Wenn unsere Enkel eines Tages Volkswirtschaft studieren sollten, werden sie für die Dauer der Trump-Administration dann systematisch eine Platzhaltervariable in ihre ökonometrischen Gleichungen einfügen müssen? Wird der US-Wirtschaft aufgrund der Entscheidungen von Donald Trump sowie des Kongresses in diesem Zeitraum eine Art „Sonderstatus“ zuteilwerden? Diese Fragen sind angesichts von Steuersenkungen und einer Anhebung der Staatsausgaben nur allzu berechtigt, haben sie doch beängstigende Auswirkungen auf das US-Haushaltsdefizit.
Die staatliche Finanzlage ist eine besonders heikle Frage. Der dauerhafte Anstieg des Haushaltsdefizits scheint eigentlich dafür zu sprechen, dass sich die Wirtschaft in einer tiefen Rezession befindet. Das ist aber keineswegs der Fall, hat Janet Yellen die US-Konjunktur doch in die Vollbeschäftigung geführt. Deshalb werfen die konjunkturellen Ankurbelungsmaßnahmen des Weißen Hauses und des Kongresses sehr konkrete Fragen auf, welche Beweggründe sich hinter dieser Politik verbergen. Schließlich ergreifen Regierungen keine konjunkturfördernden Maßnahmen, wenn im Land bereits Vollbeschäftigung herrscht, denn dadurch würden auf lange Sicht beträchtliche Ungleichgewichte entstehen – schlechte Nachrichten also für alle Betroffenen.
Die Haushaltsschätzungen der unabhängigen, überparteilichen Institution des Congressional Budget Office (CBO) enthalten Prognosen für die nächsten zehn Jahre und bieten Einblicke, die unter Beobachtern für Sprachlosigkeit sorgen könnten: Bis 2020 wird das Haushaltsdefizit auf 1.008 Mrd. US-Dollar ansteigen, nachdem es 2017 noch bei 665 Mrd. US-Dollar gelegen hat. Dies entspricht einem Plus von über 50% – und das innerhalb von nur drei Jahren. Im Rahmen dieser Schätzungen sinkt das Defizit nie unter die Marke von 1.000 Mrd. US-Dollar und beträgt zwischen 2018 und 2028 im Durchschnitt 4,9%. Dabei weichen die einzelnen Zahlen auch kaum von diesem Durchschnitt ab. Die Prognosen gehen ferner davon aus, dass die von der Öffentlichkeit gehaltenen Staatsschulden bis 2028 in Richtung 100% tendieren werden. Damit klettert die US-Staatsverschuldung auf das höchste Niveau seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Besorgniserregend daran ist der Umstand, dass diese Zahl sehr schnell ansteigt, obwohl das US-Wirtschaftswachstum nahezu seinem Wachstumspotenzial entspricht. Gleichzeitig wirft dieser Aspekt auch die Frage auf, über welchen Spielraum die USA im Falle einer Rezession dann überhaupt noch verfügen würden. Mit einem Haushaltsdefizit dieses Ausmaßes – und zwar bei wachsender Wirtschaft – würden die USA gar nicht mehr über die notwendigen Mittel verfügen, um sich gegen einen potenziellen negativen Schock zu stemmen. Und darin liegt die wirkliche Herausforderung – zumal finanzielle Ungleichgewichte sowie die Liquidität immer noch den größten Anlass zur Sorge geben. Mit dem vom CBO prognostizierten Haushaltsdefizit wären die USA nämlich gar nicht in der Lage, ähnliche politische Maßnahmen zu ergreifen wie sie Barack Obama im Jahr 2009 eingeleitet hat.
