Der Höhepunkt des US-amerikanischen KI-Ökosystems schien am 21. Januar erreicht zu sein, als Donald Trump sein 500-Milliarden-Dollar-Projekt „Stargate“ unter großem PR-Aufwand und mit Unterstützung von CEOs wie jenen von Oracle, Softbank und OpenAI präsentierte. Das Ziel: die technologische Vorherrschaft der USA in diesem entscheidenden Bereich zu festigen.
Doch nur eine Woche später sorgte DeepSeek für eine Marktverwerfung, die sich gewaschen hat. Am 27. Januar verlor Nvidia binnen eines Tages 589 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung – ausgelöst durch den Aufstieg der „kleinen blauen Wale“ aus China.
DeepSeek: Der KI-Herausforderer aus China
Für alle, die die letzten 20 Tage auf einer einsamen Insel ohne Internet verbracht haben: DeepSeek wurde 2023 von Liang Wenfeng, dem Gründer des Hedgefonds High-Flyer, ins Leben gerufen. Das Unternehmen entwickelt Open-Source-KI-Modelle, die von der globalen Entwicklergemeinschaft überprüft und verbessert werden können. DeepSeeks App eroberte die Spitze der iPhone-Download-Charts in den USA, und die Firma behauptet, ihre Technologie sei nicht nur deutlich energieeffizienter, sondern auch mit nur 6 Millionen Dollar entwickelt worden – verglichen mit den 5 Milliarden Dollar Jahresbudget von OpenAI.
Sam Altman, CEO von OpenAI, reagierte sportlich und bezeichnete DeepSeeks Modell R1 als „beeindruckend“ und den Wettbewerb als „wirklich inspirierend“.
Eine Schumpeter’sche Disruption?
DeepSeek stellt eine grundlegende Annahme der KI-Branche infrage: Dass der Fortschritt immer größere Rechenkapazitäten, mehr Energie und exponentielle Capex erfordert. Doch was, wenn das nicht stimmt?
Volkswirtschaftlich betrachtet könnte dies eine weitere Manifestation von Joseph Schumpeters Konzept der „schöpferischen Zerstörung“ sein. Eine Innovation entsteht, alte Geschäftsmodelle verschwinden, neue entstehen.
Marktreaktionen: Gewinner und Verlierer
Die unmittelbare Reaktion des Marktes fiel eindeutig aus. Unternehmen, die Chips für KI, Rechenzentren und Cloud-Infrastruktur herstellen, gerieten unter Druck. Dagegen konnten sich Software- und Serviceanbieter, die die KI-Entwicklung unterstützen oder erleichtern, besser behaupten.
Trotz offener Fragen zur tatsächlichen Technologie hinter DeepSeek – etwa welche Chips genutzt wurden oder welche Basismodelle zugrunde liegen – scheint der Markt bereits eine neue Risikobewertung vorgenommen zu haben.
Makroökonomische Auswirkungen: KI-Investitionen unter Druck?
Eine unmittelbare Sorge ist, ob effizientere KI-Modelle die milliardenschweren Investitionen in KI-Infrastruktur reduzieren könnten. Da die bisherigen KI-Ausgaben allerdings nur einen begrenzten Einfluss auf das BIP hatten, erscheint das Abwärtspotenzial begrenzt.
Zudem spricht das Jevons-Paradoxon gegen eine solche Entwicklung. Wenn die Trainingskosten für KI-Modelle sinken, könnten Marktbarrieren abgebaut werden, was die Einführung neuer Technologien beschleunigt. Das könnte zu noch größeren Investitionen in Infrastruktur führen, da Marktführer ihre Position sichern wollen.
Mittelfristig: Mehr Wettbewerb, schnellere Adaption
Langfristig könnte der Kostenrückgang bei KI mehrere Effekte haben. Stärkere Konkurrenz bei Plattform- und Anwendungsentwicklung würde zu einer breiteren Nutzung der Technologie in Unternehmen führen. Eine schnellere Adaption von KI könnte die Produktivität steigern und somit das Wirtschaftswachstum positiv beeinflussen.
Besonders interessant ist, dass nun glaubwürdige KI-Alternativen außerhalb der USA entstehen. Dies könnte dazu beitragen, die Technologie schneller in Schwellenländern zu verbreiten.
Fazit: Ein Weckruf für die KI-Märkte
Ob die großen Hyperscaler ihre erwarteten Kapitalrenditen (ROI) auf KI-Investitionen anpassen müssen, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass die heftige Marktreaktion auf DeepSeek zeigt, wie verwundbar die KI-Konzentration in den großen Indizes ist.
Eine weitere Mahnung zur Diversifikation – sowohl in Bezug auf Branchen als auch auf geografische Allokationen. Der disruptive Effekt von DeepSeek könnte also weniger eine Bedrohung für KI-Investitionen sein, sondern vielmehr ein Signal für eine Neuausrichtung der Kapitalströme in der Branche.
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Invest