Den Kohlendioxidausstoss auf Null zu senken, ist von zentraler Bedeutung, wenn wir dem menschengemachten Klimawandel Einhalt gebieten wollen. Doch um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir deutlich mehr Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre binden (und speichern) als bisher. Das bereits in der Atmosphäre vorhandene CO2 wirtschaftlich zu nutzen, könnte dabei einen grossen Unterschied machen.
Jedes Jahr werden weltweit fast 40 Gigatonnen (Gt) CO2 freigesetzt, die zu den 3.150 Gt hinzukommen, die sich bereits in der Atmosphäre befinden. Viele Regierungen handeln inzwischen, und das Energiesystem steht am Anfang eines Wandels, der letztlich schneller vonstattengehen könnte als erwartet. Und dennoch: Die Initiativen zur Emissionsreduktion reichen bei Weitem nicht aus.
Wir können jedoch auch auf natürliche Prozesse zurückgreifen, vor allem auf die Fotosynthese, die CO2 in biologische Produkte wie Holz oder nährstoffreiche Böden umwandelt. Ausserdem können wir Verfahren nutzen, die das Treibhausgas in Chemikalien, Brennstoffe oder Gestein verwandeln. Ein Teil dieses CO2 kann für Jahrhunderte gespeichert werden, was eines der vorrangigen Ziele darstellt. Es kann aber auch genutzt werden, um Biokraftstoffe herzustellen und so die Menge an neuen Emissionen aus fossilen Brennstoffen zu senken und uns vielleicht etwas mehr Zeit zu verschaffen.
Insgesamt hat unser Rechercheteam zehn verschiedene Verfahren identifiziert, mit denen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden kann. Zusammen könnten sie die Auswirkungen unserer Emissionen kurzfristig verringern und uns dabei helfen, bis 2050 klimaneutral zu werden. (Ausführlicher werden sie in einem Artikel in Nature diskutiert.)
Manche dieser Verfahren sind sofort wirtschaftlich rentabel – und werden sogar schon in der Praxis eingesetzt. Andere werden zunächst auf Subventionen angewiesen sein, doch die Kosten sollten sinken, sobald die Technologien in grösserem Massstab zum Einsatz kommen.
Der Weg zur Nutzung von CO2
Die Möglichkeiten, CO2 nutzbar zu machen, lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: „zyklische“, „geschlossene“ und „offene“ Prozesse. Bei einem „zyklischen“ Prozess wird CO2 aus der Atmosphäre geholt und dann eingesetzt, um Treibstoffe herzustellen, die später verbrannt werden, sodass es wieder zurück in die Luft gelangt. Bei „geschlossenen“ Prozessen wird das Gas dagegen aus der Luft geholt und praktisch für immer aus dem Verkehr gezogen – etwa, indem es in Beton gebunden wird. „Offene“ Prozesse wiederum basieren auf biologischen Systemen, in denen CO2 auf natürliche Weise von Pflanzen oder Algen aufgenommen und in Biomasse und Boden umgewandelt wird. Das auf diese Weise gebundene CO2 kann durch natürliche Mechanismen jedoch wieder freigesetzt werden und mehr oder weniger schnell (potenziell nach Jahrzehnten oder mehr) zurück in die Atmosphäre gelangen.
Fünf dieser zehn Prozesse basieren auf Fotosynthese. Das sollte kaum überraschen, spielen Pflanzen im Kohlenstoffkreislauf doch eine zentrale Rolle. Rund 440 Gt CO2 werden jedes Jahr von Pflanzen aufgenommen und wieder abgegeben. Daneben erscheinen die 34 Gt, die der Mensch in die Atmosphäre pumpt, beinahe vernachlässigbar. Doch leider bleiben nur 2 bis 3 Prozent dieses fotosynthetischen Kohlenstoffs auch tatsächlich im Boden und in den Pflanzen. Der Rest wird durch Atmung wieder freigesetzt: Die Fotosynthese wandelt Sonnenlicht und CO2 in Zucker um, doch aus diesem Zucker gewinnt die Pflanze anschliessend Energie, wobei das Gas wieder zurück in die Atmosphäre entlassen wird. Wenn es gelänge, die Aufnahme von Kohlenstoff in den Boden um gerade einmal 0,4 Prozent zu steigern und ihn dort langfristig zu binden, wäre die Klimaneutralität bereits erreicht. Doch das ist eine enorme Herausforderung.
Eine mögliche Lösung besteht darin, das Wachstum artenreicher Wälder zu fördern und sie wegen ihres Nutzens für das Ökosystem (Hochwasserschutz, Lebensraum für Wildtiere, Klimaregulierung und Kohlenstoffspeicherung) und den Menschen (Erholung und psychische Gesundheit) zu bewahren oder für intelligente Holzkonstruktionen und den Bau höherer Gebäude zu verwenden. Eine andere Lösung besteht darin, mehr Mikroalgen zu züchten und daraus Biokraftstoffe oder Futtermittel herzustellen. Ein verbessertes Bodenmanagement kann helfen, den Kohlenstoffgehalt des Bodens zu erhöhen, was gleichzeitig auch den Ertrag steigern kann. Biokohle, die durch die Verkohlung von Pflanzenmaterial hergestellt wird, kann ebenfalls in den Boden eingearbeitet werden und ihn so verbessern.
