Union Investment Renten-Chef Engels: "EZB in der Falle"
Warum die Europäische Zentralbank nach sieben Jahren extrem expansiver Geldpolitik mit ihren unorthodoxen Maßnahmen zunehmend an ihre Grenzen stößt, analysiert Dr. Frank Engels, Leiter Portfoliomanagement Renten, Union Investment.
Union Investment
| 06.10.2016 15:22 Uhr
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"Kaum Inflation, zu niedrige Inflationserwartungen, stagnierende Kreditvergabe, geringes Wachstum: Das ist das Ergebnis nach sieben Jahren extrem expansiver Geldpolitik in der Eurozone. Die Europäische Zentralbank (EZB) stößt mit ihren unorthodoxen Maßnahmen zunehmend an ihre Grenzen. Weder hat sie ihr Inflationsziel erreicht, noch wurden durchschlagende realwirtschaftliche Fortschritte erzielt (Abbildung rechts). Und das bei einem Leitzins von null Prozent, mit monatlichen Anleihekäufen von 80 Milliarden Euro und mit Maßnahmen, aufgrund derer sich Banken umsonst oder sogar mit Prämie bei der EZB Geld leihen können – teilweise unbegrenzt.
Die Notenbank traf in den vergangenen Jahren Entscheidungen, die zuvor undenkbar, aber dann zum jeweils gewählten Zeitpunkt nahezu alternativlos waren. Und sie hat richtig gehandelt. Ohne dieses außergewöhnliche Vorgehen wäre in der Finanz- und Wirtschaftskrise vermutlich alles viel schlimmer gekommen. Doch in der aktuellen Situation verfehlt die Geldpolitik zunehmend ihre Wirkung, während gleichzeitig die Risiken der Politik extrem billigen Geldes sukzessive steigen. Die EZB sitzt in der Falle, und Europa gleich mit. Woran liegt das? Und wie kann sich Europa wieder aus ihr befreien? Wir sehen drei wesentliche Problemfelder:
1. Banken in der Ertrags- und Regulierungsfalle: Dreh- und Angelpunkt der expansiven Geldpolitik sind die Geldhäuser, welche die monetären Impulse der Zentralbank über den Bankkreditkanal weitergeben sollen. Wenn sie das billige Geld aber nicht an die Bürger in Form von Krediten weiterreichen, entsteht kein Impuls für mehr Wirtschaftswachstum. Die Bilanzsumme der Banken ist von 2010 bis 2014 um 20 Prozent geschrumpft. Das bedeutet eben auch, dass weniger Neukredite vergeben wurden. Der Grund: eine Mischung aus höheren, regulierungsbedingten Eigenkapitalanforderungen und der Ertragsschwäche – auch als eine Folge des Niedrigzinsumfeldes.
2. Konjunktur in der Liquiditätsfalle: Wachstum braucht Konsum und Investitionen. In Europa investieren die Unternehmen aber weniger als noch vor zehn Jahren und das trotz historisch günstiger Finanzierungskonditionen. Zudem tritt die Konsumtätigkeit aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit auf der Stelle. Haushalte und Unternehmen sind so verunsichert, dass sie ihr Geld lieber unters Kopfkissen legen bzw. in der Firmenkasse behalten – das zusätzliche Geldangebot der EZB wird also gehortet.
3. Staaten in der Reformfalle: Und auch von staatlicher Seite kommt wenig bis keine Unterstützung. Seit der Staatsschuldenkrise wurden nicht genügend Strukturreformen angestoßen, um die langfristigen Wachstumskräfte zu stärken. Kein Wunder, denn die lockere Geldpolitik hat über die historisch niedrigen Finanzierungskosten von Fremdkapital die Anreize für eine wachstumsorientierte Reformpolitik der Euroland-Staaten deutlich verringert. Mit anderen Worten: Die Opportunitätskosten staatlicher Untätigkeit waren bzw. sind im Niedrigzinsumfeld zu gering.
Daher kann die Geldpolitik in der jetzigen Form, jenseits der akuten Krisenbekämpfung, keinen Beitrag leisten. Schlimmer noch: Wir nähern uns dem Punkt, wo der aktuelle Kurs der Frankfurter Währungshüter mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet.
