufstrebende Märkte sind strukturell bedingt weniger wettbewerbsintensiv und bieten einen größeren Spielraum für innovative Unternehmen, um eine höhere Profitabilität zu erzielen. Unser Ansatz besteht also darin, uns vom Markt leiten zu lassen, woher die nächste große Wachstumsstory kommen wird, anstatt zu versuchen, im Voraus vorherzusagen, aus welchem Land, welcher Region oder welchem Sektor diese stammen könnte.
Raj Shant: Das ist eine gute Frage. Die Chancen für Wachstumsanleger in den Industrieländern sind zwangsläufig größer, aber es gibt immer mehr Innovationen, die aus den Schwellenländern kommen, bevor sie sich weltweit durchsetzen. Daher bieten Schwellenländerinvestitionen die Möglichkeit, sich bereits in einem früheren Stadium zu beteiligen. Natürlich waren die Renditen in den Schwellenländern langfristig gesehen volatiler als in den Industrieländern, aber tatsächlich ist es so, dass hochinnovative und disruptive Unternehmen überall dazu neigen, ihr eigenes Wachstum voranzutreiben und weniger anfällig für Konjunkturschwankungen in ihren lokalen Volkswirtschaften zu sein.
Letztlich ist es eine Entscheidung der Anleger, wie sie ihr Marktengagement aufbauen wollen. Unser Research zeigt allerdings eindeutig, dass die langfristigen Marktrenditen dem Wachstum folgen, sowohl in DM als auch in EM. Daher ist die Suche nach den richtigen innovativen und disruptiven Wachstumsunternehmen, der Schlüssel zur Erzielung langfristiger Renditen.
Raj Shant ist Portfoliospezialist und unterstützt den Vertrieb und die Kundenbetreuung für Jennison in ganz Europa, Nahost und Afrika. Er ist seit 2019 für Jennison tätig. Bevor er zu Jennison kam, war Raj Shant 17 Jahre bei Newton Investment Management beschäftigt, wo er zunächst als Leiter des Bereichs Europäische Aktien und später als Portfoliomanager und Portfoliospezialist für globale Aktien tätig war. Davor war er fünf Jahre bei Credit Suisse Asset Management und dort zuletzt Leiter des Bereichs Europäische Aktien. Er begann seine berufliche Laufbahn im Investmentbanking, wurde dann jedoch Investmentanalyst und Portfoliomanager. Raj Shant erwarb einen BA (Honors) in Wirtschaftswissenschaften und Management der Leeds University.