Dann gibt es da noch die menschengemachten Verfahren, wie etwa die Abscheidung von CO2 aus Abgasen, um es in Chemikalien umzuwandeln oder als Baustein für die Herstellung von Kohlenwasserstoffen zu nutzen. Auch wenn es langfristig eher nicht in unserem Interesse ist, mehr Kohlenwasserstoffe einzusetzen – wenn die Kohlenstoffatome in den Brennstoffen aus der Atmosphäre stammen und zurück in die Atmosphäre entlassen würden, wäre dieser Vorgang klimaneutral. Ausserdem ist es möglich, CO2 in den Untergrund zu injizieren, um die Ausbeute bei der Ölförderung zu erhöhen, doch dies hat die kontraproduktive Folge, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe steigt. CO2 kann auch in Betonbaustoffen gebunden werden.
Karbonomie
Es ist kaum möglich, zu überschätzen, wie komplex die Analyse der letztendlichen Kosten und des Nutzens dieser Verfahren ist. Während unserer Recherche sprachen wir mit Experten rund um den Globus und wälzten die Zahlen in unserem Artikel, um eine erste Vorstellung davon zu bekommen, welche Strategie die beste sein könnte. Zu diesem Zweck erstellten wir eine „Kostenkurve“ zu den einzelnen Verfahren, die den Massstab und die Auswirkungen ihrer Anwendung zeigt.
Manche der Verfahren sind bereits heute wirtschaftlich sinnvoll – oder scheinen es zumindest auf den ersten Blick zu sein. Forstwirtschaftliche Massnahmen, Bodenmanagement, Biokohle, die Produktion von Chemikalien und die Ölgewinnung sind aktuell rentable Möglichkeiten, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen – auch wenn es in manchen Fällen an der Zeit ist, die bestehenden Praktiken in Landwirtschaft und Industrie zu überdenken. In anderen Fällen, etwa bei der Umwandlung von CO2 in Brennstoffe oder der Zucht von Mikroalgen, sind erhebliche staatliche Subventionen nötig, damit sich die Verfahren lohnen. Die Kosten liegen hier derzeit bei über 100 USD/t CO2. Doch selbst bei Kosten in dieser Höhe könnten bestimmte staatliche Subventionen sinnvoll sein. Denn Mikroalgen, aus denen sich Biokraftstoffe, Futtermittel oder auch Biokunststoffe herstellen lassen, können CO2 zwei- bis zehnmal so effizient speichern wie Pflanzen.
Manche dieser Verfahren werden grosse Investitionen in Infrastruktur erfordern. Doch haben sie sich erst einmal etabliert, können sie dank Skalenerträgen überraschend wirtschaftlich sein. In anderen Fällen stellen die Prozesse einen Ersatz dar: Nutzt man Land für eine Sache, steht es nicht für andere zur Verfügung. Manche Verfahren werden unerwartete Auswirkungen auf andere Bereiche der Wirtschaft haben, was wiederum den Gesamt-CO2-Ausstoss beeinflussen wird. Der technologische Wandel wird zweifellos eine Rolle spielen. Es gilt, viele komplexe Faktoren zu berücksichtigen.
Manchmal stehen den Vorteilen auch Nachteile gegenüber, die sorgfältig bedacht werden müssen. Ein Beispiel dafür ist die Herstellung von Harnstoff. Es ist bereits heute möglich, CO2 in rentabler Weise in diesen Grundbaustein von Stickstoffdüngern umzuwandeln. Doch Stickstoffdünger haben den Nachteil, dass sie Distickstoffoxid erzeugen, ein Treibhausgas, dessen Wirkung die von CO2 über einen Zeitraum von 100 Jahren um das 300-Fache übersteigt. Ein weiteres Beispiel ist die Nutzung von CO2 aus der Atmosphäre zum Aushärten von Beton. Dadurch kann CO2 zwar dauerhaft gebunden werden, doch angesichts des hohen Energieverbrauchs bei der Zementproduktion könnte es langfristig sinnvoller sein, ihn durch Holz als Baumaterial zu ersetzen.
Eines ist jedoch entscheidend: Wir müssen begreifen, dass die wirtschaftliche Nutzung von CO2 eine wichtige Waffe im Kampf gegen den Klimawandel sein kann. In manchen Bereichen ist sie bereits Realität. In anderen gilt es nur, die bisherige Praxis zu verändern oder Technologien weiter zu optimieren. Um den Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen, müssen jetzt Subventionen beschlossen werden. Doch die nötigen Subventionen werden wahrscheinlich überschaubar sein, vergleicht man sie mit dem Schaden, den jede weitere ausgestossene Tonne CO2 anrichtet. Nichts davon ändert etwas an der Tatsache, dass wir unsere Emissionen senken müssen, und zwar schnell. Doch auf dem Weg zur Klimaneutralität zählt jeder noch so kleine Beitrag, und CO2 aus der Luft zu holen, wird wahrscheinlich ein entscheidender Schritt sein, um dieses Ziel zu erreichen.