Absturzgefahr: Anleger steigen die Risikoleiter hinauf
Die Geldpolitik führt zu einer Verzerrung der Attraktivität von Anlageklassen. Durch den massiven Ankauf von Pfandbriefen, Staats- und Unternehmensanleihen sind die Renditen dieser Wertpapiere deutlich unter das fundamental gerechtfertigte Niveau gesunken – vor allem aufgrund der starken EZB-Nachfrage (Abbildung unten). Mit anderen Worten: Diese Anleihen sind relativ zu den unterliegenden Risiken schlichtweg zu teuer gepreist. Dieses Umfeld zwingt Kapitalmarktanleger zu Ausweichreaktionen in Assets, für die sie originär nicht die entsprechende Risikoneigung und -tragfähigkeit haben. Aber nur so können private Investoren, die auf zinstragende Anleihen zur Vermögensbildung oftmals aus regulatorischen Gründen angewiesen sind, noch auskömmliche Renditen erzielen.
Wir haben es also mit einer groß angelegten, von der EZB bewusst induzierten Verschiebung von Risikoanlagen zu tun, durch die sich die historisch niedrigen Leitzinsen über sinkende Anleiherenditen auf alle Kapitalmarktsegmente ausdehnen. Welche Konsequenzen diese Ausweichreaktionen der Investoren haben werden, wenn sich die vom Endanleger eingegangenen Risiken materialisieren und sich größere Verluste auftun, ist jedoch völlig ungeklärt. Es zeigt sich, dass die potenziellen Verluste bei Kleinsparern, Pensionsfonds, Versicherern und Versorgungswerken sowie die ausbleibenden Erträge durch Ersparnisbildung von Gesellschaft und Politik zunehmend als heikel bewertet werden.
Eine Giftmischung: Härtere Regulierung und lockere Geldpolitik
Die in der unorthodoxen Geldpolitik angelegten Probleme werden durch die regulatorischen Entwicklungen noch verstärkt. Das Paradoxe daran: Schärfere Regulierung des Finanzsek-tors und expansive Geldpolitik stellen für sich genommen nachvollziehbare Antworten auf die Krise des Finanzsystems 2007/2008 dar. Eine Sozialisierung der Kosten einer Bankenpleite, das sogenannte Bail-Out, sollte damit verhindert und die Realwirtschaft gegen Verwerfungen in der Finanzindustrie immunisiert werden. Dieses Ziel wurde weitgehend verfehlt.
Durch das Ankaufprogramm der EZB für Unternehmensanleihen hat sich dieses Problem zurückgehender Sekundärmarktliquidität noch erhöht. Die Konsequenz für Investoren: Erst im Notfall werden Positionen aufgelöst – also dann, wenn das Umfeld ohnehin schwierig ist. Doch gerade dann wollen alle durch die gleiche Ausgangstüre, scharfe Marktturbulenzen, auch assetklassen-übergreifend, sind die Folge. Die Risiken für die Stabilität des Finanzmarktes nehmen im Zuge dessen eher zu als ab.
Wirkungslosigkeit: Mehr bringt nichts mehr
Mit ihrer Analyse der Ursachen hat die EZB durchaus Recht: Die Inflation ist zu niedrig, das Wachstum zu schwach. Nur sind die bislang eingeleiteten Schritte eben zunehmend ungeeignet, um das zugrunde liegende Problem zu beheben. Doch welche geldpolitischen Instrumente stehen der Zentralbank überhaupt noch zur Verfügung? Und welche sind sinnvoll?
Instrument 1: Noch fokussierter kaufen. Um die Inflation auf direktem Wege anzukurbeln, kauft die EZB seit Juni 2016 Unternehmensanleihen von bonitätsstarken Unternehmen außerhalb der Finanzbranche. An der Ausgestaltung dieses Programms könnte die Notenbank noch feilen. Denn brauchen die großen, multinationalen Unternehmen mit Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten überhaupt die Unterstützung der EZB bei der Fremdkapitalaufnahme? Sind es nicht vielmehr die kleinen und mittelständischen Unternehmen in den südlicheren Ländern der Eurozone, die einen einfacheren, günstigeren und vor allem auch dauerhaft gesicherten Zugang zu Bankkrediten benötigen? Folgerichtig könnte die EZB den Kapitalschlüssel auflösen. Dann würden Unternehmen von Ländern wie Spanien oder Italien, die die Notenbankunterstützung dringender brauchen als etwa deutsche Unternehmen und der hiesige Fiskus, mehr vom Programm profitieren. Das billige Zentralbankgeld würde zielgerichteter dort eingesetzt werden, wo es wirklich benötigt wird.
