Das Jahr hatte für die europäische Automobilbranche vielversprechend begonnen: Der europäische Regulierer hatte überraschend pragmatisch entschieden, den Herstellern eine dreijährige Übergangsfrist (2025 bis 2027) zur Einhaltung der CO₂-Reduktionsvorgaben einzuräumen. Damit war das Risiko kurzfristiger Strafzahlungen zunächst gebannt – eine Erleichterung für Investoren, die sich wieder auf die Fundamentaldaten konzentrieren konnten. Doch die Aufhellung währte nicht lange: Nun ziehen neue dunkle Wolken auf.
Anstatt bis zum angekündigten „Tag der Befreiung“ am 2. April zu warten, überraschte Präsident Trump bereits am 26. März mit der Einführung von Strafzöllen in Höhe von 25% auf alle importierten Fahrzeuge – und traf damit etwa die Hälfte aller in den USA verkauften Autos. Die Folgen für die Branche sind bekannt: sinkende operative Effizienz, eine Anpassung der Geschäftsperspektiven und Gewinnerwartungen nach unten.
Die einzig realistische Antwort auf längere Sicht ist die Verlagerung eines Teils der Produktion in die USA – zu einem hohen Preis. Komplexe Lieferketten und hohe Arbeitskosten machen die Vereinigten Staaten zu einem der teuersten Produktionsstandorte unter den Industrieländern. Bernstein Research schätzt die Mehrbelastung auf durchschnittlich 6.700 Dollar pro Fahrzeug. Angesichts der aktuell erzielten Bruttomargen dürfte der Endkunde die Zeche zahlen – Ferrari etwa hat bereits eine Preiserhöhung um 10% angekündigt.
Bemerkenswert ist die vergleichsweise gelassene Reaktion der Börse: Der europäische Automobilsektor verlor am Tag der Ankündigung lediglich 1%. Der niedrige Bewertungsstand (KGV 2025 von 7,8x) und die ohnehin deutliche Untergewichtung des Sektors im Portfolio vieler Investoren (laut jüngster Bank of America-Umfrage) dürften Hedgefonds von aggressiven Short-Positionen abgehalten haben.
Neue Bedrohung aus China: BYD auf Expansionskurs
Kaum ist das Zollrisiko eingepreist, rollt die nächste Herausforderung auf die europäische Automobilindustrie zu – in Form von drei Buchstaben: BYD („Build Your Dreams“). Der chinesische Autobauer, der 2025 sein 30-jähriges Bestehen feiert, entwickelt sich zum Schreckgespenst der Branche. Während Tesla einen Rückgang der Zulassungen um 13% im ersten Quartal verzeichnete, glänzte BYD mit beeindruckenden Zahlen: 2024 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von über 100 Milliarden Dollar (+29% gegenüber dem Vorjahr), die Fahrzeugverkäufe im ersten Quartal stiegen um 58% auf 986.000 Einheiten.
Der Erfolg beruht auf einer extremen vertikalen Integration und einer beispiellosen Ingenieursdichte (120.000 Ingenieure, 10% der Belegschaft). Ergebnis: die Ankündigung einer neuen Batterie, die binnen fünf Minuten auf eine Reichweite von 400 km geladen werden kann – mit einer maximalen Ladeleistung von 1.000kW, doppelt so viel wie Teslas Supercharger. Kein Wunder, dass Warren Buffett als Investor an Bord ist.
2024 verkaufte BYD bereits 50.000 Fahrzeuge in Europa und plant den Ausbau seiner Präsenz mit einer Fabrik in Ungarn sowie einer weiteren in Planung. Laut Financial Times prüft die Europäische Kommission inzwischen die Rahmenbedingungen für den Aufbau dieser Werke – ein erster, vermutlich wenig wirksamer Versuch, den chinesischen Vormarsch zu bremsen.
Innovationsschub und verschärfter Wettbewerb
BYD überschreitet inzwischen die Schwelle vom Handelskrieg zur Technologieoffensive: Mit dem kostenlosen Einbau seines Fahrerassistenzsystems „God’s Eye“ setzt der Konzern Tesla, dessen entsprechender Service kostenpflichtig ist, massiv unter Druck. In Sorge um Technologietransfers hat China sogar die Genehmigung für eine geplante BYD-Fabrik in Mexiko ausgesetzt – eine bemerkenswerte Kehrtwende.
Bis erste konkrete Maßnahmen zur Neuordnung der globalen Lieferketten greifen und mögliche befristete Ausnahmeregelungen eingeführt werden, dürfte der Automobilsektor volatil bleiben. Zwei grundsätzliche Beobachtungen lassen sich jedoch bereits jetzt festhalten: Erstens wird die Besteuerung von Importwaren klar inflationstreibend wirken – das belegt der US-Ein-Jahres-Inflationsswap, der 2025 um 84 Basispunkte auf 3,36% gestiegen ist. Zweitens stärken die US-Zölle paradoxerweise die Wettbewerbsposition chinesischer Hersteller, die auf dem US-Markt bislang kaum vertreten sind – ein Ergebnis, das den strategischen Zielen des Weißen Hauses diametral entgegenläuft.
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Invest