Goldman Sachs-AM-Stratege Braude: „Märkte stark von Schlagzeilen und Sentiment geprägt“

Zum Auftakt der neuen Interviewserie „e-fundresearch.com USA-Tripnotes“ trafen Simon Weiler und Monika Rosen-Philipp den Global Co-Head of Multi-Asset Solutions bei Goldman Sachs Asset Management, Timothy Braude in New York. Im Zentrum des Gesprächs: Marktverzerrungen durch geopolitische Unsicherheit, neue Perspektiven auf US-Exceptionalism, und warum 2025 kein Jahr für extreme Portfolioentscheidungen ist. Markets | 05.08.2025 12:55 Uhr
Timothy Braude im Gespräch mit der e-fundresearch.com Redaktion (Monika Rosen-Philipp und Simon Weiler) / © e-fundresearch.com
Timothy Braude im Gespräch mit der e-fundresearch.com Redaktion (Monika Rosen-Philipp und Simon Weiler) / © e-fundresearch.com

„Reset, but don’t retreat“: Was bedeutet das für Multi-Asset-Investoren?

e-fundresearch.com: Herr Braude, Sie sprechen davon, dass Investoren in der aktuellen Marktlage „neu justieren, aber sich nicht zurückziehen“ sollten. Was genau verstehen Sie darunter?

Timothy Braude: Der Ausdruck „Reset, but don’t retreat“ steht für eine ausbalancierte Herangehensweise in einem Umfeld, das von Unsicherheit, aber auch von Resilienz geprägt ist. Wir beobachten derzeit eine Phase, in der viele Entwicklungen stark durch Schlagzeilen und Sentiment geprägt sind, nicht zwangsläufig durch fundamentale Daten. In einem solchen Umfeld ist es unserer Ansicht nach wichtig, nicht in Aktionismus zu verfallen oder Positionen radikal abzubauen, sondern vielmehr die strategische Asset-Allokation kritisch zu überprüfen und dort anzupassen, wo es angebracht ist. Für uns heißt das: Neutralität ist keine Schwäche, sondern Ausdruck disziplinierter Portfolioführung, mit Fokus auf Risikobudgetierung, Diversifikation und einem robusten Anlageprozess, der sowohl fundamentale als auch quantitative Perspektiven integriert.

US-Exceptionalism im Wandel: Temporäre Schwäche oder struktureller Trend?

e-fundresearch.com: Im aktuellen Marktumfeld wird intensiv darüber diskutiert, ob die Dominanz der USA, oft als „US-Exceptionalism“ bezeichnet, strukturell in Frage gestellt ist. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Timothy Braude: Das ist in der Tat eine der meistdiskutierten Fragen unter institutionellen Investoren. Unsere Perspektive darauf ist differenziert: Wir sehen aktuell eine temporäre Schwäche auf US-Seite, die jedoch mit einer Phase relativer Stärke in Europa zusammentrifft. Es ist also kein Schwarz-Weiß-Szenario, sondern ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. In den USA beobachten wir strukturelle Belastungen, etwa durch sehr hohe Bewertungen, steigende Finanzierungskosten und eine zunehmend komplexe Fiskalpolitik. Gleichzeitig bleibt aber die außerordentliche Tiefe der US-Kapitalmärkte, ihre Innovationskraft und der Zugang zu Liquidität ein langfristiger Wettbewerbsvorteil. Was die Diskussion um „Peak US Exceptionalism“ betrifft: Wir halten sie für berechtigt, aber nicht gleichbedeutend mit einem dauerhaften Machtverlust der US-Märkte.

Europäische Aktien im Aufwind: Nachhaltiger Trend oder taktisches Intermezzo?

e-fundresearch.com: Viele Marktbeobachter sprechen von einem Comeback europäischer Aktien. Spiegelt sich diese Wahrnehmung auch in Ihren Gesprächen mit US-Investoren wider?

Timothy Braude: Absolut. Das Thema europäische Aktien hat deutlich an Relevanz gewonnen, auch bei unseren Kunden aus den USA, die in global diversifizierte Portfolios investieren. 2025 war für viele Anleger bislang ein durchaus erfreuliches Jahr in Bezug auf ihr Europa-Exposure, das in den letzten Jahren gegenüber US-Aktienenttäuscht hat. Wir sehen mehrere Treiber: Neben attraktiveren Bewertungen und anziehenden Unternehmensgewinnen ist insbesondere die fiskalpolitische Lockerung, etwa durch das Aussetzen der Schuldenbremse in Deutschland und gestiegene Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben, ein bedeutender Wachstumsimpuls. Das allein macht Europa noch nicht strukturell konkurrenzfähig zu den Vereinigten Staaten, aber es sorgt für einen Stimmungsumschwung. Es ist ein Thema, das auch in den USA ernst genommen wird.

e-fundresearch.com: Wie reagieren Sie innerhalb Ihrer Multi-Asset-Strategien konkret auf die derzeitige Gemengelage aus geopolitischer Unsicherheit, Bewertungsdifferenzen und geldpolitischer Divergenz?

