„Das Verhältnis China/USA funktionierte lange auf Basis dieser Komplementarität. Doch seit einiger Zeit verschiebt sich dieses Gleichgewicht, und im März 2019 kam der Anteil Chinas an der gesamten US-Außenfinanzierung auf niedrige Niveaus wie zuletzt im Juni 2006 zurück. Ebenso ging zu Beginn des Jahres 2019 das Gewicht der Vereinigten Staaten an den chinesischen Exporten deutlich zurück.
Der andere wichtige Punkt der Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Peking betrifft die Technologie. Meiner Meinung nach ist dies der wichtigste Punkt im Streit zwischen den beiden Ländern. Die Chinesen haben in den letzten zwanzig Jahren durch Technologietransfers und den Einsatz erheblicher Ressourcen sehr schnell aufgeholt und sich nun einen Vorsprung vor den Amerikanern, vor allem in den Bereichen 5G und Künstliche Intelligenz, verschafft. Und wer die Standards für diese neuen Technologien setzt, wird einen erheblichen komparativen Vorteil haben.
Diese technologische Schlacht wird sich so schnell nicht befrieden lassen, keines der beiden Länder wird nachgeben, und deshalb scheint die Möglichkeit einer Einigung unwahrscheinlich – es sei denn die chinesische Wirtschaft erlebt einen heftigen Abschwung. Aber das ist nicht unser Szenario.
Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Die Entwicklung von 5G zum Beispiel steht im Mittelpunkt vieler Innovationen, die auch andere Länder als China und die USA nutzen wollen. Dies bedeutet, dass chinesische Technologie zu einem Streitthema auch der Europäer mit den USA werden wird. Auf einer Technologiekonferenz in Paris hat Emmanuel Macron dazu bereits deutlich Stellung bezogen. Die Dynamik der Weltwirtschaft verändert sich, aber eine neue Ordnung und ein neues Gleichgewicht werden sich nicht sofort einstellen.“
Philippe Waechter, Chefvolkswirt, Ostrum Asset Management