Das makroökonomische Katastrophenszenario einer weltweiten Rezession vom Jahresbeginn rückt in weitere Ferne. In Europa setzt sich der Aufschwung fort, obgleich er von der Situation der Schwellenländer beeinträchtigt wird. Zudem stellen politische Themen wie der mögliche Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union („Brexit“) und die Flüchtlingskrise nach wie vor nicht zu vernachlässigende Risiken dar. Die vermeintlich in ganz Europa herrschende Deflation widerspricht den ökonomischen Fakten Wachstum, sinkende Arbeitslosigkeit und zunehmende Kreditvergabe durch die Banken. Die amerikanische Volkswirtschaft präsentiert sich robust, was sich in einem gesunden Arbeitsmarkt niederschlägt. Das Wachstumstempo und die finanziellen (Un‑)Gleichgewichte in China sind hingegen beunruhigend. Hierauf werden die Märkte in den kommenden Monaten besonders empfindlich blicken.
Europas Wirtschaft wächst. Das Wachstum wird inzwischen von zunehmendem Konsum und sinkender Arbeitslosigkeit getragen sowie von einer Zentralbank gestützt, die zu allem bereit ist, um die Wirtschaft anzukurbeln und das Finanzsystem flexibel zu halten.
Während der Berichtssaison der Vorjahresergebnisse äußerten sich die Vorstände europäischer Unternehmen überwiegend zuversichtlich. Sektoren, die vom Binnenmarkt abhängen (Telekommunikation, Bauwirtschaft und Medien), haben zufriedenstellende Zahlen präsentiert. Der eher international aufgestellte Verteidigungssektor profitiert zudem von den zahlreichen geopolitischen Unruhen. Die Kfz-Neuzulassungen stiegen in den fünf größten Märkten Europas im Februar um 15 Prozent, was vom Aufschwung auch dieses Sektors zeugt. Indes leisteten die Sektoren mit den größten Indexanteilen (Erdöl und Banken) negative Beiträge zu den Gewinnaussichten.
Die EZB kündigte eine Reihe neuer Maßnahmen an, um die Wirtschaftstätigkeit zu fördern und die europäische Konjunktur zu finanzieren. Trotzdem trübt der mögliche Brexit die Auslegung der europäischen Wirtschaftsleistung und ruft systemweit Befürchtungen hervor, ob die Europäische Union oder die Eurozone einen Austritt Großbritanniens überleben würden. Wird diese Hürde genommen, könnten europäische Aktien auf mittlere Sicht weiterhin die einzige Anlagealternative bleiben.
In den USA vermitteln die neuesten Zahlen zur Kerninflation, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Arbeitslosigkeit noch nicht das Bild einer nachlassenden Konjunktur, obwohl der US-Industriesektor unter Druck steht.
In den Vereinigten Staaten fasst das Inflationsszenario nur langsam Fuß, weil die Kerninflation deutlich anzieht und so der Fed eine Rechtfertigung für ihre neue Politik der Zinserhöhung liefert. Tatsächlich ist der Teuerungsindex „Core PCE“ auf das Jahr gesehen um 1,7 Prozent gestiegen und nähert sich damit dem Zielwert von zwei Prozent. Möglicherweise sind das die ersten Auswirkungen der Lohnkonflikte, die die Profitabilität der Unternehmen beeinträchtigen könnten. Da schnell neue Stellen geschaffen werden, ist die Arbeitslosenquote nun weiter auf 4,9 Prozent gesunken.
Der amerikanischen Wirtschaft und insbesondere den Verbrauchern kommen die guten aktuellen Wirtschaftsbedingungen wie der niedrige Ölpreis und die günstige Finanzierungskonditionen zugute. Darum könnte ein schneller Anstieg der kurzfristigen Zinsen, der sich auch auf die längeren Laufzeiten übertragen würde, bei den Haushalten und den Märkten schlecht ankommen.
China bereitet den Anlegern immer noch die größten Sorgen. Würde sich die Kapitalflucht fortsetzen oder seine Währung unkontrolliert abwerten, könnte es die Weltwirtschaft destabilisieren.
Beim letzten Jahreskongress der Kommunistischen Partei äußerten die chinesischen Politiker, dass sie bis 2020 mit einem jährlichen Wachstum von 6,5 bis sieben Prozent rechneten. Die Exporte Chinas sanken im Februar jedoch um 25,4 Prozent (schwerster Rückgang seit 2009) und die Importe sanken den 16. Monat in Folge, aktuell um 13,8 Prozent.
China steht vor einer wirtschaftlichen und finanziellen Herausforderung, deren Konsequenzen sich auf die politische Gleichung des von einer Einheitspartei regierten Landes auswirken werden. Die Kapitalflucht belief sich im vergangenen Monat auf Gelder in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar. Kann China sie nicht eindämmen und wertet seine Währung unkontrolliert ab, wird das Land schwere Turbulenzen erleben. Deshalb wird auch die chinesische Notenbank alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine Destabilisierung der großen (Un-)Gleichgewichte in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu vermeiden.