Erfolge und Grenzen der Liquiditätspolitik
„Nach starken Börsenmonaten über den Sommer rückten im September auch wieder Sorgen auf die Agenda der Marktteilnehmer. Zu sehr scheint die liquiditätsgetriebene Aktienrallye seit den Tiefstständen im März der Realität enteilt“, so Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager bei Euroswitch. Zwar hätten die weltweiten Maßnahmen von Politik und Notenbanken vorerst die schlimmsten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie begrenzen können, der Zustand sei aber alles andere als stabil. Dies werde insbesondere in den Dienstleistungssektoren deutlich, die sich, durchschnittlich betrachtet, in einer schweren Rezession befinden.
„Während die Politik gewohnt ist, angeschlagene Industriekonzerne zu retten oder Subventionen auszuschütten, bestehen im Servicesektor, der oft kleinunternehmerisch geprägt ist, wenige Erfahrungen. Maßnahmen wie das deutsche Kurzarbeitergeld oder Anpassungen im Insolvenzrecht helfen, überdecken aber das Potential einer großen Pleitewelle nach dem Jahreswechsel mit entsprechenden Konsequenzen für den Finanzsektor“, sagt der Investmentprofi.
Schnelles und entschlossenes Handeln geboten
Die von den EU-Regierungen beschlossenen Konjunkturpakete müssten schnellstmöglich auf den Weg gebracht werden, um zumindest die jüngst wieder eingebrochenen Stimmungsindikatoren im Dienstleistungssektor aufzuhellen und damit die allgemeine Konsumneigung zumindest zu stabilisieren. Dabei sei klar, dass die bisherigen Krisengewinner – also Sektoren aus dem Bereich Digitalisierung – von den Paketen noch mehr profitieren, während die Gastronomie oder Tourismus tatsächlich auf einen wirksamen Impfstoff werden warten müssen. Ein Durchhalten könne aber unterstützt werden, wenn eine konjunkturelle Anschubhilfe auch in anderen Sektoren für breite Teile der Bevölkerung spürbar wird.
„Jetzt ist geboten, die Phase endloser politischer Debatten zu beenden und unter Berücksichtigung der Fachexpertise der Wirtschaft EU-weite Infrastrukturprojekte zu starten – zur Erfüllung der ehrgeizigen Klimaziele und zur Aufholjagd in den Bereichen Digitalisierung und Bildung“, ist sich Böckelmann sicher. Die größten Herausforderungen scheinen aber darin zu bestehen, sich zu einigen und sich anschließend nicht in Allmachtsphantasien zu verlieren. So wollen sich zahlreiche Politiker bereits heute direkt in unternehmerische Belange einmischen oder setzen staatliche Schuldenaufnahme automatisch mit Wachstum gleich.
Strukturelle Gewinner versus konjunkturabhängige Titel
Die Unternehmensergebnisse für das abgelaufene dritte Quartal, die bald vorgestellt werden, sollten analog den volkswirtschaftlichen Daten durchschnittlich besser gewesen sein als das zweite Quartal, das noch durch den globalen Corona-Lockdown geprägt war. Viel Positives scheinen hier bereits die Niveaus der weltweiten Aktienindizes vorweggenommen zu haben. „Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die großen Indizes wie MSCI Welt und S&P500 in ihrer Wertentwicklung von nur wenigen Indexschwergewichten geprägt sind und diese allesamt aus Krisengewinnerbranchen stammen.
Der Großteil börsennotierter Unternehmen ist seit Jahresbeginn entsprechend der weltwirtschaftlichen Lage im negativen Wertentwicklungsbereich – welches aber auch das Potential für zahlreiche Sektoren offenbart, falls sich wieder übergreifender Konjunkturoptimismus durchsetzt“, so Böckelmann. Die Aktieninvestoren werden auch in den kommenden Monaten weiter selektiv entscheiden – zwischen zugegeben hoch bewerteten, aber alternativlosen strukturellen Gewinnern und zurückgebliebenen günstigen, aber potentialstarken konjunkturabhängigeren Titeln.