Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig: Lethargie und die glorreichen Sieben
Irgendwie fühlt es sich komisch an. Der Tag ist erst wenige Stunden alt, als ich beim morgendlichen Espresso die Aktienkurse checke. An den „glorreichen Sieben“ kommt gegenwärtig niemand vorbei. Alphabet (Google), Amazon, Apple, Meta (Facebook), Microsoft, Tesla und Nvidia sind die klingenden Namen, die die Indizes von einem Allzeithoch zum nächsten treiben. Dabei handelt es sich einheitlich um US-Unternehmen, deren Geschäftsmodelle eng mit Technologie und dem absoluten Trendthema Künstliche Intelligenz (KI) verbunden sind. Der aktuelle Börsenwert der glorreichen Sieben ist auf über 13 Billionen US-Dollar geklettert. Das entspricht nahezu der jährlichen Wirtschaftsleistung der Eurozone oder mehr als 10% der Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen der Welt. In den vergangenen Monaten hat die Gewichtungskonzentration der glorreichen Sieben und damit auch jener der USA enorm zugenommen. Nahezu 90% der S&P 500 Performance des Jahres 2023 ist auf diese sieben Titel zurückzuführen. Während der Gesamtindex eine Performance von 24% aufgewiesen hat, lag das durchschnittliche Ergebnis aller enthaltenen Titel bei vergleichsweise geringen 8,2%. Für uns Investoren ist das eine klare Botschaft: Ohne die glorreichen Sieben keine glorreiche Performance!
Für all jene – auch ich gehöre mittlerweile zum alten Eisen – die bereits in den 1990ern an den Kapitalmärkten aktiv waren, drängt sich unweigerlich ein Vergleich mit der Dotcom-Blase auf. Erleben wir gerade eine Tech 2.0 oder eine KI-Blase? Die Gewichtungskonzentration ist durchaus vergleichbar. Im Unterschied zu den späten 1990ern können die Börsenlieblinge des Jahres 2024 auf ein hochprofitables Geschäftsmodell verweisen. Die Gewinnmargen lagen Ende 2023 bei 20%, jene im Index bei „nur“ 12%. Mit Apple (121 Mrd. $) und Microsoft (101 Mrd. $) konnten zwei der glorreichen Sieben bereits die Gewinnschwelle von 100 Milliarden $ überschreiten. Alphabet (86 Mrd. $), Meta (48 Mrd. $), Amazon (40 Mrd. $), Nvidia (34 Mrd. $) und Tesla (10 Mrd. $) sind hochprofitabel. In Summe haben damit im abgelaufenen Jahr die glorreichen Sieben unglaubliche 440 Milliarden $ verdient. Das entspricht nahezu 6% der Gewinne aller börsennotierten Unternehmen der Welt. Die fundamentale Bewertung der größten Titel ist definitiv nicht billig, und die Gewinnansprüche werden mit Sicherheit auch nicht geringer. Die glorreichen Sieben setzen stark auf die Künstliche Intelligenz und zählen in ihrem Bereich zu den absoluten Marktführern. Ob die Gewinne in den nächsten Jahren auch wirklich den Erwartungen entsprechen werden, hängt damit auch stark davon ab, ob sich der KI-Hype als gerechtfertigt erweist.
Schwenken wir nach Europa. Der wirtschaftliche Ausblick hat sich weiter eingetrübt. Die Unternehmen werden vorsichtiger. Der Ifo-Beschäftigungsbarometer sank auf den niedrigsten Wert seit drei Jahren. Der Trend in der Industrie geht Richtung Personalabbau. Auch österreichischen Unternehmen weht ein rauer Wind entgegen. Das traditionsreiche Grazer Unternehmen AVL List hat angekündigt, heuer 200 von insgesamt 4.300 Jobs in Graz abbauen zu wollen. 70 davon in Form von Kündigungen, der Rest erfolgt durch natürliche Abgänge bzw. Pensionierungen. Besonders stark betroffen ist laut dem Ifo-Beschäftigungsbarometer vor allem die Baubranche. Die österreichische Bundesregierung hat angekündigt, den Bausektor ankurbeln zu wollen. Und dazu ist man auch durchaus bereit, einen Milliardenbetrag in die Hand zu nehmen. Ziel der Initiative ist es, den Neubausektor zu fördern und rund 40.000 Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft zu erhalten.
Europa hinkt den anderen großen Wirtschaftsblöcken hinterher und verliert im Vergleich zu den USA und den aufstrebenden asiatischen Ländern rund um China und Indien sukzessive an Boden. Wir erleben durch den Vormarsch der KI eine technologische Revolution und einen gigantischen Transformationsprozess. Und genau in dieser Zeit ist es wichtig, die Rolle Europas neu zu definieren. Wenn wir aus unserer Lethargie erwachen und die nötigen Akzente setzen, bin ich überzeugt, dass wir auch in Zukunft eine gewichtige Rolle einnehmen werden.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. Mit seinem eigenen Unternehmen berät er Kapitalanlagen, Versicherungen und andere institutionelle Investoren und will darüber hinaus auch seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz an Finanzexperten, Privatpersonen und vor allem auch an junge Menschen unterhaltsam weitergeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at