Nach nur einem Jahr ist es zu früh, um Macrons Präsidentschaft abschließend beurteilen zu können. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob die Maßnahmen, die seine Regierung in diesem ersten Jahr auf den Weg gebracht hat, tatsächlich geeignet sind, um mit den aktuellen Veränderungen weltweit fertigzuwerden.
Im ersten Kommentar dieser Reihe haben wir ausgeführt, warum sich das Wachstum in Zukunft eher selbst tragen muss – trotz einer anhaltenden Globalisierung. Wir haben erläutert, inwieweit der Innovationsaspekt bei unseren Investitionen hervorgehoben und der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden muss, damit sich dieser besser an den aktuellen Wandel anpassen kann. Und diese Gleichung steht im Mittelpunkt der Angebotsfrage in Frankreich: Das Kapital muss effizienter, der Arbeitsmarkt muss anpassungsfähiger werden. Im ersten Teil habe ich darauf hingewiesen, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen zur Förderung öffentlicher Investitionen sowie die staatlichen Dekrete zum Arbeitsmarkt dazu beigetragen haben, diese Einschränkungen zu überwinden und eine Anpassung auf der Angebotsseite zu ermöglichen.
Es gibt jedoch noch zwei weitere Einschnitte auf weltwirtschaftlicher Ebene, mit denen die französische Wirtschaft nun fertigwerden muss, wenn sie eine weitergehende Integration anstrebt, nämlich den Standort von Produktionsstätten und den von Innovationsstätten betreffend.
Die zweite Veränderung betrifft die geografische Lage von Produktionsstätten.
In diesem Kontext hat sich der Schwerpunkt der Produktion in den Jahren seit der Finanzkrise nach Asien verlagert. In diesen Ländern vollziehen die Industrie und das produzierende Gewerbe derzeit eine erstaunliche Entwicklung von der reinen Montage hin zur Steuerung des gesamten Herstellungsprozesses – und damit von der Entwicklung bis zur Produktion. Dabei ist die Qualität rasch und wirkungsvoll verbessert worden. Entsprechende Programme, die vor allem in China aufgelegt worden sind (wie das „Made in China 2025“Programm), zielen darauf ab, diesen Trend weiter zu forcieren und sowohl die Quantität als auch die Qualität zu steigern. Einer der entscheidenden Aspekte des chinesischen Programms besteht darin, „disruptive Innovationen“ zu entwickeln, welche die Leistungsfähigkeit der Industrie noch zusätzlich erhöhen sollen. Dies dürfte China und Asien insgesamt einen zusätzlichen Schub geben und ist deshalb auch einer der Gründe für die handelspolitischen Maßnahmen, die Trump gegen China eingeleitet hat.
Angesichts dieser Herausforderungen plädiert Emmanuel Macron ganz klar für Europa und betont die Notwendigkeit, dass die europäischen Staaten ihre Kräfte bündeln.
In seiner Rede vom 26. September an der Sorbonne betonte der französische Präsident, dass Europa für Frankreich nach wie vor unverzichtbar sei, weil es dem Land zum einen den Zugang zu einer weltweiten Bühne bietet und zum anderen die Errungenschaften, welche die europäische Integration für alle Bürger bereits gebracht hat, schützt. In seiner Rede vom 10. Oktober in Frankfurt unterstrich er dann erneut die Bedeutung einer europäischen Kultur und hob die engen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland hervor.
In unserer globalisierten Welt wird es Emmanuel Macrons Aufgabe sein, Europa den Weg zu bereiten, damit es in Zukunft unabhängiger über seine Zukunft entscheiden und aus eigenem Antrieb heraus agieren kann. Dies deckt sich auch mit der Vision, die er für Frankreich hat und auf die ich bereits im ersten Teil eingegangen bin.
Der Ansatz des französischen Präsidenten ist vorrangig politischer Natur, denn er ist davon überzeugt, dass politische Entscheidungen getroffen werden müssen, um die Probleme, mit denen die Bürger Europas momentan zu kämpfen haben, zu lösen.
Dieser Aspekt findet sich auch in seiner Rede an der Sorbonne wieder. Darin merkte er an, dass eine Reihe von Problemen auf europäischer Ebene angegangen werden müssten, wenn man sie wirklich effektiv lösen möchte. Dazu zählen die Energiewende, der Kampf gegen den Terrorismus, die Flüchtlingskrise und viele weitere Themen. Eine gemeinsame Strategie zur Bewältigung dieser Herausforderungen würde zu einer größeren Konsistenz innerhalb Europas führen und damit auch die Position der Staatengemeinschaft gegenüber dem Rest der Welt verdeutlichen. Politisch betrachtet, ist dies jedoch eine große Herausforderung, weil jeder Staat seine Bevölkerung davon überzeugen muss, an der Bekämpfung allgemeiner Probleme mitzuwirken, die weit über die eigenen Landesgrenzen hinausgehen.
Aber Europa ist sich im Hinblick auf diesen gemeinsamen Ansatz nicht einig. Einige Staaten – vor allem aus dem Norden Europas – sind der Meinung, dass jedes Land auch weiterhin seine eigene Haushaltspolitik betreiben sowie die Wirtschaft nach eigenem Gutdünken lenken sollte. Mehr Europa streben diese Nationen also nicht an. Deutschland setzt auf eine zweite Strategie, welche die Förderung von Entwicklungen vorsieht, mit der interne Anpassungen innerhalb des Euroraums vorgenommen werden können. Dazu zählt insbesondere eine Bankenunion. Derweil möchte Frankreich gerne einen dritten Weg beschreiten, denn Macron strebt einen politischen Ansatz sowie eine erneute Zusage jedes einzelnen Mitgliedstaats an, bevor die europäischen Institutionen modernisiert werden sollen. Für die entsprechenden politischen Entscheidungen sind langfristig verbindliche Zusagen erforderlich, weil es dabei eben oftmals um den Transfer von Souveränität geht. Anschließend können die übrigen Institutionen, wie beispielsweise eine Bankenunion, ohne allzu großen Mehraufwand entwickelt werden.
Deshalb müssen sich die Bürger Europas also zwischen diesen drei sehr unterschiedlichen Ansätzen für Europa und eine europäische Integration entscheiden. Die Sitzung des Europarats am 28. und 29. Juni könnten dafür eine hervorragende Gelegenheit bieten. Schließlich werden diese Entscheidungen wegen der Unsicherheit um die zukünftige Marschrichtung in Europa mit Spannung erwartet.
Meiner Meinung nach ist der eher politisch ausgerichtete Ansatz des französischen Präsidenten angesichts der neuen Weltordnung, die ich eingangs beschrieben habe, der sinnvollste Weg. Denn es genügt nicht, einfach mehr zu produzieren, sondern es ist auch unerlässlich, auf Entscheidungen, die andernorts getroffen werden, einzuwirken. Und die Politik ist die einzige Möglichkeit, wie man dies erreichen kann.
Philippe Waechter, Chief Economist, Ostrum Asset Management (Natixis Investment Managers)