Dabei ist die Wirtschaft ein entscheidender Aspekt der Unabhängigkeitsfrage. Die Unabhängigkeit hat kaum Chancen auf Erfolg, wenn es nicht gelingt, eine robuste wirtschaftliche Dynamik zu entfachen, zumindest in den ersten Jahren.
Hier sind zwei Phasen zu unterscheiden: Erstens die Phase, nachdem eine Entscheidung getroffen und umgesetzt wurde. Entweder ist Katalonien dann wirklich unabhängig, oder es verbleibt definitiv im Königreich Spanien. Und zweitens die gesamte Übergangsphase, mit der Unsicherheit, wie wir sie heute kennen, und mit den von der Zentralregierung für den 21. Dezember angesetzten Wahlen als erstem Zwischenziel.
Die aktuelle Situation ist von einer großen Unsicherheit geprägt, denn es findet ein Tauziehen zwischen der spanischen und der katalanischen Regierung statt. Beide Seiten können auf große Demonstrationen verweisen, die jeweils als Zeichen der eigenen Stärke und des eigenen Einflusses gedeutet werden. Jeder bleibt bei seinem Standpunkt, niemand möchte nachgeben.
Diese langanhaltende Unsicherheit ist schlecht für Katalonien, weil sie bei Beobachtern Zurückhaltung und Abwarten bewirkt. Es wird keine neuen Investitionen geben, denn im Fall der Unabhängigkeit besteht die Gefahr, dass Katalonien die EU und damit den Euro-Raum verlässt – und wer wollte dieses Risiko eingehen? Deshalb verlassen zahlreiche kleine wie große Unternehmen und Banken Katalonien komplett oder verlagern zumindest ihre Zentrale in eine andere Region. Dienstleistungsunternehmen haben es dabei leichter als Industrieunternehmen mit ihren Fabriken.
Und das ist der entscheidende Punkt: Durch die Unterschrift der spanischen Regierung ist Spanien als ein Staat der EU beigetreten. Ein unabhängiges Katalonien fiele nicht mehr unter diesen Vertrag und wäre deshalb nicht länger Teil der EU. Die Katalanen würden den Zugang zum Binnenmarkt und zur Gemeinschaftswährung verlieren, und dies hätte drastische Auswirkungen.
Natürlich würde all dies nicht von heute auf morgen passieren. Katalonien würde Spanien und dann die EU verlassen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Katalonien sofort wieder Mitglied der EU wird, denn das würde die Zustimmung aller Länder voraussetzen, und Spanien würde sich hier verweigern.
Es besteht die Gefahr, dass das Pro-Kopf-BIP in Katalonien stark sinkt. Denn der systemische Schock einer Abspaltung würde Katalonien zwingen, sich sehr schnell einen neuen institutionellen Rahmen und eine neue Währung zu geben und eine neue Beziehung zu seinen Partnern aufzubauen, wobei die europäischen Partner allerdings in erster Linie Madrid unterstützen. Diese Aufbauarbeit braucht Zeit. Doch mit jedem Tag, der vergeht, wird der durch Verwirrung und Besorgnis angerichtete Schaden größer.
Es ist verständlich, dass niemand dieses Risiko eingehen will, außer den Anhängern der ersten Stunde der katalanischen Unabhängigkeit. Die Investitionen werden sich verlangsamen, und die Abwanderung von Unternehmen aus Katalonien wird das Wachstum nicht fördern. Darüber hinaus braucht es Zeit, bis eine neue Währung eingeführt ist und bis diese Währung Glaubwürdigkeit erlangt hat. Man muss auch damit rechnen, dass viele Menschen, die derzeit in Katalonien leben, wegziehen wollen, um den Unbilden der Abtrennung zu entgehen. Keiner dieser Faktoren spricht für einen reibungslosen Übergang.
Auch wenn Katalonien am Ende spanisch bleibt, gelten diese Faktoren alle weiter. Investitionen, die während der Zeit der Unsicherheit nicht getätigt werden, gehen endgültig verloren, und die Wirtschaftsleistung in Katalonien wird beeinträchtigt. Der Abstand beim Pro-Kopf-BIP zu den Spitzenregionen Madrid, Baskenland und Navarra könnte sich vergrößern.
Sofern die europäischen Länder das unabhängige Katalonien nicht mit offenen Armen begrüßen, was angesichts der bislang wenig enthusiastischen Reaktion Brüssels und der großen EU-Länder unwahrscheinlich erscheint, wird das katalanische Wirtschaftsszenario sehr zerbrechlich sein, und das Risiko eines deutlichen Rückgangs ist groß. Wenn am Ende die Unabhängigkeit steht, mit dem Verlust des Zugangs zum Binnenmarkt und dem Verlust des Euros, wird nicht sofort ein Ansturm auf Katalonien stattfinden. Vielmehr dürften internationale Akteure aus Finanz- und Realwirtschaft ebenso wie die einheimischen Akteure erst einmal abwarten, wie sich die Dinge entwickeln.
Aus diesem Grund wird die Lage für Katalonien im Vergleich zum übrigen Spanien in den kommenden Monaten schwieriger. Katalonien wird erst einmal unter diesen trüben Aussichten leiden, auch wenn es sich letztlich nicht für die Unabhängigkeit entscheidet.
Unabhängig vom Ausgang der Krise steht Katalonien somit als Verlierer da. Das Ausmaß des Schadens hängt von der Dauer der politischen Unsicherheit ab, die Spanien durchlebt. Je länger sie anhält und je größer das Risiko für Katalonien eingeschätzt wird, desto geringer wird die Bereitschaft sein, Risiken in der Region Barcelona einzugehen, und desto größer die negativen Auswirkungen des Schocks.
In der gegenwärtigen Situation ähneln die Situation und die Argumente der Unabhängigkeitsbefürworter denen der Brexit-Anhänger. Die ökonomische Gleichung stand nie im Mittelpunkt der Diskussionen über den Brexit, und dasselbe gilt für Katalonien. Der politische Unabhängigkeitsdiskurs richtet sich diesmal gegen Madrid, während er sich im Falle des Brexit gegen Brüssel richtete. Heute, 18 Monate nach dem Referendum, wirft die britische Situation viele Fragen auf, denn die Verhandlungen mit der EU kommen nicht voran, und die Briten werden sich bewusst, dass sie zu viel zu verlieren haben.
Für Katalonien wäre die Lage heikler, da es noch kein Land ist und daher nicht über die entsprechenden Institutionen verfügt. Katalonien würde zudem seine Währung verlieren. Das ist vieles auf einmal in einem Spanien, das nicht mehr unter Francos Herrschaft steht.