e-fundresearch.com: Herr Dr. Wewel, Kryptowährungen haben in den vergangenen Jahren stark an Aufmerksamkeit gewonnen. Welche Rolle spielen sie inzwischen im Anlageuniversum institutioneller Investoren?
Dr. Claudio Wewel: In der Tat fristeten Kryptoanlagen* in den ersten Jahren ihres Aufkommens ein regelrechtes Nischendasein. Wirklich breite Aufmerksamkeit wurde ihnen erst im Laufe der Covid-Pandemie zuteil, im Verlauf derer der Preis von Bitcoin 2021 einen neuen Rekord von mehr als $60'000 erreichte. Dies veranlasste mehrere Investmenthäuser dazu, innerhalb ihres Investment Researchs, sich dem Kryptobereich erstmals mit eigenen Publikationen zu widmen. Einen besonderen Meilenstein stellt jedoch die Anfang 2024 erfolgte Zulassung erster Krypto-ETFs durch die US-Börsenaufsicht dar, die auch für institutionelle Anleger das Investieren in diesem Bereich erheblich vereinfacht hat. Nach wie vor machen Kryptoanlagen in den Portfolien institutioneller Anleger nur einen sehr kleinen, aber schnell wachsenden Teil aus. In jüngster Zeit haben ja auch mehrere Stiftungsfonds US-amerikanischer Universitäten ihre Investments in Kryptoanlagen bekanntgegeben.
* Aufgrund erheblicher Unterschiede zu traditionellen Währungen hinsichtlich ihrer Ausgestaltungsmerkmale verwenden wir im Haus vorzugsweise den Begriff «Kryptoanlagen»
Dazu passend:
e-fundresearch.com: Stablecoins gelten als Bindeglied zwischen klassischen Währungen und digitalen Assets. Welche Chancen und Risiken sehen Sie in ihrer wachsenden Verbreitung?
Dr. Claudio Wewel: Richtig, Stablecoins verstanden sich ursprünglich als «Brücke» zwischen traditionellen Währungen und Kryptoanlagen, die den Handel zwischen verschiedenen Kryptoanlagen ermöglichten. Die Anwendungen für Stablecoins haben sich jedoch im Verlauf der Jahre stark ausgeweitet. So erfahren Dollar-Stablecoins, die die überwiegende Mehrheit der mit Fiatgeld gedeckten Stablecoins ausmachen, unter anderem auch Zuspruch in Schwellenländern mit schwachen Lokalwährungen, da sie für lokale Haushalte eine Möglichkeit darstellen, sich dort höheren Inflationsraten zu entziehen – und dies ohne die Notwendigkeit eines Bankkontos. Dies legt jedoch auch gleichzeitig eine Schattenseite offen. Die zunehmende Verbreitung von Stablecoins könnte – insbesondere in solchen Märkten – zu einer ernstzunehmenden Bedrohung für das Geschäftsmodell von Retailbanken heranwachsen.
e-fundresearch.com: In den USA wurden jüngst neue Gesetze zu Stablecoins verabschiedet. Welche Bedeutung haben diese neuen Regelwerke für die Finanzmärkte – auch über die US-Grenzen hinaus?
Dr. Claudio Wewel: Mit der Verabschiedung des «Genius Acts» hat die US-Regierung im Juli die gesetzlichen Grundlagen für Stablecoins auf dem US-Markt geschaffen. Das Gesetz verbessert den Verbraucherschutz durch eine Reihe von Transparenzvorschriften und verpflichtet die Emittenten von Stablecoins, nachprüfbar Reserven in liquiden Dollar-Vermögenswerten zu halten. Gleichzeitig stärkt die US-Regierung damit auch die Rolle des US-Dollars als globale Reservewährung, was dem Ziel dient, die USA zu einem globalen Zentrum für Innovationen im Bereich digitaler Vermögenswerte zu machen. Auch ist davon auszugehen, dass Stablecoins vor allem hinsichtlich ihrer Vorteile in puncto Transaktionsgeschwindigkeit und -kosten den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr revolutionieren werden.
e-fundresearch.com: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung des Krypto- und Stablecoin-Marktes ein – welche Trends, Treiber und Herausforderungen sehen Sie für die kommenden Jahre? Und welche Rolle spielen diese Anlagen aktuell in der Asset Allocation von J. Safra Sarasin?
Dr. Claudio Wewel: Insgesamt dürfte die Nachfrage nach Kryptoanlagen infolge der steigenden Zahl an Krypto-ETFs bei institutionellen sowohl als auch bei privaten Anlegern weiter zunehmen, wodurch auch die Marktkapitalisierung von Kryptoanlagen weiterhin wachsen wird. Auch die Attraktivität von Stablecoins dürfte durch den mittels Regulierung verbesserten Verbraucherschutz eher steigen. Hinsichtlich der Dominanz von Dollar-Stablecoins ist zu sagen, dass diese vor allem die EZB vor Herausforderungen stellt, denn sie wirkt ihrem Bestreben entgegen, die Bedeutung des Euro als globale Reservewährung zu stärken. Somit sollte die EZB die Einführung ihres digitalen Euro nach Möglichkeit beschleunigen. Bisher enthält die Asset Allokation von J. Safra Sarasin keinerlei Kryptowerte oder Stablecoins. Wir werden die Entwicklungen in diesen Bereichen jedoch weiterhin genau verfolgen.
e-fundresearch.com: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wewel!
Über Dr. Claudio Wewel:
Dr. Claudio Wewel ist im November 2019 als FX-Stratege zur Bank J. Safra Sarasin gestoßen. Zuvor arbeitete er im Swiss Macro Economics & Strategy Team innerhalb der volkswirtschaftlichen Forschungsabteilung der Credit Suisse.
Claudio promovierte in Finanzwissenschaften an der Universität zu Köln, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter tätig war. Während seines Studiums an der Universität Mannheim und der Chinesischen Universität Hongkong absolvierte er zudem Praktika bei der Welthandelsorganisation und der Deutschen Bundesbank.
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