In unserem letzten Gespräch gingen Sie von einer weichen Landung aus. Gilt das noch?
Francois Collet: Damals im Februar1 hielten wir eine Rezession für vermeidbar und eine globale „weiche Landung“ für das wahrscheinlichste Szenario.
Ein Zeitsprung auf heute zeigt: Der Markt hat sich unserer Einschätzung weitgehend angeschlossen. Viele Zinssenkungen der Zentralbanken sind angesichts der anhaltenden Widerstandskraft der Wirtschaft bereits ausgepreist, und die Aussichten erscheinen freundlich. Tatsächlich gehen der letzten Monatsumfrage der Bank of America unter Fondsmanagern zufolge 73 % der Befragten davon aus, dass es nicht zur Rezession kommt. 64 % meinen, dass eine weiche Landung gelingen wird. Das ist also auf jeden Fall der Konsens.
Wir rechnen nach wie vor mit einer solchen Entwicklung. Allerdings hat sich der Ausblick leicht verändert.
Wie beurteilen Sie diesen inzwischen? Gehören Sie noch zu dem Lager, das eine weiche Landung erwartet?
FC: Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte gehen wir immer noch von einem langsamen, etwas schleppenden globalen Aufschwung aus. Europa war nach einem schwierigen Jahr zwar ein Lichtblick, doch angesichts der anhaltenden Turbulenzen in China und der politischen Unsicherheit, die die Eurozone belastet, stimmen die aktuellen Daten nicht mehr ganz so zuversichtlich.
In den USA gibt es überdies gewisse Anzeichen für Schwäche, die es im Auge zu behalten gilt. Die Daten geben leicht nach, und der Economic Surprise Index ist eingebrochen. Die Banken zögern bei der Kreditvergabe. Und der Bausektor, der auf Zinserhöhungen sensibler reagiert als andere Teile der Wirtschaft, gerät ins Stocken.
Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt endlich normalisiert, was den Lohndruck dämpfen sollte.2 Wir halten die Arbeitsmärkte zwar aufgrund des demografischen Wandels strukturbedingt für eher angespannt, doch die Arbeitslosenquote könnte rapide anziehen, und dadurch kommt es nicht selten quasi ohne Vorwarnung zur Rezession. Vorerst halten wir den Arbeitsmarkt allerdings noch für unbedenklich, und die fiskalpolitische Unterstützung sollte dafür sorgen, dass die US-Wirtschaft weiter brummt.
Insgesamt wird ein leicht abgeschwächter Aufschwung den Inflationsdruck in Schach halten und es den Zentralbanken ermöglichen, einen Zinssenkungszyklus einzuleiten – die EZB und andere haben das bereits getan, wenngleich es in Australien und anderswo noch Rücksetzer gab.
Abgesehen davon rechnen wir nicht mit einer stärkeren Lockerung der Zentralbankpolitik, wenn eine Rezession ausbleibt – schlicht deshalb, weil die Disinflation überwiegend abgeschlossen scheint und die Inflationsraten langfristig kaum wieder auf ihr 2 %-Ziel einschwenken dürften. Künftig wird es mehr darum gehen, dass die Zentralbanken einen Mittelweg finden müssen, um die laufende Expansion zu stützen.
Werden die Märkte dadurch weniger volatil? Und sollten sich Anleger auf klassische festverzinsliche Wertpapiere und längere Duration verlegen?
FC: Unserer Ansicht nach ist weiter mit kräftiger Makro- und Zinsvolatilität zu rechnen – selbst wenn die konjunkturellen Rahmenbedingungen günstig bleiben. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Der erste ist politischer Natur. Wir erleben in letzter Zeit, wie sich politische Umwälzungen in der Europäischen Union und möglicherweise bei der Wahl in Frankreich angesichts der ständig veränderlichen Politik von Kandidaten wie Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon finanziell unverhältnismäßig auswirken können. Und wir werden vermutlich auch mit Donald Trumps Präsidentschaftskandidatur zu kämpfen haben, da sein politisches Programm zunehmend zum Sorgenkind der Anleger wird.
Möglicherweise mäßigen diese Kandidaten ihre Ansichten nach der Wahl und eine Neuauflage der verheerenden Amtszeit von Liz Truss im Vereinigten Königreich – wo die Anleiherenditen nach oben ausschlugen und eine Krise einsetzte – kann vermieden werden. Zum Teil war das auch in Italien mit Georgia Meloni der Fall. Dort legten sich die Bedenken der Investoren.
Doch die Märkte verabscheuen Unsicherheit und müssen Extreme wie einen „Frexit“, fiskalpolitische Blockaden, hohe Zölle etc. einkalkulieren. Selbst wenn sich die betreffenden Kandidaten fiskalpolitisch in Zurückhaltung üben, wird es einige Zeit dauern, bis die Märkte dem Frieden trauen. Bis mehr Sicherheit herrscht, dürfte die Politik daher für Marktvolatilität sorgen – wie wir das bereits in Schwellenländern wie Mexiko und Indien beobachten konnten.
