Das Kürzel ATH (All Time High) war in den letzten Quartalen vor allem mit Nvidia verbunden. Doch mit dem Aufstieg der chinesischen „kleinen blauen Wale“ von DeepSeek hat sich das Blatt gewendet – und nun rückt das gelbe Metall wieder in den Fokus. Gold verzeichnet seit Jahresbeginn eine Performance von 11% und nähert sich unaufhaltsam der symbolischen Marke von 3.000 USD pro Unze.
Erfahrene Marktteilnehmer wissen, dass der Goldpreis historisch von drei zentralen Faktoren bestimmt wird: Risikoneigung, reale Zinsen und der US-Dollar. Doch die jüngste Entwicklung scheint sich von diesen klassischen Einflussgrößen zu entkoppeln. Es ist daher an der Zeit, die neuen treibenden Kräfte zu identifizieren, um die künftige Preisentwicklung besser einordnen zu können.
Ein institutioneller Faktor verändert die Nachfrage
Die US-Sanktionen gegen 300 Milliarden Dollar an russischen Auslandsreserven haben eine reflexartige Reaktion bei Zentralbanken weltweit ausgelöst. Wie die Finanzhistorikerin Michelle de Mourgues in ihrem Standardwerk betont: „Ursprünglich waren Banknoten nichts anderes als Gegenwerte für bei der Zentralbank hinterlegtes Gold.“
Doch angesichts einer zunehmend interventionistischen US-Politik diversifizieren viele Zentralbanken ihre Reserven – und setzen verstärkt auf Gold. Seit Beginn des Konflikts in der Ukraine hat sich die jährliche Goldnachfrage der Zentralbanken verfünffacht (im Vergleich zum Zeitraum 2006–2022).
Laut dem World Gold Council kauften Zentralbanken im vergangenen Jahr über 1.000 Tonnen Gold – bei einer gesamten Nachfrage von 4.974 Tonnen. Die größten Käufer waren Polen, die Türkei, Indien und China.
Während Gold bereits mehr als 70% der Währungsreserven der USA und Frankreichs ausmacht, liegt dieser Anteil in China und Indien noch unter 10%. Die anhaltenden Käufe dieser Länder könnten den Nachfragesog kurzfristig weiter verstärken.
Wachsende Unsicherheit treibt private Investoren in Gold
Neben den Zentralbanken setzen auch immer mehr Investoren auf Gold – als Absicherung gegen zwei zunehmende Risikofaktoren:
- Die Tragfähigkeit der US-Staatsverschuldung
- Die „Triple-Bubble“ in China (Kreditblase, Immobilienblase und Überinvestition)
Die alarmierende Entwicklung der US-Staatsverschuldung wurde bereits vielfach analysiert. Die vollständige Umsetzung der wirtschaftspolitischen Agenda der neuen US-Regierung könnte jedoch katastrophale Auswirkungen haben.
Das US-Bundesbudget entspricht mittlerweile dem BIP der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt (7 Billionen USD). Der Haushaltsfehlbetrag der ersten vier Monate des aktuellen Fiskaljahres stieg bereits um 25% auf 840 Milliarden USD.
Die Konsequenzen könnten zwei extreme Szenarien beinhalten, die beide den Goldpreis stützen würden:
- Eine erneute Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit durch Ratingagenturen (nach dem Fitch-Downgrade 2023)
- Finanzielle Repression zur Stabilisierung der langfristigen Realzinsen unterhalb des BIP-Wachstums
China: Währungsmanipulation als Antwort auf Handelskonflikte?
Die chinesische Triple-Bubble wird durch die neuen Zollerhöhungen der USA weiter verschärft. Da Exporte immer schwieriger werden, könnten die chinesischen Behörden gezwungen sein, die Geldmenge massiv auszuweiten, um die Binnenkonsumquote zu erhöhen.
Derzeit liegt der private Konsum in China bei nur 39% des BIP – weit unter dem Niveau anderer Schwellenländer wie Mexiko, Brasilien oder Indien (durchschnittlich 64%). Eine aggressive geldpolitische Expansion könnte daher als Versuch gewertet werden, diese Lücke zu schließen.
Ein solches Szenario wäre hochgradig goldpreisfördernd. Bemerkenswert ist daher, dass chinesische Versicherungsunternehmen kürzlich ein Pilotprogramm für langfristige Goldinvestitionen gestartet haben. Bank of America-Analysten gehen davon aus, dass dies eine zusätzliche Nachfrage von 300 Tonnen generieren könnte – das entspricht 6% der globalen jährlichen Nachfrage.
Gold bleibt ein essenzieller Portfoliobaustein
Die Vielzahl geopolitischer und wirtschaftlicher Risiken im Jahr 2025 unterstreicht die Rolle von Gold als Diversifikationsinstrument.
Besonders spannend wird die Entwicklung sein, wenn die globale Wahrnehmung der USA sich verändert – von wirtschaftlichem Exzeptionalismus hin zu wirtschaftlichem Expansionismus.
Sollte dieses Szenario eintreten, wäre eine langfristige Aufwärtsspirale beim Goldpreis kaum zu vermeiden. Schließlich ist Gold – inflationsbereinigt – noch weit von seinen historischen Höchstständen entfernt.
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Invest