Börsenbarometer | Eine ungeliebte Gewohnheit und ein überraschendes All-Time-High

Pünktlich zum Start in das Wochenende kommentiert e-fundresearch.com Gastkolumnist & Kapitalmarktexperte Dr. Josef Obergantschnig wöchentlich das Börsengeschehen aus erfrischend neuen Blickwinkeln. Markets | 30.05.2025 16:00 Uhr
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH / © e-fundresearch.com / Obergantschnig Management GmbH (Foto: Vicky Posch)
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH / © e-fundresearch.com / Obergantschnig Management GmbH (Foto: Vicky Posch)

Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig | Eine ungeliebte Gewohnheit und ein überraschendes All-Time-High

Ein Freitag im Mai ist offenbar kein Tag wie jeder andere. Vor einer Woche verlor die USA ihre letzte Topbonitätsbewertung durch Moody’s – und nun, nur sieben Tage später, sorgte US-Präsident Donald Trump mit der nächsten Provokation für Schlagzeilen: Ab Juni sollten EU-Produkte mit einem Strafzoll von 50% belegt werden. Doch keine 72 Stunden später kam – wenig überraschend – der Rückzieher. Die Zölle werden vorerst ausgesetzt. Die neue Deadline: 9. Juli. Wer den lieben Donald kennt, stellt sich unweigerlich die Frage: Was bedeutet das? Nun, bei ihm ist ein Aufschub oft nur eine kreative Variante der Verzögerung – nicht der Auflösung. In meinem Leben habe ich manche Gewohnheiten zu lieben gelernt. Mein tägliches Espresso-Ritual lassen grüßen. Donald Trump ist und bleibt vermutlich auch ein stetiger Unruheherd. Eines ist aber bereits nach wenigen Monaten im Oval Office klar: Auf diese Gewohnheit kann ich gut und gerne verzichten.

Die Ankündigung ließ Brüssel kurz zusammenzucken – immerhin geht es nicht nur um Wein, Käse oder Autos, sondern auch um Symbolpolitik. Die EU reagierte diplomatisch, aber bestimmt. Noch ist Zeit für Verhandlungen. Und man darf gespannt sein, wie sich die Beziehung zwischen Washington und Brüssel weiterentwickelt. Denn in geopolitisch so fragilen Zeiten kann jede protektionistische Maßnahme wie ein Brandbeschleuniger wirken.

Und während in den USA protektionistische Parolen wieder einmal für Schlagzeilen sorgen, liefert die Oesterreichische Nationalbank nüchterne Daten zur realen Konjunkturentwicklung. Österreichs Wirtschaftsleistung ist im ersten Quartal 2025 leicht zurückgegangen. Das BIP schrumpfte real um 0,2% gegenüber dem Vorquartal, im Vergleich zum Vorjahr ergibt sich ein Rückgang von 0,4%. Damit bestätigt sich, was viele bereits befürchtet haben: Österreich ist auf dem Weg in eine technische Rezession. Davon spricht man, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwei Quartale in Folge real – also preisbereinigt – schrumpft. Es handelt sich dabei nicht zwangsläufig um eine tiefgreifende Wirtschaftskrise, wohl aber um ein klares Signal für eine konjunkturelle Schwächephase. Kritisch wird es, wenn die Rezession sich auf mehrere Sektoren ausweitet oder länger anhält – dann kann aus der Technik schnell Realität werden.

Besonders betroffen ist die Industrie – hier ging die Bruttowertschöpfung real um 1,3% zurück. Auch die Bauwirtschaft schwächelt weiter, wenngleich etwas weniger stark als zuletzt. Einziger Lichtblick: der Dienstleistungsbereich, insbesondere Tourismus und Gesundheit, der einen Teil des Rückgangs abfedert. Der private Konsum ist ebenfalls leicht rückläufig – angesichts der anhaltend hohen Preise wenig überraschend.

Kommen wir aber nochmals zurück zu Donald Trump: Der aktuelle Zollstreit mit der EU kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die USA haben nicht nur durch das Moody’s-Downgrade an Reputationskapital verloren, auch die internationalen Investoren schauen zunehmend skeptischer auf die Staatsfinanzen der Vereinigten Staaten. Dass ausgerechnet das Vereinigte Königreich – beziehungsweise der Finanzplatz London – China als zweitgrößten ausländischen Käufer von US-Staatsanleihen abgelöst hat, ist ein interessantes Detail. Denn dahinter könnte eine Vielzahl globaler Investoren stehen, die über London kaufen – nicht zwingend Briten.

Die Finanzmärkte reagieren auf all diese Entwicklungen bislang erstaunlich gelassen. Der große Montags-Schock nach Trumps Zollansage blieb aus – vielleicht, weil ein Gewohnheitseffekt an der Börse eintritt. Beachtlich ist, dass der DAX diese Woche trotz der schwierigen Rahmenbedingungen ein neues Allzeit-Hoch erreichen konnte.

Was dennoch bleibt, ist ein Gefühl der Unsicherheit – und der Eindruck, dass Freitage im Mai 2025 eine besondere Aura haben. Diese Woche neigt sich der Mai aber auch schon wieder dem Ende zu. Mir bleibt die Hoffnung, dass das Freitags-Ritual damit ebenfalls der Geschichte angehört – und wir im Juni endlich wieder unspektakuläre, entspannte Börsenfreitage erleben dürfen.

Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist

Dr. Josef Obergantschnig ist anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. In der Führungsebene der NIXDORF Kapital Unternehmensgruppe bringt er seine Expertise in den Bereichen Strategie, Finanzen und Nachhaltigkeit ein, um das Thema Impact-Investing weiter voranzutreiben. Darüber hinaus ist es ihm ein besonderes Anliegen, seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz nicht nur an Finanzexperten und Privatpersonen, sondern vor allem auch an junge Menschen auf unterhaltsame Weise weiterzugeben.

Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com

Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at

Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at

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