"Um es vorwegzunehmen: Wir gehen global nicht von einer wirtschaftlichen Rezession in der nahen Zukunft aus. Das Realwachstum beträgt etwa 3% und sofern kein großer Schock aufkommt, ist die Wahrscheinlichkeit für ein Abrutschen in den negativen Wachstumsbereich äußerst gering. Dennoch müssen wir uns mit den großen Volkswirtschaften auseinandersetzen.
In den USA sind Probleme im verarbeitenden Gewerbe aufgetreten, was auf einen schwächeren Welthandel und Turbulenzen im Energiesektor aufgrund des Einbruchs des Ölpreises zurückzuführen ist. Insgesamt betrachtet entwickelt sich das Wirtschaftswachstum dennoch weiterhin stabil und erhält Aufwind von einem starken Dienstleistungssektor und dem Konsum. Es wäre äußerst überraschend, wenn das US-Wirtschaftswachstum im Jahr 2016 weniger als 2% betragen würde.
In China hinterlassen übermäßige Infrastrukturausgaben sowie eine ungeordnete Schuldenanhäufung ihre Spuren, weshalb sich das Wirtschaftswachstum bereits seit einiger Zeit verlangsamt. Jedoch deutet einiges darauf hin, dass im Hinblick auf die Wirtschaftstätigkeit nicht länger mit negativen Überraschungen zu rechnen ist. Nach wie vor gehört China zu den Ländern, die den größten Beitrag zum globalen Wirtschaftswachstum leisten. Das Wachstum geht zwar zurück, die Wirtschaft befindet sich dennoch auf Expansionskurs.
Auch die Eurozone trägt zum globalen Wirtschaftswachstum bei. Die tatsächliche Herausforderung, der sich das globale Wirtschaftswachstum gegenübersieht, geht vielmehr von aufstrebenden Volkswirtschaften wie Brasilien und Russland aus.
Berücksichtigt man all diese Faktoren, ist eine wirtschaftliche Rezession unseres Erachtens nach nur möglich, wenn es zu einem plötzlichen Einbruch des Verbrauchervertrauens oder des Konsums käme, was wir für sehr unwahrscheinlich halten. Aus den genannten Gründen gehen wir weiterhin von einem moderaten Wirtschaftswachstum aus.
Gewinnrezession
Turbulenzen an den Finanzmärkten könnten auch durch einen Einbruch bei den Unternehmensgewinnen ausgelöst werden. Schwache Unternehmensergebnisse weltweit haben in diesem Zusammenhang bereits für ein gewisses Maß an Druck gesorgt, jedoch gingen die Marktteilnehmer bisher von einem temporären Phänomen aus. Sollten sich keine Verbesserungen einstellen, könnten Anleger dies schnell als tiefergehende Krise bewerten. Da das Gewinnwachstum von US-Unternehmen maßgeblich dazu beiträgt, die zukünftige Richtung der Märkte zu bestimmen, lastet die Verantwortung auf dem Unternehmenssektor.
Der Rückgang der Unternehmensgewinne findet seinen Ursprung in zwei Problemfeldern. Erstens drückt der starke US-Dollar die Erträge von US-Unternehmen mit internationalem Vertrieb. Sollte er noch weiter aufwerten, würde sich dies zusätzlich deflationär auswirken. Die US-Notenbank muss daher zwangsläufig expansiver vorgehen, um die Währungsaufwertung einzudämmen. Dies würde sich positiv auf die Ergebnisse von US-Unternehmen auswirken, die Erträge im Ausland generieren. Wir gehen davon aus, dass das gegenwärtige Tempo der US-Dollar-Aufwertung nicht nachhaltig ist und sich letztendlich selbst korrigieren wird.
Der zweite Faktor, der das Gewinnwachstum beeinträchtigt, ist der Einbruch des Ölpreises, der die Erträge von US-Energiekonzernen drückt. Eine Stabilisierung des Ölpreises ist daher dringend notwendig. Bedauerlicherweise könnte es noch drei bis sechs Monate dauern, bis eine deutliche Reduzierung der Produktionsleistung stattfindet, um die derzeitige Überproduktion in den USA von ca. 1,5 Millionen Barrell pro Tag abzubauen.
Aus diesem Grund bezeichnen wir die aktuelle Krise als „Born in the USA“. Die fragwürdige Geldpolitik der USA führte zu einer Aufwertung des US-Dollar und das Überangebot von Öl aus Nordamerika beeinträchtigt den Energiemarkt. Eine Lösung kann somit nur aus den USA kommen.
Unser Standpunkt
Wir sind weiterhin der Ansicht, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis US-Dollar und Ölpreis zur dringend benötigten Stabilität zurückfinden. Diese Stabilität dürfte einerseits von der US-Notenbank Federal Reserve ausgehen, die ihre Pläne für eine geldpolitische Straffung zwangsläufig heruntersetzen muss, sowie von einem Einbruch des nordamerikanischen Ölangebots im Verlauf der kommenden Quartale. Diese Ereignisse dürften zur Stabilisierung der Volkswirtschaften, der Unternehmensrentabilität und der Anlagemärkte beitragen.
Wir behalten unsere neutrale Bewertung für Aktien bei, bekräftigen jedoch unsere klare Haltung zu Europa und betrachten die Region nach wie vor als den attraktivsten Markt für Aktienanleger."
Marino Valensise
Chairman
Strategic Policy Group
Baring Asset Management, London