Die aktuelle Entwicklung auf geldmarktpolitischer Ebene ist faszinierend.
So hat die US-Notenbank Federal Reserve (kurz Fed) vor kurzem angekündigt, bis zum Jahresende eine monetäre Strategie umzusetzen, die in deutlichem Gegensatz zu der seit Dezember 2008 betriebenen Geldmarktpolitik steht. Damit scheint die Fed die Finanzkrise, die 2007/2008 ausgebrochen ist, nun endgültig hinter sich zu lassen. Gleichzeitig hält die Europäische Zentralbank (EZB) auf längere Sicht an ihrer sehr lockeren Geldmarktpolitik fest. In der Eurozone kann man auf die monetären Absicherungsmaßnahmen, die nach den Krisenjahren 2008 und 2012 eingeführt worden sind, nämlich nicht verzichten.
Deshalb unterscheiden sich die geldmarktpolitischen Ansätze dieser beiden Wirtschaftsgiganten in vielerlei Hinsicht:
Zunächst einmal sind die USA bei der Geldmarktpolitik ihrem Konjunkturzyklus weit voraus.
Die Erholungstendenz hat bereits im II. Quartal 2009 eingesetzt und zählt damit zu den längsten Zyklusphasen nach dem zweiten Weltkrieg – zwar die schwächste, aber trotzdem eine der längsten. Dabei entspricht die Arbeitslosenquote jedoch den Erwartungen der Notenbank.
In der Eurozone hingegen ziehen die Wirtschaftsaktivitäten erst seit Anfang 2013 wieder an, so dass dieser Zyklus derzeit noch sehr „frisch“ ist. Und die EZB hat keinen Grund, diesen Aufwärtstrend einzudämmen – schließlich muss er erst einmal Fahrt aufnehmen und sich dann immer mehr auch selbst tragen. Deshalb ist bei den Erwartungen für das allgemeine Zinsniveau zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Trendwende erkennbar.
Dies gilt jedoch nicht für das Inflationsniveau.
Auf der Pressekonferenz nach der jüngsten Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank vom 15. März machte Fed-Chefin Janet Yellen deutlich, dass das Inflationsziel inzwischen erreicht worden sei und sich die Preisentwicklung in etwa auf dem Zielniveau von 2% stabilisieren würde – manchmal knapp darüber, gelegentlich knapp darunter. Dies gibt den US-Währungshütern jedoch keinen Anlass zu großer Sorge.
Was die EZB betrifft, so ist die Inflation von den angestrebten 2% nach wie vor weit entfernt, obwohl dieses Niveau im Februar zwischenzeitlich erreicht wurde. Dieser Anstieg der Inflation (der im März mit einer Teuerungsrate von lediglich 1,5% allerdings bereits wieder nachgelassen hat) war aber ausschließlich auf den Basiseffekt bei den Ölpreisen zurückzuführen. So waren die Ölpreise im I. Quartal 2017 (mit 54,7 US-Dollar) wesentlich höher als im I. Quartal 2016 (35 US-Dollar). Dieser Umstand erklärt sowohl den positiven Wertentwicklungsbeitrag des Energiesektors als auch den deutlichen Anstieg der Inflation. Dieser Faktor dürfte jedoch an Wirkung verlieren, weil die Preise inzwischen wieder auf ihr Niveau von 2016 zusteuern. Aus diesem Grund wird sich die Inflationsrate auch wieder der allgemeinen Inflation (d.h. der Inflationsrate ohne Berücksichtigung der Energie- und Lebensmittelpreise) annähern.
In diesem Zusammenhang sehen wir einen erheblichen Unterschied, da die Kerninflation in den USA derzeit knapp unter 2% liegt (im Februar waren es 1,75%), während sie in der Eurozone weniger als 1% beträgt (0,7% im März). Europa liegt also hinter seinem Konjunkturzyklus, so dass der nominale Inflationsdruck dort moderater ist.
Die Wirtschaftsaussichten zeichnen sich klar ab und illustrieren in zunehmendem Maße, weshalb unterschiedliche geldmarktpolitische Strategien umgesetzt werden und werden müssen. Die Äußerungen der beiden Notenbank-Chefs sind in dieser Hinsicht unmissverständlich.
