«Es wird eine Art Rätsel in der Eurozone geben, wo die jährliche Gesamtinflation bis Mitte des Jahres wahrscheinlich unter die Kerninflation fallen wird. Dies wird es für die EZB schwierig machen, ihre Politik und Kommunikation zu steuern.
Bis dahin wird sich die jährliche Gesamtinflation wahrscheinlich verlangsamen, während die Kerninflation hoch bleibt oder sich beschleunigt. Die heute Morgen veröffentlichte März-Inflationsrate in Spanien deutet bereits in diese Richtung: Die Gesamtinflation ging von 6% auf 3,1% zurück, während die Kerninflation mit 7,5% ungefähr stabil blieb.
Die Gesamtinflation wird durch die schwindelerregenden Basiseffekte der sinkenden Energiepreise gedrückt, da die Sanktionen gegen den russischen Energiehandel letztes Jahr um diese Zeit begannen. Sie werden einen Teil der Inflation kompensieren, die durch die Auswirkungen der Trockenheit auf die Lebensmittelpreise in Europa entsteht.
Die Kerninflation wird durch drei untypische Faktoren gestützt:
- Die Verbraucher drosseln ihre Nachfrage nicht proportional zu den höheren Preisen, da sie über Bargeldpuffer verfügen, die sie isolieren. Diese belaufen sich in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf 900 Mrd. € und sind bisher verschont geblieben. Ja, sie befinden sich hauptsächlich im Besitz des obersten Quartils der Bevölkerung, aber diese geben zwei Drittel der Ausgaben aus.
- Die Arbeitnehmer haben aufgrund des Arbeitskräftemangels ihre Verhandlungsmacht zurückgewonnen und wollen die Reallohnverluste ausgleichen. Die Löhne stiegen im Jahr 2022 um 3,5%, und die EZB geht davon aus, dass sie im Jahr 23 um 5% steigen werden. Die Löhne machen 2/3 der Kerninflation aus. (Warum allerdings Mangel, ist unklar!)
- Die Unternehmen haben außerdem ihre Preissetzungsmacht entdeckt und geben ihre Kostensteigerungen, einschließlich der Löhne, an die Verbraucherpreise weiter. Die Zweitrundeneffekte bleiben also bestehen.
Die Botschaft lautet: Vergessen Sie die Schlagzeilen und konzentrieren Sie sich auf die Kerninflation. Es ist unwahrscheinlich, dass die Kernrate schnell sinken wird. Es wird ein paar Monate dauern, bis die EZB sich ausruhen und die Märkte sich entspannen können.»
Von Agnès Belaisch, Managing Director und Chief European Strategist des Barings Investment Institute