Timothy Braude: Wir verfolgen einen klar strukturierten Ansatz, der auf Diversifikation, Liquiditätsmanagement und gezielter Risikoallokation basiert. In der Praxis heißt das: Wir reduzieren in Phasen unsicherer Marktbewegung und erhöhter Volatilität taktische Übergewichtungen und bewegen uns zurück in Richtung unserer strategischen Zielallokationen. Außerdem legen wir derzeit großen Fokus auf Strategien zur Verlustbegrenzung, darunter Liquid Alternatives, Trendfolgemodelle und Volatilitätsstrategien. Diese Komponenten ergänzen unsere traditionellen Public-Market-Exposures, insbesondere in einem Umfeld, in dem das klassische 60/40-Modell nicht mehr die gleiche Schutzwirkung bietet wie in der Vergangenheit. Zudem setzen wir verstärkt auf Private Markets als Renditequelle, allerdings abhängig von den Liquiditätsbedürfnissen unserer Kunden.

Emerging Markets: Selektiv attraktiv, vor allem im Anleihesegment

e-fundresearch.com: Wie bewerten Sie aktuell das Investmentumfeld in den Schwellenländern, sowohl auf der Aktien- als auch der Anleiheseite?

Timothy Braude: Unsere Positionierung ist aktuell vorsichtig optimistisch, insbesondere im Bereich Emerging Market Debt. Die Kombination aus einem schwächeren US-Dollar, attraktiven Spreads und einer zunehmenden Differenzierung der Regionen eröffnet selektive Chancen, vor allem für aktive Manager. Im Gegensatz dazu bleiben Emerging Markets Equities aktuell noch untergewichtet. Gründe dafür sind u. a. die anhaltende Unsicherheit rund um China, aber auch die Rotation vieler Anleger in europäische Aktien.

US-Geldpolitik & geopolitische Risiken: Herausforderungen für 2025

e-fundresearch.com: Welche geldpolitischen Weichenstellungen erwarten Sie von der US-Notenbank in der zweiten Jahreshälfte? Und wie lässt sich Portfolioresilienz gegenüber geopolitischen Schocks steigern?

Timothy Braude: Die Fed befindet sich aktuell in einer schwierigen Abwägung zwischen Preisstabilität und Beschäftigungsziel, besonders vor dem Hintergrund zunehmender handelspolitischer Spannungen. Unserer Einschätzung nach wird sie sehr datengetrieben agieren und vorsichtig bleiben, um nicht, wie in früheren Zyklen, zu früh zu lockern. Was geopolitische Risiken betrifft: Wir stellen fest, dass Märkte kurzfristig robuster auf Konflikte reagieren als früher. Dennoch ist es essenziell, sich durch gezielte Allokationen in unkorrelierten Strategien, wie Volatilitätsprämien oder Dispersionstrades, gegen Tail-Risiken abzusichern.

e-fundresearch.com: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Braude!

Das Interview führten Monika Rosen-Philipp und Simon Weiler am 30.06.2025 im Goldman Sachs Asset Management Headquarter in New York.

Über Timothy Braude:

Timothy Braude ist Global Co-Head der Multi-Asset Solutions (MAS) bei Goldman Sachs Asset Management und Co-Vorsitzender des MAS Investing Core. In dieser Funktion verantwortet er die Entwicklung und Umsetzung globaler Multi-Asset-Strategien für institutionelle Kunden. Zuvor leitete er das OCIO-Geschäft (Outsourced Chief Investment Officer) innerhalb von MAS und agierte als Lead Portfolio Manager für zahlreiche institutionelle Mandate. Braude kam 2013 als Vice President zu Goldman Sachs, wurde 2017 zum Managing Director und 2024 zum Partner ernannt. Vor seiner Zeit bei Goldman Sachs war er als aktuarischer Berater bei Willis Towers Watson tätig. Er ist Fellow der Society of Actuaries, CFA-Charterholder und hält einen BMath in Actuarial Science von der University of Waterloo (Kanada).

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