Diese dauerhafte Verschlechterung der staatlichen Finanzlage ist in erster Linie dem Steuersenkungsprogramm geschuldet (weitere Informationen dazu finden Sie hier). Diese Steuererleichterungen werden vor allem Amerikanern mit den höchsten Einkommen zugutekommen, deren Steuerlast dadurch erheblich sinken wird. Gleichzeitig wird die steuerliche Belastung von Bürgern mit den niedrigsten Einkommen (aus den untersten drei Quantilen) während des Steuerprogramms aber deutlich ansteigen. Im Gegensatz dazu werden die Einkommen nach Steuern vor allem bei Top-Verdienern beträchtlich nach oben klettern.
Somit erhöht die Regierung die Staatsverschuldung zugunsten einer kleinen Gruppe Auserwählter, denn diese zusätzlichen Schulden werden letztlich dazu genutzt, um die Situation der Reichsten auf Kosten der niedrigsten Einkommensschichten zu verbessern. Die Staatsschulden werden also hauptsächlich deshalb angehoben, um die reichsten Amerikaner noch reicher zu machen. Es ist schwer, an diesem Konzept der Ungleichheit festzuhalten. Und es zu unterstützen, ist sogar noch schwieriger.
Die bisherigen massiven Verschlechterungen der staatlichen Finanzlage waren auf die Rezessionsphasen der Jahre 1982/1983 sowie 2008/2009 zurückzuführen. Ein schwerwiegender und langanhaltender Schock schwächt die Wirtschaft und zieht einen Anstieg des Haushaltsdefizits nach sich, was angesichts rückläufiger Steuereinnahmen und steigender Staatsausgaben zur Eindämmung der konjunkturellen Risiken ja auch absolut normal ist. Läuft die Konjunktur jedoch auf vollen Touren, kann ein Überschuss generiert werden, wie dies beispielsweise im Jahr 2000 der Fall war. Mit anderen Worten: Seit dem Zweiten Weltkrieg hing die staatliche Finanzlage stets in hohem Maße vom Konjunkturzyklus ab.
Im Jahr 2017 ist dieser Zusammenhang zwischen dem Haushaltsdefizit einerseits und dem Ausmaß der Arbeitslosigkeit andererseits jedoch aufgelöst worden. Denn seit Donald Trump seine politischen Ideen umgesetzt hat, spiegelt das Haushaltsdefizit die wirtschaftliche Situation im Land schlicht nicht mehr wider. Die Prognosen des CBO weisen über einen langen Zeitraum ein hohes Defizit aus, obwohl die Wirtschaft gar keinen rezessionsartigen Schock verarbeiten muss. Das CBO selbst erwartet auch keine Rezession, sondern geht vielmehr davon aus, dass die Entscheidungen, die im Weißen Haus sowie im Kongress getroffen werden, den Staatshaushalt auf lange Sicht tief in die roten Zahlen treiben werden.
Die Prognosen sowohl des CBO als auch von anderen Einrichtungen belegen jedoch ganz grundsätzlich, dass der Effekt auf das Wachstumsprofil der USA schwächer ausfallen wird als erwartet. Die umfangreichen Programme des Weißen Hauses werden dem BIP auf lange Sicht also keinen Schub geben. Das CBO geht ferner davon aus, dass das Wachstumspotenzial wegen des Umstands, dass die Zahl der Erwerbstätigen in Zukunft eher schleppend ansteigen wird, tendenziell begrenzt ist. Dazu trägt auch ein eher mäßiges Produktivitätswachstum bei. Falls sich also keine dieser beiden Kennzahlen nachhaltig und deutlich verbessert, kann das BIP-Wachstum gar nicht anziehen. Kurzfristig könnten sich Maßnahmen zur Anregung der Nachfrage zwar positiv auf die Wirtschaftsaktivitäten auswirken, aber auf mittlere und lange Sicht funktioniert diese Methode nicht.