Zweitens befinden sich viele Länder fiskalpolitisch ohnehin auf einem unhaltbaren Kurs, was die Auswirkungen potenzieller fiskalpolitischer Fehlgriffe noch verstärkt. In Frankreich liegt die Verschuldungsquote beispielsweise bei rund 111 % und damit auf dem höchsten Stand seit 1887, wenn man Covid und die Weltkriege ausklammert. Gleichzeitig bewegt sich das Land mit einem Haushaltsdefizit von –5,5 % klar außerhalb der EU-Grenze von 3 % – ebenso wie Italien (mit –7,4 %) und Spanien (mit –3,6 %) – und bereitet damit den Boden für eine potenzielle Kraftprobe mit Brüssel.3
Die USA befinden sich mit einer Verschuldungsquote von 123 % und Haushaltsdefiziten von über 6 % in ähnlich prekärer Lage. Die Zukunftsprognosen sind ebenfalls nicht rosig. Der US-Notenbankchef bezeichnete das kürzlich als „untragbar”,4 und selbst der IWF gab zu bedenken, dass die Defizite die Inflation anheizen und „erhebliche Risiken“ für die Weltwirtschaft darstellen.5
In Anbetracht dieser Umstände haben solche Länder einen Drahtseilakt vor sich – umso mehr, als ihre öffentlichen Schulden zu großen Teilen in ausländischen Händen liegen (fast ein Drittel der US-Staatsanleihen und über die Hälfte der französischen OATs werden von Ausländern gehalten).6 Fehlentscheidungen wie die von Liz Truss könnten schon bald von sogenannten „Bond Vigilantes“ hart abgestraft werden. Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass Japan erste französische OATs abstößt.
Die Dominanz der Fiskalpolitik dürfte auf längere Sicht auch gleichbedeutend sein mit höheren Zinsen, da sich Anleger auf ein neues Paradigma einstellen, das sich durch kräftigeres, fiskalpolitisch angetriebenes Wachstum, wirtschaftliche Unsicherheit und höhere „neutrale Sätze“ auszeichnet.
Abschließend können wir die Geopolitik nicht außer Acht lassen. Ob es um eine Eskalation mit Russland oder im Nahen Osten geht, die Druck auf die Lieferketten ausüben und Ölpreise und Inflation erneut in die Höhe treiben würde, oder um ein weiteres Handelsscharmützel zwischen den USA und China: Krieg und Deglobalisierung sorgen auf jeden Fall für Inflation. Und wie wir 2022 gesehen haben: Kommt es zu einer Inflationsspirale, selbst wenn diese auf einen Konflikt zurückzuführen ist, so dürften Anleihen kaum die Rettung sein.
Wie sollten Anleger angesichts dieser Umstände das zweite Halbjahr und die weitere Zukunft angehen?
FC: Wir sprechen schon länger davon, dass wir in ein neues Paradigma eintreten, in dem politische, fiskalische, wirtschaftliche und auch geopolitische Kräfte Aufwärtsdruck auf die Inflation ausüben und die Marktvolatilität verstärken, ganz besonders auf den Rentenmärkten.
In einem solchen Szenario dürften klassische 60/40-Portfolios kaum so erfolgreich laufen wie früher. Das zeichnet sich bereits ab: In den letzten Jahren bestand eine positive Korrelation zwischen Aktien und Anleihen. Tatsächlich erscheint die Phase der „Great Moderation“ mit Inflationsraten von 1 bis 2 % mittlerweile nicht mehr als dauerhafte „neue Normalität“, sondern als historische Anomalie. Wer nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte zurückblickt, erkennt, dass die Zinsen und Renditen derzeit eigentlich mehr oder minder ihrer historischen Entwicklung entsprechen.
Was das für Anleger bedeutet? Es spricht definitiv vieles dafür, das eigene Portfolio so breit und flexibel wie möglich aufzustellen. Instrumente zu halten, die über das gesamte Durationsspektrum hinweg investieren und bei Bedarf sogar short gehen können, könnte hilfreich sein. Ebenso könnten sich Vermögenswerte und Strategien als nützlich erweisen, die so viele natürliche Absicherungsmechanismen wie möglich bieten.
1 Neue Argumente für einen Marktausblick, der Rentenmarkt im Umbruch
2 Quelle : Bloomberg data
3 Quelle: Bloomberg data.
4 Quelle: Federal Reserve, https://www.federalreserve.gov
5 Quelle, IMF, https://www.imf.org.
6 Quelle: Bloomberg data.
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