Es dürfte kaum jemandem entgangen sein: Europäische Bankaktien haben in diesem Jahr – gemessen am STOXX 600 Banks Index, der 49 Werte aus der Eurozone umfasst – besser abgeschnitten als die „Mag 7“. Doch der Aufwärtstrend geht noch weiter: Auch über die letzten drei Jahre hinweg schlägt der Bankensektor das globale Wachstumssegment. Wie kann es sein, dass das Sinnbild europäischer Value-Titel, das lange von Investoren kritisch beäugt wurde, die Weltelite des Growth-Segments übertrifft? Und vor allem: Ist diese Entwicklung nachhaltig?
Erfolgsfaktoren: Starke Fundamentaldaten und ein geldpolitischer Wendepunkt
Die einfachste Antwort liegt in den Zahlen: Im vierten Quartal haben sämtliche europäischen Banken die Markterwartungen übertroffen – im Schnitt um vier Prozent. Selbst Société Générale, einst das Sorgenkind des Sektors, befindet sich unter dem neuen CEO Slavomir Krupa im Aufwind. Der Konzern setzt auf Fokus und Restrukturierung, erste Erfolge zeigen sich bereits:
- Gestärktes Kapitalniveau (CET1-Ratio von 13,3% Ende 2024)
- Verbesserte Profitabilität (ROTE über 8% für 2025 erwartet)
Eine der zentralen Triebkräfte hinter dieser Renaissance ist das Ende der unkonventionellen Geldpolitik der EZB. Über Jahre hinweg haben die Null- und Negativzinsen massiv auf die Profitabilität des Bankensektors gedrückt. Schon 2022 warnte der ehemalige Banque-de-France-Gouverneur Jacques de Larosière vor den langfristigen Risiken dieser Politik: "Zu niedrige Zinsen – wie wir sie in Europa über ein Jahrzehnt hatten – sind extrem gefährlich. Sie schwächen das Bankensystem und die Finanzstabilität." Der plötzliche Zinsanstieg hat nun dazu geführt, dass der Konsens seine Schätzungen für europäische Banken drei Jahre in Folge nach oben revidieren musste.
Bleibt der Trend intakt? Drei Gründe sprechen dafür
Der Bankensektor ist zyklisch, doch mehrere Faktoren deuten darauf hin, dass die Outperformance noch nicht am Ende ist:
1. Kreditorientierung zieht an
- Die Kreditvergabe in der Eurozone verbessert sich Monat für Monat.
- Laut EZB wuchs der Kreditbestand an den privaten Sektor im Januar um 2,3% (YoY) – nach 2,0% im Dezember und 1,5% im November.
- Diese Entwicklung deckt sich mit den optimistischen Volumenprognosen führender Banken.
2. EZB-Zinspolitik stützt Margen
- Ende 2024 erwartete der Markt eine Zinssenkung von über 100 Basispunkten in 2025.
- Nach der letzten EZB-Sitzung (die mit einer ersten Senkung um 25bp endete) wird nur noch eine Gesamtsenkung um 75bp erwartet.
- Dies entspricht genau der Mitte der von der EZB definierten neutralen Zinsspanne (2,25% – 1,75%).
3. Regulatorischer Gegenwind lässt nach
- Seit der Finanzkrise 2008 wurden Banken durch striktere Regulierung belastet.
- Die USA verzögern die Umsetzung von Basel III, was auch die EZB dazu bewegt, über eine Lockerung nachzudenken.
- Das könnte die Renditen für Aktionäre weiter steigern – Dividendenrenditen von 6% im Durchschnitt und Aktienrückkäufe rücken stärker in den Fokus.
Fusionen als unterschätztes Potenzial
Ein weiteres mögliches Katalysator-Thema ist die überfällige Konsolidierung. Während Europas Bankenlandschaft fragmentiert bleibt, wachsen JPMorgan und Goldman Sachs in den USA ungehindert weiter. Allerdings gibt es politische Hürden: Grenzüberschreitende Fusionen sind aufgrund regulatorischer Widerstände schwer umsetzbar – zuletzt zeigte das gescheiterte Übernahmeinteresse von Unicredit an Commerzbank, dass dies noch lange keine Selbstverständlichkeit ist. Nationale Fusionen oder Zusammenschlüsse nach Geschäftssegmenten (wie es Crédit Agricole mit Amundi und Caceis erfolgreich vormacht) bieten jedoch realistische Konsolidierungsmöglichkeiten.
Bewertung bleibt attraktiv – trotz Kursanstieg
Trotz der starken Performance im letzten Jahr bleibt der europäische Bankensektor fundamental günstig bewertet: Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (P/TNAV) von 1,1x steht einer erwarteten Eigenkapitalrendite (ROTE) von 14% für 2026 gegenüber. Dies impliziert eine Eigenkapitalkosten-Schätzung von 12% – 15% über dem Pre-COVID-Niveau, obwohl der durchschnittliche ROTE damals 40% niedriger war. Zum Vergleich: US-Banken notieren mit 1,6x Buchwert und 17% ROTE, was einem Eigenkapitalkostensatz von 10,5% entspricht. Allerdings ist der Geschäftsmix der US-Banken breiter diversifiziert, weshalb direkte Vergleiche schwierig sind.
Risiko: Anleger sind bereits stark positioniert
Ein kurzfristiger Rücksetzer ist nicht auszuschließen, da europäische Banken laut Bank of America-Umfrage bereits überdurchschnittlich in Anlegerportfolios gewichtet sind. Doch strukturell betrachtet gibt es weiteres Aufwärtspotenzial: Der europäische Bankensektor scheint sich – leise, aber nachhaltig – aus der „Value Trap“ zu befreien.
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Invest