Das langfristige Wachstum basiert auf den volkswirtschaftlichen Fundamentaldaten, also auf Produktivitätssteigerungen sowie der Zahl der Erwerbstätigen. Und genau an dieser Stelle ist der Ansatz der Trump-Administration widersprüchlich. Denn bei konstanter Produktivität beschleunigt sich das Wachstum nur dann wirklich nachhaltig, wenn die Zahl der Erwerbstätigen schneller ansteigt. Der Umstand, dass die US-Bevölkerung immer älter wird, hat allerdings zur Folge, dass die Zahl der Erwerbstätigen nur durch eine Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte erhöht werden kann. Das gilt übrigens nicht nur für die USA: auch in Frankreich sollte dieser Aspekt zum Nachdenken anregen.
Darüber hinaus wird die Strategie des Weißen Hauses die US-Notenbank dazu zwingen, schneller und umfassender zu intervenieren als allgemein erwartet, um der derzeit waghalsigen Haushaltspolitik entgegenzuwirken. So werden die Währungshüter die Zinsen in diesem Jahr mindestens viermal anheben – ein Trend, der sich im nächsten Jahr fortsetzen und zu einem Abflachen der Zinskurve sowie einer Beeinträchtigung der Wirtschaftsaktivitäten führen dürfte. Damit bringt das Weiße Haus die Fed in Zugzwang und nötigt sie dazu, ihre Geldmarktpolitik zügiger zu normalisieren. In der Folge dürfte der Wechselkurs des US-Dollar automatisch ansteigen. Die Fed darf jedoch nicht zulassen, dass sich Ungleichgewichte etablieren: Das wären schlechte Nachrichten für die US-Wirtschaft – und zwar insbesondere für die Außenwirtschaft.
Zuletzt möchte ich auch noch auf das Anlegervertrauen eingehen. Meine größte Sorge ist, dass das Weiße Haus Schulden macht, um Steuersenkungen zu finanzieren, die lediglich den Reichsten zugutekommen. Ich glaube nämlich nicht an die „Trickle Down“-Theorie, die auch nur dem Namen nach eine Theorie ist. Sie besagt, dass die Wirtschaft insgesamt davon profitiert, wenn die Reichsten noch reicher werden. Dieser Ansatz hat allerdings offensichtlich noch nie funktioniert, denn ansonsten wäre die US-Wirtschaft angesichts der Ungleichgewichte bei der Einkommensverteilung, die seit Mitte der 1980er Jahre vorherrschen, in einer sehr beneidenswerten Position. Es handelt sich also hauptsächlich um einen betriebswirtschaftlichen Vorteil ohne volkswirtschaftlichen Effekt. Dieser private Vorteil für eine kleine Minderheit bringt langfristig jedoch hohe Kosten für die Öffentlichkeit mit sich und ist auf lange Sicht deshalb nicht tragbar. Was werden die Anleger davon halten und inwieweit können sie derartigen Strategien vertrauen? Diese Fragen sind nur allzu berechtigt. Und diese Situation könnte Investoren dazu veranlassen, sich aus US-Anlagen zurückzuziehen. Darüber hinaus ist aus innenpolitischer Sicht auch fraglich, wie die Amerikaner selbst darauf reagieren werden.
Unter der Obama-Administration verzeichnete die US-Wirtschaft zwar lediglich ein moderates Wachstum, aber die Ungleichgewichte haben sich in dieser Zeit nicht verschlechtert. Unter Trump lösen politische Entscheidungen auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene aber in der Regel gravierende und langanhaltende Ungleichgewichte aus – während sich das Augenmerk der Weltwirtschaft gleichzeitig zusehends auf China richtet. Wir werden momentan Zeugen der Entwicklung einer neuen Weltordnung, und angesichts rasant steigender Staatsschulden – die größtenteils bei ausländischen Gläubigern bestehen und nur einigen wenigen zugutekommen – bin ich nicht sicher, ob die US-Wirtschaft gerade die richtigen Maßnahmen ergreift, um darauf zu reagieren.
Philippe Waechter, Chief Economist, Ostrum Asset Management (Natixis Investment Managers)