Auch könnte die EZB die Banken direkter unterstützen, denn schließlich leiden gerade die Finanzinstitute in ihrer Profitabilität unter der ultralockeren Geldpolitik. Eine Möglichkeit wäre, dass sie Bankanleihen auf ihre Einkaufsliste setzt. Eine andere, dass sie Kreditrisiken der Institute auf ihre eigene Bilanz nimmt oder gezielt Anreize dafür schafft, dass sich die Banken von faulen Krediten in ihren Bilanzen trennen und somit frisches Risikokapital bei den Geldhäusern frei wird.
Unsere Meinung: Eine sinnvolle Ergänzung des aktuellen Kurses ist nötig. Die historisch niedrigen Leitzinsen und Umlaufrenditen wirken zunehmend als Warnsignal für private Wirtschaftssubjekte und führen zu ineffizienten Formen der Bargeldhortung.
Instrument 2: Aktienkäufe. Noch expansiver könnte die EZB werden, indem sie nicht nur Pfandbriefe, Staats- und Unternehmensanleihen aufkauft, sondern auch Aktien nach japanischem und Schweizer Vorbild. Die Bank of Japan hat schon vor sechs Jahren ihr Ankaufprogramm auf Aktien ausgeweitet und auch die Schweizer Nationalbank erwirbt seit einigen Jahren gezielt Aktienpakete. Diese Möglichkeit wurde auch für die EZB in den vergangenen Wochen diskutiert. Eine solche Maßnahme könnte sich über den Vermögenskanal auf das Inlandsprodukt auswirken, da die Aktien infolge des Ankaufprogramms an Wert zulegen würden. Dadurch hätten Haushalte und Unternehmen, welche diese von der Zentralbank gekauften Aktien ebenfalls besitzen, mehr Vermögen für Konsum und Investitionen zur Verfügung, was sich belebend auf das Inlandsprodukt auswirken würde.
Unsere Meinung: Die Risiken in Form von Verzerrungen wiegen schwerer als die Chancen.
Instrument 3: Helikoptergeld. Dabei handelt es sich – vereinfacht gesagt – um Geldgeschenke an die Bevölkerung. Bildlich gesprochen wird aus einem Helikopter Geld über den Bürgern der Eurozone abgeworfen, damit sie mehr konsumieren und somit die Inflation angekurbelt wird. Die Zentralbank reicht beispielsweise über eine Ewigkeitsanleihe, die sie direkt vom Staat erwirbt, unmittelbar Geld an den Finanzminister durch. Dieser verwendet es für ein Konjunkturpaket.
Unsere Meinung: Ultima Ratio, aber so weit sind wir noch nicht. Und das bestehende rechtliche Rahmenwerk der EZB lässt diese direkte Monetarisierung von Staatsschulden auch nicht zu.
Ohne Fiskalpolitik geht es nicht
Die EZB hat getan, was sie konnte und sich dabei um die Wiedererlangung der ökono-mischen Stabilität der Eurozone verdient gemacht. Allerdings droht sie nun an den Punkt zu gelangen, wo die unerwünschten Nebeneffekte ihrer Geldpolitik den Nutzen übersteigen.
Die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger auf staatlicher Ebene, speziell die Finanzminister der Euroländer, sind gefordert, Europa aus der Falle zu befreien. Dafür braucht es natürlich auch Reformen, aber eben nicht nur. Denn: Gegen die Liquiditätsfalle helfen kurzfristig keine Strukturreformen. Diese wirken eher mittelfristig positiv auf das Wirtschaftswachstum und können die Inflationserwartungen stabilisieren und verankern. Kurzfristig sollten die Staaten und auch die EU über den gezielten Einsatz fiskalpolitischer Instrumente wie Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen im Bereich staatlicher Investitionen nachdenken, die auf zwei Wegen zu mehr Wachstum führen: kurzfristig durch den Konjunkturimpuls, langfristig durch die Stärkung der Wachstumskräfte. Dies führt wiederum zu steigenden Inflationserwartungen, die schließlich auch das Lohnwachstum positiv beeinflussen.
Solche Maßnahmen sollten speziell von Ländern wie Deutschland in Angriff genommen werden, die aufgrund der expansiven Geldpolitik und der damit verbundenen ultraniedrigen Zinsen über zusätzlichen fiskalischen Handlungsspielraum verfügen, der unter Berück-sichtigung des Vertrags von Maastricht voll ausgenutzt werden sollte."
Dr. Frank Engels, Leiter Portfoliomanagement Renten, Union Investment
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