Um die aktuelle Polarisierung der Aktienmärkte besser zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Kapitalflüsse im Jahr 2024: Die USA haben dank ihres wirtschaftlichen „Ausnahmezustands“ den Löwenanteil der Zuflüsse mit 510 Milliarden US-Dollar für sich verbucht – ein Rekordwert, darunter 82,2 Milliarden US-Dollar allein in der zweiten Dezemberwoche, die beste Woche aller Zeiten. Bemerkenswert ist, dass diese Zuflüsse vollständig in Exchange Traded Funds (ETFs) flossen, während traditionelle Investmentfonds Mittelabflüsse verzeichneten.
Aus dieser ungewöhnlichen Situation resultiert ein dreifaches Konzentrationsphänomen:
- USA vs. Rest der Welt,
- Technologiesektor vs. alle anderen Sektoren,
- Mega-Caps vs. der übrige Markt.
Eine einzige Statistik verdeutlicht das Ausmaß dieses Trends: Im Jahr 2024 übertrafen nur 31% der Werte im S&P 500 die Performance des Index. Ein solches Verhältnis wurde zuletzt während der Internetblase 1999/2000 beobachtet.
Die Risiken dieser Marktkonstellation
Diese Marktstruktur wirft für Investoren die kritische Frage nach den damit verbundenen Risiken auf. Strategen von Goldman Sachs haben die Ertragserwartungen für den US-Markt drastisch nach unten korrigiert. Sie prognostizieren ein jährliches Wachstum von lediglich 3% über die nächsten zehn Jahre (real: 1%), basierend auf der aktuellen Bewertung des S&P 500 (KGV von 22x im Vergleich zu einem 20-Jahres-Median von 16x) sowie der Konzentration des Index.
Wenn diese Einschätzungen zutreffen, wird die nächste zentrale Frage die Umverteilung von Kapital betreffen. Die goldene Regel der Risikodiversifikation, die in den letzten zwei Jahren vernachlässigt wurde, dürfte wieder in den Vordergrund rücken und könnte auf verschiedenen Ebenen Anwendung finden:
- Diversifikation nach Unternehmensgröße: Rund 40% der Marktkapitalisierung des S&P 500 sind Gegenstand von kartellrechtlichen Untersuchungen durch die FTC und das US-Justizministerium. Dieses juristische Risiko spricht für eine Verlagerung zu Small- und Mid-Cap-Unternehmen. Diese profitieren zudem stärker von Zinssenkungen, da 49% der Unternehmen im Russell 2000 variabel verzinst sind, verglichen mit nur 9% im S&P 500. Zudem könnte dieser Markt von einer Wiederbelebung der M&A-Aktivitäten profitieren. Morgan Stanley prognostiziert einen Anstieg der Transaktionen um 50% im Jahr 2025, gestützt auf ein sanftes Wirtschaftswachstum und den Druck durch Private-Equity-Investoren.
- Diversifikation nach Anlagestil: Der Value-Stil könnte eine Renaissance erleben, insbesondere angesichts seiner Korrelation mit Inflationserwartungen. Der zweijährige Break-even-Inflationssatz in den USA stieg im vierten Quartal 2024 um 50 Basispunkte (bereinigt um den Carry-Effekt). Zudem ist die Bewertung von Value-Aktien relativ zu Wachstumsaktien in den USA (eine Standardabweichung unter dem langfristigen Durchschnitt) und Europa (1,5 Standardabweichungen) günstig. Industrien, die regional produzieren und verkaufen, könnten ebenfalls profitieren, da sie weniger von Handelszöllen betroffen wären.
- Geografische Diversifikation: Obwohl die USA überdurchschnittliches Wachstumspotenzial haben, ist dies weitgehend eingepreist. Laut einer aktuellen Studie von Bank of America erreicht die Allokation in den USA ein historisches Hoch, während die Eurozone massiv untergewichtet bleibt. Jede positive Nachricht, sei es ein Waffenstillstand in der Ukraine oder fiskalische Impulse in Deutschland nach den Bundestagswahlen, könnte die Kapitalflüsse zugunsten Europas umkehren.
Fazit: Diese Überlegungen sind keineswegs abschließend, eröffnen jedoch „neue Horizonte“, um die Effizienz von Portfolios zu verbessern. Die alte Börsenweisheit trifft zu: Das Jahr wird lang – und voller Chancen.
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Invest