Janet Yellen vertritt die Auffassung, dass die Zielvorgaben mittlerweile erreicht worden sind und es deshalb nunmehr an der Zeit ist, die Geldmarktpolitik wieder zu normalisieren. In diesem Zusammenhang werden zunächst die Zinsen erhöht werden, bevor dann Maßnahmen zur Steuerung der Notenbank-Bilanz umgesetzt werden. Diese Ansätze basieren auf dem Gedanken, dass die US-Notenbank dabei natürlich auch ihre Wertpapieraufkäufe einstellen wird. Wir möchten darauf hinweisen, dass die massiven Wertpapierkäufe der US-Notenbank die Fed-Bilanz erheblich aufgebläht haben und von insgesamt weniger als 6% des BIP vor 2007 bis Ende 2016 auf jetzt 23,4% des BIP angestiegen sind. Zwar hat die US-Notenbank ihren „Kaufrausch“ damit etwas willkürlich und abrupt beendet, erzielt mit diesem Portfolio sowie durch den Verkauf der Papiere aber nach wie vor Einnahmen. Und diese Gewinne gilt es ja zu reinvestieren. Diese Reinvestitionen jedoch wird die Fed nun ebenfalls einstellen. Dabei handelt es sich um recht beachtliche Beträge. So sind allein 2017 bereits 425 Mrd. US-Dollar reinvestiert worden. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Credit-Markt. Deshalb ist diese strategische Veränderung durchaus grundlegender Natur.
Was seit der letzten Sitzung aber neu ist, ist der Umstand, dass wir nun einen konkreten Zeitpunkt kennen, denn dieser geht aus dem Sitzungsprotokoll, das am 5. April veröffentlicht worden ist, hervor.
Die Mitglieder des Fed-Direktoriums deuten bereits seit einer Weile an, dass die Umsetzung eines solchen Bilanzmanagements jederzeit möglich sei. Bisher haben sie sich jedoch lediglich auf die Notwendigkeit selbst konzentriert, ohne aber ein konkretes Datum festzulegen. Im aktuellen Sitzungsprotokoll heißt es nun jedoch, dass dies noch vor dem Jahresende der Fall sein könnte. Diese Information wird den Markt aufrütteln.
Auch der Zeitpunkt selbst ist durchaus interessant, denn die Amtszeit von Janet Yellen endet am 3. Februar 2018. Wir gehen auch nicht davon aus, dass Donald Trump ihre Amtszeit verlängern wird. Deshalb ist es entscheidend, dass die monetäre Normalisierung noch vor dem Ausscheiden Yellens auf den Weg gebracht wird, um so die zukünftige Politik ihres Nachfolgers in entsprechende Bahnen zu lenken. Bisher wissen wir zwar noch nicht, wer Yellen letztlich ablösen wird, doch man darf berechtigte Zweifel äußern, ob die Unabhängigkeit der US-Notenbank dann überhaupt noch gegeben ist... Schon lange versuchen die Republikaner im Kongress nämlich, die Handlungsspielraum und die Eigenständigkeit der Fed einzuschränken.
Parallel dazu hat sich auch EZB-Chef Mario Draghi sehr klar geäußert. Solange die Inflation nicht annähernd auf 2% steigt und auch langfristig auf diesem Niveau verharrt, wird die EZB an ihrer lockeren Geldmarktpolitik festhalten. Und das dürfte noch eine ganze Weile der Fall sein, denn es bedarf eines Lohnwachstums, damit auch die Kerninflation nach oben klettert. Dabei wird die wieder anziehende Konjunktur eine bedeutsame Rolle spielen, weil die Löhne in der Eurozone naturgemäß flexibel sind und bei einem sich beschleunigenden Wirtschaftstrend ebenfalls ansteigen. Vor 2018 bzw. 2019 ist jedoch nicht mit einem Inflationsdruck zu rechnen, so dass die EZB noch wirklich viel Zeit hat.
Darüber hinaus ist es möglicherweise auch im Interesse der Notenbank, die Zinsen niedrig zu halten, weil einige Länder mit höheren Kreditkosten nicht fertigwerden würden. Ein Beispiel dafür ist Italien, wo sich die Anti-Euro-Stimmung momentan intensiviert.
Es heißt, dass die EZB die Leitzinsen anheben muss, um eine unkontrollierte Inflationstendenz zu verhindern. Das ist insofern amüsant, weil dieselben durchaus ernstzunehmenden Leute dasselbe Argument vor einigen Jahren bereits im Hinblick auf die US-Notenbank eingebracht haben – die Fed hinke hinterher, die Inflation würde sich beschleunigen und man müsse schnell handeln. Die Notenbank nahm sich jedoch die Zeit, die sie für notwendig erachtete. Und sie war damit gut beraten. Schließlich warten wir heute noch auf den unkontrollierten Anstieg der US-Inflation. Gleiches gilt für die EZB… und das Argument, die Notenbank sei spät dran, ist letztlich dasselbe. Außerdem ist diese Argumentation für die Eurozone auch nicht stichhaltiger als für die USA.
Die EZB sollte und wird dieses Argument nicht gelten lassen. So werden die Zinsen in der Eurozone wohl noch einige Zeit niedrig bleiben – und zwar selbst dann, wenn die Fed ihre Geldmarktpolitik ändert. Und die EZB tut gut daran, an ihrer Strategie festzuhalten.