Der amerikanische „Tag der Befreiung“ am 2. April markierte für viele Investoren vor allem den Auftakt zu einer Phase schmerzhafter Volatilität. Doch wer in diesem rauen Marktumfeld Kurs gehalten hat, wird nun belohnt: Der globale Aktienmarkt – gemessen am MSCI World – hat die Verluste aus dem April weitgehend wettgemacht und nähert sich wieder den Niveaus von Februar.
Unter den vielen außenpolitischen Signalen der vergangenen Wochen, sei es die Einigung mit dem Vereinigten Königreich, die Annäherung an China oder Ankündigungen im Rahmen der Golfstaatenreise, markierte wohl das Verhandlungswochenende in Genf zwischen Scott Bessent und He Lifeng (Chinas Vizepremier für Wirtschaft) den Wendepunkt. Angesichts wechselseitiger Zölle von 145% bzw. 125%, die de facto einem Handelsstopp gleichkamen, war eine Lösung dringend nötig, um Lieferengpässe in den USA und Unternehmenspleiten in China abzuwenden. Umso überraschender war die Geschwindigkeit, mit der eine Einigung gelang.
Wer den ersten Schritt machte, wird die Geschichte zeigen. Doch die Warnungen von US-Einzelhandelsriesen wie Walmart und Target vor leeren Supermarktregalen sowie sinkende Zustimmungswerte des Präsidenten in seiner Kernwählerschaft dürften entscheidend gewesen sein. Das Wall Street Journal ging so weit, Donald Trump nahe zu legen, dem Beispiel François Mitterrands zu folgen, der 1982 angesichts ökonomischer Realitäten seine wirtschaftspolitische Linie änderte. Eine bemerkenswerte Empfehlung im Mutterland des Liberalismus.
Trumps Vorgehen wirkt wie ein negativer Angebotsschock. Es belastet Konsum, Investitionen und Beschäftigung durch politische Unsicherheit ebenso, wie die Preise aufgrund steigender Produktionskosten. Insofern reduziert die nun verkündete Vorgehensweise deutlich das Risiko eines Stagflationsszenarios in den USA.
Auch die aktualisierten Prognosen von Goldman Sachs stützen diese Lesart: Die Bank erhöhte ihre Wachstumsprognose für die US-Wirtschaft 2025 von 0,5% auf 1,0% (Q4/Q4), gestützt durch niedrigere Zölle und eine Entspannung der Finanzierungsbedingungen. In China wurde die Wachstumsprognose von 4,0% auf 4,6% angehoben – dank stabilisierter Exporte (zuvor -5%).
Trotz dieser optimistischen Anpassungen sollte man die realwirtschaftlichen Belastungen nicht aus dem Blick verlieren: Selbst unter Berücksichtigung von Ausnahmen und Aussetzungen liegt das durchschnittliche US-Zollniveau weiterhin bei 15% – deutlich über dem Stand vom Januar (3%). Zudem bleiben die strukturellen Konflikte – etwa beim Handelsungleichgewicht und im Technologiewettbewerb – ungelöst.
Und jetzt? Nach dem Kurssprung stellt sich für viele Anleger die Frage: Was tun? Indizes wie der DAX haben die April-Niveaus bereits deutlich übertroffen, einige Analysten sprechen von einem klassischen MOFO*-Szenario – „must own, fear of missing out“. Der sogenannte pain trade läuft nach oben: Anleger sehen sich gezwungen, dem Markt hinterherzulaufen, wie so oft nach Phasen hoher Unsicherheit.
Doch ein genauerer Blick legt andere Reflexe nahe: Technische Indikatoren wie RSI** und gleitende Durchschnitte*** zeigen, dass der Markt sich binnen kürzester Zeit von überverkauft zu überkauft entwickelt hat. Gleichzeitig signalisiert die jüngste Bank-of-America-Umfrage eine spürbare Verschiebung der Stimmung: mehr Engagement im Technologiesektor, sinkende Liquiditätsquoten in Portfolios und rückläufige Rezessionserwartungen. Für erfahrene Investoren ein Signal, das an das alte Börsensprichwort erinnert: „Sell in May and go away…“
Von Pierre Pincemaille, Portfoliomanager, DNCA Invest
* Fomo: Fear of missing out
** RSI: Relative Strength Index
*** Zum Redaktionsschluss notierten rund 85% der MSCI-Länderindizes über ihrer 50- bzw. 200-Tage-Linie