In der Welt der Derivate unterscheidet man zwischen europäischen (Call) und amerikanischen Kaufoptionen. Erstere können nicht vor dem Fälligkeitsdatum ausgeübt werden. Letztere können - getreu dem American Way of Life - während der gesamten Laufzeit des Produkts abgerufen werden. Da es auf den Märkten nichts umsonst gibt, auch nicht die Freiheit, ist eine amerikanische Option in der Regel teurer. Der Käufer eines Calls darf nicht vergessen, dass er den Preis für die Streuung der Möglichkeiten zahlen muss. Je höher die Volatilitätserwartungen sind, desto teurer ist die Prämie, die der Verkäufer der Option zahlen muss.
Die Indizes Vix und Vstoxx zeigen uns, wie hoch der Marktpreis der erwarteten Volatilität in den nächsten drei Monaten für den S&P500 und den Eurostoxx 50 zum Zeitpunkt „t“ ist. Seit den extrem niedrigen Niveaus um Mitte Mai (12%) sind diese „Angstindizes“ vergangene Woche um zwei Punkte gestiegen. Dies könnte eine Normalisierung darstellen oder auf ein Ende der Marktnachlässigkeit gegenüber Risiken hindeuten.
Investoren haben weitgehend die Unfähigkeit der USA, die israelische Militärdoktrin zu kontrollieren, und das steigende Risiko einer NATO-Beteiligung in der Ukraine aufgrund von Putins Bereitschaft zu einem Waffenstillstand, ignoriert. Ob sie auch die Inflation übersehen werden, bleibt abzuwarten. Die Kerninflation bleibt weltweit hoch und verlangsamt sich nur schwerfällig. In der Eurozone stiegen die Verbraucherpreise im Mai stärker als erwartet um 2,6%, ohne dass die volatilen Komponenten wie Energie und Lebensmittel daran beteiligt waren.
Debatte um den neutralen Zinssatz neu entfacht
Die hartnäckige Inflation und die überraschende Widerstandsfähigkeit der entwickelten Volkswirtschaften gegenüber den Zinserhöhungen der Zentralbanken haben die Diskussion über den neutralen Zinssatz (r*) wiederbelebt. Dieser Zinssatz ist theoretisch so festgelegt, dass er die Wirtschaft weder stimuliert noch bremst. Allerdings warnte der Fed-Notenbanker Christopher Waller vergangene Woche, dass die fiskalische Situation der USA Druck auf den neutralen Zinssatz ausüben könnte.
Herausforderungen für den Dollar und den Euro
Der Dollarindex bewegt sich seit Dezember 2022 in einem Seitwärtstrend von 5%, während der Euro zwischen 1,05 und 1,10 US-Dollar schwankt. Inmitten von Handelskonflikten und geopolitischen Spannungen bleibt die Richtung der Währungen ungewiss.
Auch die europäischen Staatenlenker erkennen die zunehmenden Herausforderungen im globalen Wettbewerb. Emmanuel Macron fordert eine Verdoppelung der Finanzierung für Sicherheit und Verteidigung sowie die Förderung kontinentaler Produktionsketten. Enrico Letta träumt von einem paneuropäischen Nasdaq und einem langfristigen europäischen Sparprodukt. Christian Noyer kritisiert Hürden der Kapitalallokation für die Energiewende. Geredet und geschrieben wird viel – nur wenn es an die Umsetzung geht, dann dauert in Europa alles sehr lange.
Fortschritte und Herausforderungen in der Energiewende
China hingegen macht bedeutende Fortschritte im Ausbau der Solar- und Windenergie, während Europa hinterherhinkt. Chinas CO2-Emissionen sind im März erstmals seit der Pandemie um 3% gesunken. Der Rückgang der Stahlproduktion und der Anstieg der Wasserkraftproduktion um 20% haben ebenfalls dazu beigetragen.
In Europa hingegen verteuert der Anstieg der Kapitalkosten um 1% die Gesamtkosten eines Windenergieprojekts um 20%. Dies stellt eine große Herausforderung für die geplanten Reduzierungen der Produktionskosten für grünen Wasserstoff dar. Die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Photovoltaik- und Batteriezellen bleibt unübertroffen, was Europas Industrie vor schwierige Entscheidungen stellt.
Während die EU weiterhin ambitionierte Ziele in ihrer Gesetzgebung verankert, bleiben die tatsächlichen Fortschritte hinter den Erwartungen zurück. Die europäische Automobilindustrie muss sich gegen die kostengünstige Konkurrenz aus China behaupten, ohne die heimischen Märkte zu gefährden. Ein Gleichgewicht zu finden, das den Bedürfnissen aller gerecht wird, bleibt eine komplexe Aufgabe.
Von Thomas Planell, Portfoliomanager bei DNCA