Seit 2022 haben die Anhebungen der Leitzinsen und die Inversion der Zinskurve – die steilste und längste in der Geschichte – Rezessionswarnungen ausgelöst.
In Europa konnte eine Rezession knapp abgewendet werden, nachdem Eurostat im Sommer 2023 das BIP nach oben revidierte. In den USA schien es hingegen nie eine ernsthafte Rezessionsgefahr zu geben.
Wenn die US-Wirtschaft den Zinssteigerungen so gut standhält, bedeutet das, dass der langfristige neutrale Zinssatz (R*) höher ist als zuvor?
Es ist schwierig, die genauen Determinanten des neutralen Zinssatzes zu definieren, da er als theoretisches Konstrukt gilt. Ökonomen verweisen in der Regel auf Produktivitätsgewinne (die es der Wirtschaft ermöglichen, ohne Überhitzung stärker zu wachsen), Inflationserwartungen oder positive Nettozuwanderung. Andererseits rechtfertigen die alternde Bevölkerung und die sinkende Geburtenrate einen niedrigeren Zinssatz.
In jedem Fall scheint die Frage die Märkte zu beschäftigen und die Mitglieder der FED zu spalten. Zum ersten Mal seit 2005 wurde die Entscheidung des Federal Open Market Committee (FOMC), die Leitzinsen um 50 Basispunkte zu senken, nicht einstimmig getroffen. Vor allem die Kluft zwischen den Zinsprojektionen der FOMC-Mitglieder wird größer. Für 2026 prognostizieren die „Falken“ 4%, während die „Tauben“ einen Zinssatz von 2,4% erwarten. Der Medianwert, der über den Markterwartungen liegt, hat sich seit der letzten Sitzung nach oben bewegt.
Derzeit scheint das größte Risiko, das sie beunruhigt, nicht mehr die Inflation zu sein, sondern vielmehr die Gefahr, die über dem Arbeitsmarkt und damit dem Wachstum schwebt.
Der Arbeitsmarkt wird weiterhin im Fokus stehen. Aufgrund der Trägheit des Arbeitsmarkts brauchen die Arbeitslosenzahlen lange, um die Höhen und Tiefen des Konjunkturzyklus widerzuspiegeln. Die uns vorliegenden Daten und die „Leitsterne“ sind vergangene Informationen. Nur die Zukunft wird zeigen, ob der von der FED eingeschlagene Zinskurs der wirtschaftlichen Realität des Landes gerecht wird.
Mangels anderer Optionen blicken Investoren in die Vergangenheit, um die Renditeerwartungen nach der ersten Zinssenkung der FED zu verstehen. Wenn auf die erste Zinssenkung keine Rezession folgte, war dies historisch gesehen bislang ein gutes Omen für Aktien. Im Falle einer Rezession sind die Aussichten jedoch düsterer. Statistisch gesehen beginnt der Countdown zur Rezession und zum Ende der guten Zeiten, wenn die Zinskurve sich wieder normalisiert. In der Woche vor der Entscheidung der FED kehrte die Differenz zwischen 10-jährigen und 2-jährigen Anleihen ins Positive zurück. In fast 60% der Fälle ging dies in den vergangenen 50 Jahren dem Eintritt der US-Wirtschaft in eine Rezession um ein Jahr voraus.
Die Analyse wird durch widersprüchliche Signale der Anlageklassen erschwert. Die kurzfristigen Zinsderivate spiegeln eine lockerere Haltung wider als die der FED. Sie deuten auf eine stärkere wirtschaftliche Abkühlung hin, als das von den Aktienmärkten bevorzugte Szenario einer „weichen Lanundg“, wie die Erwartungen zweistelliger Gewinnzuwächse in Europa und den USA zeigen. Es ist schwer zu sagen, welche Richtung schlussendlich eingeschlagen wird. Mit Blick auf die Ergebnisse des dritten Quartals scheinen jedoch erste Abwärtskorrekturen einzusetzen, im Einklang mit Gewinnwarnungen, wie sie etwa von Mercedes ausgegeben wurden. Die Rückkehr der Dekorrelation zwischen Anleihe- und Aktienmärkten ist eine gute Nachricht für diversifizierte Manager, doch Vorsicht ist geboten: Die Konvergenz der wirtschaftlichen Szenarien könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen. Können wir wirklich auf breit angelegtes profitables Wachstum setzen, während wir gleichzeitig eine Abschwächung des Arbeitsmarktes, des Wachstums und eine Disinflation erwarten?
Von Thomas Planell, Porftoliomanager bei DNCA Invest