Nach den US-Präsidentschaftswahlen stand die Frage im Raum, wie die Federal Reserve auf den neuen US-Präsidenten reagieren würde. Seine ideologische Plattform – geprägt von restriktiver Einwanderungspolitik, höheren Zöllen und Steuersenkungen – wird zu Recht als inflationstreibend angesehen. Jerome Powell hat inzwischen eine erste Antwort geliefert, indem er die sogenannten „Dots“ angepasst hat: Die Fed erwartet für 2025 nun Zinssenkungen um 50 Basispunkte, halb so viel wie noch im September prognostiziert, als die Zentralbank sich Sorgen um die Entwicklung des Arbeitsmarktes machte.
Ein genauer Blick in die Protokolle des letzten FOMC-Treffens zeigt die Grundlage für diesen Richtungswechsel: Angesichts der Annahme höherer Zölle hat die Fed ihre Inflationsprognosen nach oben korrigiert.
Reaktionen und die Zinslandschaft
Diese Anpassung der Forward Guidance blieb nicht unbemerkt: Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen stieg nach Powells Ankündigung um 30 Basispunkte und erreichte ein Hoch von 4,79%. Unkontrollierte Anstiege langfristiger Zinsen gelten inzwischen als das größte Risiko für Investoren (laut der jüngsten Umfrage von Bank of America). Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die drei theoretischen Komponenten der langfristigen Zinsen – den neutralen Zins, die Termprämie und das Inflationsziel – genauer zu betrachten, um ihre künftige Entwicklung besser einschätzen zu können.
- Neutraler Zins (r*)
Lehrbücher definieren den neutralen Zins als das Niveau, das Vollbeschäftigung ermöglicht und gleichzeitig das Inflationsziel wahrt. Dieses Konzept ist rein theoretisch und muss mithilfe ökonometrischer Modelle geschätzt werden. Die Fed hat ihre durchschnittliche Schätzung für den neutralen Zins von 2,5% (2019–2023) auf 3% angehoben. Aktuelle Modelle und Marktdaten (wie das 5y5y-Forward-Renditeinstrument) zeigen einen anhaltenden Aufwärtstrend, der vor allem durch ein überdurchschnittliches Primärdefizit getrieben wird. - Termprämie
Die Termprämie ist die Entschädigung für Investoren, die langfristige Anleihen halten, anstatt kurzfristige Papiere regelmäßig zu rollen. Diese Prämie ist wie der neutrale Zins nicht direkt beobachtbar und wird über Modelle wie das der New Yorker Fed geschätzt. In der letzten Dekade war die Termprämie meist negativ, was angesichts des Risikos der Duration als ökonomische Anomalie gilt. Seit 2023 ist sie wieder positiv. Die Frage ist nun, ob Faktoren wie das steigende Angebot an Treasuries, das nachlassende Interesse der Schwellenländer und die Volatilität von Wachstum und Inflation diese Entwicklung verlängern werden. - Inflationsziel
Das Inflationsziel der Fed liegt weiterhin bei 2%. Der 2-jährige Break-even-Inflationssatz stieg jedoch im vierten Quartal 2024 um 50 Basispunkte auf 2,88%. Die robuste US-Wirtschaft und die expansive Fiskalpolitik deuten darauf hin, dass Vorsicht geboten ist. Laut der University of Michigan erwarten US-Haushalte mittelfristig eine Inflation von 3,3% – der höchste Wert seit 2008.
Bewertung und Ausblick
Wenn man die theoretischen Werte dieser drei Parameter summiert (1% realer neutraler Zins +1% durchschnittliche Termprämie +2% Inflationsziel), erscheint die 10-jährige Rendite von 3,6%, die im Oktober 2024 erreicht wurde, rückblickend zu niedrig. Angesichts der ersten Entscheidungen der neuen Regierung, insbesondere in der Zollpolitik, könnten diese Zahlen weiter steigen.
Aktuell liegt die reale Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen bereits im 95. Perzentil ihres langfristigen historischen Durchschnitts. Dies zeigt, dass viele der genannten Unsicherheiten bereits eingepreist sind. Im Gegensatz dazu starten US-Unternehmensanleihen (Investment Grade und High Yield) das neue Jahr mit Spreads auf historischen Tiefstständen – eine bemerkenswerte Divergenz.
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Invest